Liebe Supervisionskolleginnen und -kollegen, liebe an diesem Newsletter und an Supervision Interessierte,

wie schon an anderer Stelle mitgeteilt, gibt es seit diesem Jahr jährlich jeweils zwei Newsletter mit Fachbeiträgen und Buchempfehlungen und zwei Newsletter in Form eines Infobriefs, der über Veranstaltungen und Aktuelles aus dem FiS informiert.

Bei der Vorbereitung der Newsletter mit Fachbeiträgen gibt es inzwischen die Erfahrung, dass es viel Interesse und Bereitschaft von SupervisorInnen gibt, sich mit der eigenen Supervisionspraxis und den Überlegungen zu fachlichen Fragen auch öffentlich zu zeigen. Das freut uns natürlich. Wir erleben das als eine Form der Professionalität, die Selbstreflexion und kollegialen Austausch als festen Bestandteil hat. Gleichzeitig hat dies aber in der Vergangenheit manchmal dazu geführt, dass die einzelnen Newsletter zwar sehr gehaltvoll waren, aber auch teilweise so viele Beiträge enthielten, dass die LeserInnen mit der Fülle überfordert waren und nur ausgewählte Aufsätze lesen konnten.

Wir werden deshalb die Anzahl der Beiträge in Zukunft auf vier bis 6 Texte beschränken und uns vorbehalten, die fachliche Diskussion zu einem Thema auch auf 2 Newsletter auszudehnen.

Beim Nachdenken über mögliche Themen für den aktuellen Newsletter wurde uns bewusst, dass sich in diesen Zeiten von Krisen, Verunsicherungen, Zukunftsängsten natürlich gesellschaftliche, politische, zeitkritische Fragen auch im Umfeld von Supervision für die Reflexion unserer professionellen Rolle anbieten, geradezu aufdrängen. Gleichzeitig haben wir unser Bedürfnis bemerkt, uns auch weiterhin mit fachlichen, konzeptionellen und methodischen Fragen auseinanderzusetzen.

Und dafür haben wir uns dann entschieden – in der Hoffnung, dass die konzeptionellen und methodischen Reflexionen unserer AutorInnen Sie – ähnlich wie uns – anregen, neue Gedankenwege zu gehen und scheinbar Selbstverständliches noch einmal neu zu hinterfragen.

Ausgangspunkt für die Themenwahl war unsere Erfahrung, dass jede/r von uns durch Ausbildung und reflektierte Praxis einen professionellen Habitus entwickelt hat, der dabei hilft, den vielfältigen, komplexen Szenen, denen wir in unseren Supervisionen ausgesetzt sind, rollenangemessen begegnen zu können. Und dies auf dem Hintergrund eines supervisorischen Konzepts, das unsere Interventionen begründet.

Gleichzeitig bringt jede/r von uns unterschiedliche Ausbildungen, Fort- und Weiterbildungen, berufsbiografische Erfahrungen mit, aus denen Sichtweisen und methodische Elemente vertraut sind, die auf den ersten Blick vielleicht nicht nahtlos in unser supervisorisches Konzept zu passen scheinen, die aber in supervisorische Wahrnehmungen und Interventionen mit einfließen und in manchen Situationen durchaus diagnostische Prozesse fördern und vorausschauendes Handeln erproben können.

Unser Konzept, das ein gründliches Verstehen beruflicher Konflikte ermöglichen soll, bezieht sich auf die Nahtstellen zwischen Person, Rolle, Gruppe, Organisation und Gesellschaft. Die theoretischen Hintergründe von Psychoanalyse, Gruppendynamik und Organisationssoziologie ergänzen sich dabei durch ein Angebot unterschiedlicher Blickrichtungen im Rahmen der diagnostischen Arbeit und ermöglichen so das umfassende Verstehen vielschichtiger (psychisch, interaktionell und organisationsdynamisch begründeter) Szenen.

Psychoanalyse und Gruppendynamik verbindet im diagnostischen Prozess das gemeinsame Verständnis von der Normalität menschlicher Konflikthaftigkeit. Betrachtet man allerdings die Interventionsebene, so muss man sich durchaus mit konzeptionell begründeten Spannungen auseinandersetzen.

Während die psychoanalytische Haltung durch Abstinenz, Übertragungs-Gegenübertragungsanalyse, freischwebende Aufmerksamkeit, die Suche nach Unbewusstem, nach biografisch Begründetem geprägt ist, beinhaltet die gruppendynamische Haltung durchaus aktive, den Gruppenprozess steuernde, die eigene Person auf einer realen Beziehungsebene einbringende Verhaltensmuster.

Die Entwicklung einer supervisorischen Haltung, eines professionellen Habitus auf diesem Hintergrund erfordert also von Anfang an die Integration verschiedener Interventionsebenen in der Gestaltung der supervisorischen Beziehung, immer verbunden mit dem Anliegen, das eigene professionelle Verhalten zu reflektieren und damit auch begründbar zu machen.

