Persönliche Gedanken zu einer Gradwanderung

Wenn man aktuell im Netz den Begriff „körperorientiertes Coaching“ eingibt, findet man unzählige Angebote, meist von Psychotherapeut:innen, aber auch von Yoga-lehrer:innen, und selbsternannten Fachleuten. Der Markt ist riesig, die Nachfrage scheint groß. Das Angebot reicht von differenzierter Wahrnehmung von Körpersignalen bis zum Ganzkörpereinsatz auf der Matte.

Auch Masterarbeiten bei renommierten Instituten zum Thema „Körperorientierte Supervision“ und „Körper- und Bewegungselemente in Teamsupervisionen“ finden sich.

Gleichzeitig gibt es aufgrund der Thematisierung von Missbrauch in Organisationen eine erhöhte Sensibilität für Grenzachtung und Schutz, so auch und gerade in Beratungssettings. Überall entstehen – bestenfalls in gemeinsamer Reflexion – Schutzkonzepte.

So gibt es einerseits anscheinend eine Sehnsucht nach der Verbindung von Körper, Geist und Psyche durch konkrete Körperangebote und auf der anderen Seite eine erhöhte Aufmerksamkeit, persönliche Grenzen zu achten.

Es scheint mir auf dem Hintergrund dieser Spannung lohnend, einen Blick darauf zu werfen, wie rein sprachliche – aber körpernahe – Interventionen wirken, die ich immer wieder in Supervisionen anwende.

Es handelt sich um eine fragmentarische, persönliche Auseinandersetzung.

Zunächst schaue ich auf Erfahrungen mit Körperarbeit in meiner Berufsgeschichte, danach auf von mir gelegentlich angewandte körpernahe Interventionen in der Supervision.

Vielleicht regen die Sätze zu eigenem Nachdenken an.

Zunächst ein Blick zurück in meine frühen Berufsjahre, einige Zeit bevor ich Supervisorin wurde:

Ich arbeitete in einer Wohneinrichtung für Menschen mit Schwerstmehrfachbehinderung, Menschen mit schwerster geistiger Behinderung, – besonders intensiv mit einigen Bewohner:innen, die als sehr herausfordernd in ihrem Verhalten erlebt wurden.

Sprache stand ihnen nicht zur Verfügung, einige konnten sich durch Laute bemerkbar machen, andere nicht.

Wir erkannten ihre Befindlichkeiten und Bedürfnisse so gut es ging an der Atmung und an der Körperspannung, selten gab es Blickkontakt. Krallen, Kratzen und Schlagen, Sich-selbst-verletzen waren Verhaltensweisen, mit denen Unwohlsein, Verzweiflung und Schmerzen gelegentlich ausgedrückt werden konnten.

Ich arbeitete gerne mit ihnen und ich bot an, was mir zur Verfügung stand: „Basale Kommunikation“ über gemeinsamen Atemrhythmus, Spiegelung der Laute und Bewegungen, Hand auf die Schulter legen, Singen. Manchmal gelang es, dass der Mensch mit Behinderung den Kopf wandte, für einen Moment Blickkontakt hielt und ein Lächeln versuchte.

Besondere Momente, die mir nachdrücklich in Erinnerung geblieben sind …!

Sehr körpernaher Kontakt also … Die Fragen nach Grenzachtung und missbräuchlichem Verhalten stellten sich täglich, wurden im Team oft neu verhandelt und mündeten immer wieder im gemeinsamen Einatmen-Ausatmen und in anderen körpernahen Angeboten.

Körperorientierte Fortbildungen mit umfangreicher Selbsterfahrung gehörten ganz selbst-verständlich einige Jahre zu meinem (Berufs-)Leben.

Erst danach folgte eine gruppendynamische Zusatzausbildung (agm) und die Supervisorinnen-Ausbildung beim FIS.

Dort lernte ich, differenzierter mit Sprache umzugehen, gut zuzuhören, Gesprochenes – und Unausgesprochenes – bei Einzelnen, in Gruppen und Organisationen zu deuten, sprachliche Interventionen bewusst zu setzen, aber auch Körpersignale wahrzunehmen – und Grenzen zu achten, und ich hörte die Mahnungen, vorsichtig zu sein bei sprachlichen Interventionen, die sich auf den Körper bezogen.

