Mythen, Fakten und Gestaltungsspielräume in der Zusammenarbeit

Zu Beginn meines Berufseinstiegs (und lange Zeit danach) war das Konzept der „Work-Life-Balance“ für mich überhaupt nicht präsent. Maßgeblich war zunächst, möglichst allen Anforderungen gerecht zu werden, die die Arbeitswelt an mich stellte. Im Laufe meiner beruflichen Entwicklung hat sich das verändert und ich habe inzwischen gelernt, Prioritäten auch anders zu setzen.

Dabei bin ich (geboren 1979) als Vertreterin der Generation X (Jahrgänge 1965–1980) doch eigentlich prädestiniert, von jeher die „Work-Life-Balance“ hoch aufzuhängen und dem „Spaß“ eine große Bedeutung im Leben zukommen zu lassen. Wohingegen den Vertretern der vorherigen Generation, den Baby Boomern (Jahrgänge 1946–1964), „harte Arbeit“ als Lebensmotto zugeschrieben wird. War ich also eine untypische Vertreterin meiner Generation? Oder gab und gibt es vielleicht auch bei den Baby Boomern Individuen, die nicht nur „leben, um zu arbeiten“? Es scheint ein Mythos, dass wirklich alle Angehörigen einer Alterskohorte zwangsläufig auch dieselben Eigenschaften, Merkmale und Werte teilen.

Die Einteilung in Generationen variiert je nach Studie leicht; neben den bereits genannten Baby Boomern und der Generation X sind mindestens noch die beiden folgenden erwähnenswert: Generation Y (Jahrgänge 1981–1990) und Generation Z (Jahrgänge 1991–2010). Aktuell scheinen Arbeitgeber, die hauptsächlich zur Generation der Baby Boomer gehören, ein besonderes Interesse an der Generation Z zu haben. Dieser Generation wird eine hohe Technologie-Affinität ebenso zugeschrieben, wie ein ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein sowie hohe Anforderungen an die berufliche Tätigkeit. Angesichts aktueller mehrdimensionaler Themen wie Fachkräftemangel und Arbeitnehmermarkt wird daher insbesondere dieser Generation vieles ermöglicht, was vorherigen Generationen unerreichbar schien: Man denke z. B. an Homeoffice oder Teilzeitmodelle.

Die Innen- und die Außenseite einer Unterscheidung

Dabei kommt ein Phänomen zum Tragen, das schon von George Spencer Brown in seiner Unterscheidungstheorie beschrieben wurde: Es wird gezielt auf einen bestimmten Aspekt (hier: eine bestimmte Alterskohorte) fokussiert; dieser wird vom Rest unterschieden sowie benannt. Dadurch bleibt der Rest unbeachtet und indifferent. Gleichzeitig entsteht eine innere und eine äußere Seite der Unterscheidung, zumindest während des Moments der Beobachtung. In der Diskussion über Generationen stellt die Generationendifferenzierung in Verbindung mit der (wahrgenommenen oder tatsächlichen) Bevorzugung einer spezifischen Generation in bestimmten Bereichen daher zunächst ein trennendes Element im Arbeitskontext dar.

Nicht wenige Beratungsangebote, die sich an Organisationen und Unternehmer als Arbeitgeber richten, bauen mit ihrem Geschäftsmodell darauf auf und profitieren, indem sie beispielsweise charakteristische Merkmale der Generation Z betonen und Lösungen anbieten, wie diesen zu begegnen sei. Dadurch locken sie Arbeitgeber in ihren Bemühungen um Arbeitgeberattraktivität etc. auf die Fährte der „zielgerichteten Ansprache für die Generation Z“. Währenddessen fühlen sich Vertreter der übrigen Generationen mit ihren Vorstellungen und Bedürfnissen nicht wahrgenommen oder nicht wertgeschätzt. Fakt ist jedoch, dass auch Vertreter anderer Generationen im Arbeitskontext Merkmale und Werte teilen, die oft ausschließlich der Generation Z zugeschrieben werden – und andersherum. Gleichzeitig handelt es sich hierbei um Faktoren, die direkt die Zusammenarbeit in einem Team beeinflussen, jedoch auf dieser Ebene oft nicht ausreichend behandelt werden – oder, wenn überhaupt, ausschließlich als Konfliktfelder wahrgenommen werden.