Die Entwicklung eines eigenen „Stils“, die mögliche Integration konzeptfremder Elemente, und die Frage, wie viel Ergänzung, Erweiterung, Veränderung, Integration unterschiedlicher Wahrnehmungsmuster und methodischer Elemente möglich sind, ohne konzeptionelle Sicherheit zu verlieren, bleiben Bestandteil unserer supervisorischen Rollengestaltung. Verbunden mit der kontinuierlichen Analyse unseres Handelns und seiner Motive – situativ und grundsätzlich.

Die Autorinnen und Autoren unseres Newsletters setzen sich auf lebendige und vielfältige Weise mit diesen konzeptionellen Fragen auseinander, nehmen Bezug zu theoriegeleiteten Überlegungen, reflektieren ihre individuellen Hintergründe und gewähren uns spannende Einblicke in ihre Supervisionspraxis.

Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen und eine erholsame und entspannte Sommernische an schönen Orten.

Ihr Redaktionsteam: Elisabeth Gast-Gittinger, Ulrike Wachsmund, Inge Zimmer-Leinfelder

Beiträge

Zutrauen als Haltung – Supervisorischer Habitus und gruppenanalytische Grundhaltung

Wolfgang Dinger

Der Autor – erfahrener Supervisor und Gruppenanalytiker – setzt sich in seinem Text mit Grundelementen der gruppenanalytischen Haltung im Kontext des supervisorischen Habitus auseinander. Dabei wird die Bedeutung des Zutrauens in eine Gruppe als wesentliche Fähigkeit zur Bewältigung von Krisen theoretisch begründet und in einem Fallbeispiel anschaulich illustriert.

Zwischen Raps und Resonanz

Sabine Benninghoff

Das Erleben der besonderen architektonischen Gestaltung einer Feldkapelle und deren Wirkung auf die Besucherin regt Sabine Benninghoff an, über die Bedeutung des geschützten Raums in Supervision und Balintgruppe nachzudenken. Ihre Kompetenz für reale Räume als Innenarchitektin wird übertragen auf den durch Haltung und Struktur geprägten geschützten supervisorischen Raum, der Halt gibt und tiefes Verstehen ermöglicht.

Supervision in Bewegung

Lothar Reuter

Entwickelt in der Not der Pandemie, begibt sich Lothar Reuter mit seinen EinzelsupervisandInnen in die freie Natur und entdeckt, dass dieses Beschreiten gemeinsamer neuer Wege keine Notlösung ist. Er reflektiert die Unterschiede zur Supervision im Sitzen in einem geschlossenen Raum, entdeckt die Auswirkungen im Umgang mit Schweigen, erlebt neue Momente von Nähe und Distanz, macht Erfahrungen mit nicht geplanten Begegnungen, und man kann sich gut vorstellen, dass auch nach der Entspannung im Umgang mit Corona manche Einzelsupervision im Wald stattfindet.

Alles ist immer schon da!

Rosa Budziat

Rosa Budziat reflektiert in ihrem Aufsatz die Integration ihrer verschiedenen Ausbildungen. Dabei beschreibt sie am Beispiel ganz konkreter Supervisionsszenen, wie sie Elemente der unterschiedlichen Ansätze im Diagnoseprozess nutzt, um Verstehen zu ermöglichen. Es ist spürbar, wie viel Freude ihr diese Art des Arbeitens mit unterschiedlichen Herangehensweisen macht und wie sie dabei den Ansatz Foulkes, dass alles schon gegenwärtig sei, wenn wir es nur wahrnehmen und dabei helfen können, es manifest werden zu lassen, lebendig werden lässt.

Einatmen – Ausatmen. Körpernahe Interventionen in Supervisionen

Mechthild von Prondzinski

Körperarbeit – im früheren beruflichen Kontext der Autorin und entsprechenden Fortbildungen selbstverständliches Element der professionellen Beziehungsgestaltung – verliert im Rahmen der Entwicklung einer supervisorischen Identität ihre Bedeutung. Mechthild von Prondzinski setzt sich reflexiv und praxisorientiert mit der Frage auseinander, ob und wie sie situativ begründet und eher in Form behutsamer körpernaher Interventionen sinnvoll körperliche Reaktionen aufgreifen und für den Verstehensprozess nutzen kann.

Zur Integration eines Rollenspiels als konzeptfremdes Element in einer Balintgruppe

Dr. Brigitte Becker

Die Autorin beschreibt die Szene in einer neuen, mit Balintarbeit noch nicht vertrauten Balintgruppe, in der sie spontan zur in diesem Setting eher unüblichen Methode des Rollenspiels greift. Rückblickend reflektiert sie diese Intervention differenziert, um ihre eigenen Motive zu verstehen. Dabei nimmt sie die Gruppensituation, eigene Vorerfahrungen und Befürchtungen und die Beziehungsdynamik mit der Protagonistin in den Blick. Sie misst dieser methodischen Intervention einen Platz als Zwischenschritt zur Hinführung zur Balintarbeit bei.

Buchempfehlungen

Ferdinand Sutterlüty (2025): Widerstehen. Versuche eines richtigen Lebens im falschen

Dr. Bernadette Grawe

Vorwort