Gesamtgesellschaftlich rückten die Themen von Missbrauch und Grenzverletzung in den Vordergrund. Schutzkonzepte wurden erstellt. Auch in meinen Supervisionsprozessen hatte ich gehäuft mit Organisationen und Teams zu tun, die übergriffigen Umgang mit Klient:innen thematisierten.

Ich war eine Zeitlang wie abgeschnitten von meinen Erfahrungen und meinem Wissen über Körperarbeit, zudem auch meine persönliche Selbsterfahrung über Jahre eher über Sprache verlief und mich sehr bereicherte.

Und doch gab es immer wieder Situationen, in denen ich bewusst oder unbewusst in Supervisionen die Körpersprache thematisierte.

Einatmen-Ausatmen: Oft bemerkte ich es erst durch die Reaktion von Supervisand:innen – meist in Einzel- oder Gruppensituationen, dass ich hörbar ausatmete, wenn es sehr hektisch zuging oder wenn Sätze auf der Zunge lagen, aber noch nicht ausgesprochen werden konnten.

Einatmen-Ausatmen – es war mir so in Fleisch und Blut übergegangen. Manchmal wurde es mit einem Lächeln quittiert, oft eröffnete diese kleine (aber auch machtvolle?) Intervention neue Möglichkeiten.

Insgesamt gehe ich freier mit körpernahen Angeboten um.

Gelegentlich spreche ich – in Einzelsituationen – die Atmung an, wenn es mir schwer wird den schnellen Ausführungen zu folgen: „Sie haben Ihre Hand an den oberen Brustkorb gelegt. Wenn ich Ihnen zuhöre, werde ich selbst ganz atemlos.“ Fast immer bringt ein solcher Satz eine Wende.

Eine Einzelsupervisandin verabschiedet sich fast regelmäßig inzwischen mit dem Satz: „Ich weiß: Atmen nicht vergessen!“ Offensichtlich ist dieses Motto ihr als Leiterin eines mittelständischen Betriebes hilfreich, um keine vorschnellen Entscheidungen zu treffen.

Ich weise manchmal in Supervisionen darauf hin: „Seit Sie über das Thema berichten, sitzen Sie vorn auf der Sesselkante. Ist Ihnen das aufgefallen?“

Oder: „Wenn Sie in die Verhandlung mit Ihrem Vorgesetzten gehen, könnten Sie sich vornehmen, so zu sitzen, dass Ihnen die „imaginäre Krone“ nicht vom Kopf fallen kann.“

Etliche solcher kleinen Szenen fallen mir ein, in denen ich gelegentlich auf den Körper Bezug nehme. Meistens wird das als sehr hilfreich erlebt. Ganz selten, wirklich ganz selten, kommt es aber vor, dass ich einen kurzen Moment der Erstarrung erlebe. Zu nah? Es bleibt mir zu sagen: „Ich glaube, ich bin Ihnen gerade zu nah gekommen. Kann das sein?“ Dieser Satz ermöglicht dann oft wieder Neues, wird als sehr einfühlend erlebt und stärkt eher die Arbeitsbeziehung.

Zwei Situationen, in denen ich körpernahe, sprachliche Interventionen gestartet habe, möchte ich genauer beschreiben.

Beide Male befragte ich mich innerlich: Geht es um den/die Supervisanden/ Supervisandin oder geht es um meine eigenen Bedürfnisse?

Kann ich das gerade gut unterscheiden? Ich entschied mich jeweils für die Intervention.

Fallsequenz I:

Eine leitende Hebamme in einer Klinik, in der 9. Sitzung:

Sie hat die Neigung am Anfang eine Zeit lang zu klagen und sich – durchaus zu Recht – zu empören über die vielfältigen Situationen insbesondere mit Ärzten, von denen sie sich abgewertet fühlt. Meist fokussiert sie sich im Folgenden auf ein Thema und auf konkrete Szenen, die sie offen und reflektiert besprechen kann.

Dieses Mal nimmt die Empörung kein Ende. Sie lässt sich nicht fokussieren. Ich kann kaum noch zuhören.