Gestaltungsspielräume in der Zusammenarbeit

In Anbetracht der massiven Herausforderungen der Arbeitswelt, die voraussichtlich nur durch gemeinsame Anstrengungen bewältigt werden können, stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, im Arbeitsumfeld und speziell in der Teamzusammenarbeit stattdessen auf verbindende Elemente zu fokussieren. Wie kann es also gelingen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht ausschließlich als Generationenvertreter zu betrachten, sondern als Individuen, über deren individuelle Vorstellungen und Bedürfnisse es insbesondere am Ort der Handlung, nämlich auf Teamebene, gemeinsam mit anderen Individuen zu verhandeln gilt? Dies könnte dazu beitragen, die Zusammenarbeit im Team, insbesondere auf der Beziehungsebene, erheblich zu verbessern sowie „Generationenkonflikte“ bearbeitbar zu machen – und somit ebenfalls einen wesentlichen Beitrag zur Attraktivität des betreffenden Arbeitgebers leisten.

Die „Berufliche Wanderkarte“

Eine konkrete Methode, das Thema Alter als eine Dimension von Vielfalt in einem Team zu thematisieren, ist die „Berufliche Wanderkarte“: Sie ist geeignet, einen guten, integrierenden und auch klärenden Austausch zu initiieren, sowohl in neu zusammengestellten als auch in etablierten Teams. Als Methode macht sie bisherige Lebenswege und Motive sichtbar und gibt Aufschluss über Ziele, einfache und schwierige Entscheidungen im Leben oder Zufälle. Dazu visualisiert jedes Teammitglied für ca. 15 Minuten auf einem Flipchart den individuellen Lebensweg entlang einiger Leitfragen, z. B.:

  • Wo wurdest du geboren?
  • Was waren berufliche Meilensteine und Aufgaben?
  • Welche Entscheidungen musstest du treffen?
  • Wo hattest du deine bisher „beste Zeit“ und warum?
  • Wo war die schwierigste Zeit und warum?

und stellt dann im Team seine persönliche Wanderkarte für ca. 10 Minuten vor. Jedes Teammitglied hat dabei die Freiheit zu entscheiden, in welchem Maße berufliche oder private Themen geteilt werden und welche individuellen Schwerpunkte in der Präsentation gesetzt werden. Auf diese Weise können einerseits unterschiedliche Vorstellungen im Team thematisiert und besprochen werden. Andererseits zeigt die Erfahrung auch, dass viele Gemeinsamkeiten entdeckt werden und ein gegenseitiges Verständnis für bisherige Lebenswege entsteht.¹

Berufliche Wanderkarte

Diese Vorgehensweise kann darüber hinaus den Raum öffnen für eine grundsätzlich andere, generationenübergreifende Diskussion, in der anhand der folgenden Fragen zentrale Bestandteile der heutigen Arbeitswelt neu verhandelt werden:

  • Was ist ein zeitgemäßes Verständnis von Leistung?
  • Wie wollen wir zusammenarbeiten? Wie nicht?
  • Welche Implikationen ergeben sich dadurch für Führung und die übrigen Rollen im Team?
  • Welche Erwartungen haben wir an „Arbeit“ und was genau definieren wir eigentlich als solche?
  • Wo haben wir Gemeinsamkeiten im Verständnis all dieser abstrakten Begrifflichkeiten und welche Auswirkungen hat dies auf unsere alltäglichen Abläufe?
  • Welche Unterschiede stellen wir fest und wie wollen wir mit ihnen konstruktiv umgehen?
  • Wie bearbeiten wir Konflikte im Team?

Diese Fragen gemeinsam zu reflektieren, den Fokus auf Verbindendes zu richten und konstruktiv mit den Unterschieden umzugehen, wird entscheidenden Einfluss darauf haben, wie Teams innerhalb einer Organisation (und zwar nicht entlang willkürlicher Alterskohorten) Konflikte bearbeiten und gemeinsam wachsen können – für mich die Kernkompetenz zukunftsfähiger Zusammenarbeit. Ich meine, dass ein solcher Paradigmenwechsel einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Zusammenarbeit leisten und die viel diskutierten „Generationenkonflikte“ in den Hintergrund rücken lassen könnte.


¹ Basierend auf Funcke und Braemer, Das Zusammenfinden fördern, Training aktuell Juni 2022, S. 9–11

Maja Entner

Dipl.-Regionalwissenschaftlerin Südostasien, Beraterin für systemische Organisationsentwicklung Nach verschiedenen Stationen als Personalentwicklerin und Prozessberaterin (auch in Leitungsfunktion) seit 2020 selbständig tätig. Schwerpunkte: Begleitung von Veränderungsprozessen in Organisationen, Moderation von Workshops und Durchführung von Trainings zu den Themen Führung und Führungsnachwuchs (auch im interkulturellen Kontext), Teamentwicklung und -organisation, persönliche Entwicklung und Konfliktbearbeitung. maja-entner.de

Generationenkonflikte