Schließlich wage ich zu sagen: „Ich bin mit Ihrem Kiefer beschäftigt.“ Dabei fasse ich, wie ich erst im Nachgang bemerke, mit meinen beiden Zeigefingern an meine eigenen Kiefergelenke. Die Supervisandin stutzt, ihr steigen augenblicklich die Tränen in die Augen. Sie erzählt, sie habe in den letzten Monaten insgesamt sechs Beißschienen, die sie in der Nacht zum Schutz der Zähne vor Knirschen trägt, kaputt gebissen.

Dann berichtet sie, dass sie ihren Töchtern die Wohnung gezeigt hat, in die sie ziehen wird, jetzt wo die Trennung vom Vater der Kinder entschieden sei. Sie weint, ist aber stolz auf ihren Schritt…

Dann kommt sie thematisch auf die Klinik zurück und bearbeitet eine Krisensituation, in der sie und der Oberarzt aneinandergeraten sind.

Meine Intervention hat etwas gelockert. Auch im Nachgang fand ich sie passend: für diese konkrete Situation, mit dieser Supervisandin auf dem Hintergrund unserer Beziehung. Mir scheint, diese Erfahrung hat unser Arbeitsbündnis gestärkt. Die Supervisandin erlebt die Sitzungen als wertvoll und nutzt sie weiterhin aktiv.

Fallsequenz II:

Obwohl die Situation 2 Jahre zurückliegt, erinnere ich mich intensiv an sie:

Eine Gruppe von Einrichtungsleiter:innen bei unterschiedlichen Trägern, die seit Jahren in der fast gleichen Konstellation zu mir in die Praxis kommen …:

Diesmal teilt Herr F, der Leiter einer Jugendhilfeeinrichtung, am Ende der Anfangsrunde unvermittelt mit, er wisse seit Kurzem, dass er an einer aggressiven Form von Krebs erkrankt sei. Man habe ihm mitgeteilt, er habe nur noch wenige Monate zu leben. Er spricht gefasst … Es folgen 2 aufgeregte Nachfragen. Dann erstarrt er und mit ihm die Gruppe, ich einschließlich. Wir alle sind absolut hilflos dieser Mitteilung gegenüber. Herr F. ist sehr gemocht wegen seiner einfühlsamen und emotional klugen Art.

In das hilflose Schweigen hinein sage ich schließlich zu Herrn F, der neben mir sitzt: „Sie wissen, dass ich hier in der Gruppe ohne Körperkontakt arbeite. Das werde ich auch jetzt nicht ändern. Sie sollen aber wissen, dass ich den deutlichen Impuls verspüre, Ihnen die Hand herüberzureichen.“ Augenblicklich beginnt Herr F. zu weinen, auch anderen treten die Tränen in die Augen. Dann geschieht etwas, womit ich nicht gerechnet habe. Von der anderen Seite wird Herrn F. vorsichtig eine Hand von dem neben ihm sitzenden Teilnehmer angeboten. Der ergreift sie sofort, und die zwei Männer sitzen für eine Zeit Hand in Hand in der Runde. Tränen fließen. Das Schweigen ist jetzt ein anderes: gelöst und abwartend … Die beiden Hände lösen sich voneinander. Ich frage, ob jetzt der passende Zeitpunkt ist, an mitgebrachten Fällen zu arbeiten. Ja! Und das gelingt im Folgenden gut.

Herr F. kommt noch einige Male zu den Sitzungen. Er berichtet jeweils am Anfang kurz über den Verlauf der Krankheit, weint auch, wird von der Gruppe getragen und ist wie gewohnt ein guter Berater und Falleinbringer. Nach einigen Wochen bekommen wir die Todesanzeige.

Als Supervisorin berühre ich also gelegentlich durch körpernahe Interventionen, ohne körperlich zu berühren.

Ein Wagnis, oft eine Brücke … und immer wieder aufs Neue zu überprüfen.

Ich selbst bin durch diesen Artikel angeregt, mit Kolleg:innen über diese Spannungen bei körpernahen Interventionen ins Gespräch zu kommen.

Wie halten Sie es?

Mechthild von Prondzinski

Supervisorin (DGSv) und Balintgruppenleiterin (FiS) in eigener Praxis Münster — www.mvp-supervision-muenster.de

Einatmen – Ausatmen. Körpernahe Interventionen in Supervisionen