Ein Beispiel mit Reflexion zur Frage, wie ich dazu kam

1. Erstkontakt und Kontraktentwicklung

Vor einigen Jahren erhielt ich eine Anfrage nach Supervision von einer Gruppe, die aus fünf Schulseelsorger*innen bestand. Schulseelsorger sind Religionslehrer*innen, die eine kirchliche Weiterbildung durchlaufen haben und neben ihrer Unterrichtsarbeit für die Gestaltung von Schulgottesdiensten und Andachten, Krisenintervention und seelsorgerische Beratung in ihren Schulgemeinden zuständig sind.

Obwohl ich mir vorgenommen hatte, meine Praxis angesichts meines Alters zu verkleinern und nur noch Aufträge in der unmittelbaren Umgebung anzunehmen, reizte mich diese Anfrage, war es doch eine seltene Gelegenheit, mit dieser Gruppe nach der Balintmethode zu arbeiten. Ich fuhr also zu einem ersten Kennenlernen. Der dort entwickelte Auftrag lautete im Wesentlichen Fallsupervision und die reflektierende Begleitung der Anforderung, das noch neue Aufgabenfeld der Schulseelsorge in den jeweiligen Schulen bekannt zu machen und zu implementieren. Meine Frage, wie die Gruppe darauf gekommen war, mich anzufragen, wurde wie folgt beantwortet: Eine Schulseelsorgerin ist befreundet mit einer Supervisandin, deren Team ich in den vergangenen fünf Jahren begleitet hatte.

Mein Angebot, nach der von Balint entwickelten Methode mit der Gruppe zu arbeiten, stieß nach kurzer Darstellung der Methode auf Interesse. Allerdings merkte ich an, dass die Ausstattung des Besprechungsraums, in dem wir uns getroffen hatten, für die Supervisionsarbeit nicht geeignet sei: große, schwere Tische mit Stühlen darum herum. Es wurde beschlossen, nach einer anderen räumlichen Lösung zu suchen.

Die Gruppe bestand aus zwei Personen, die eine ganz normale Lehrerausbildung absolviert hatten, einer Religionspädagogin und zwei sogenannten Seiteneinsteigerinnen, die ihre Lehrtätigkeit nach einer ersten Berufsphase und einer „Familienphase“ aufgenommen hatten und in Schulen kirchlicher Trägerschaft tätig waren. Im Kennenlerngespräch wurde mir gegen Ende auch die „Gretchenfrage“ (Wie hältst du’s mit der Religion?) gestellt. Ich konnte auf viele Jahre Arbeit als Supervisorin in der Telefonseelsorge verweisen und auf eine ehrenamtliche Tätigkeit in Kindergottesdiensten.

2. Die Szene

Die erste inhaltliche Sitzung fand in einem großen Raum mit zwei langen Fensterfronten statt, der Raum wirkte wie ein Speisesaal. Wir richteten unseren Stuhlkreis in einer Ecke ein.

Schon beim Ankommen war mir Frau S. aufgefallen. Sie war sehr sportlich gekleidet, hatte ihre Haare zusammengebunden und einen großen Rucksack dabei, den sie im Raum ablegte. In der Anfangsrunde erklärte sie, dass sie nachher gleich von hier aus auf Klassenfahrt gehen würde, heute komme sie mit einem dringenden Anliegen in die Supervision.

Frau S. berichtete sichtlich erregt von der Entwicklung eines Beratungskonzepts in ihrer Schule. Es handelt sich um eine Primar- und Sekundarschule mit Haupt-, Realschul- und Gymnasialzweig. Die Beratergruppe, zu der neben ihr noch Vertreterinnen der anderen Schulzweige sowie die Schulsozialarbeiterin gehören, habe bisher vertrauensvoll und erfolgreich zusammengearbeitet. Das Konzept habe man gemeinsam in einer Form des Learning by Doing entwickelt. Sie selbst habe in diese Konzeptarbeit viel Herzblut und persönliche Überzeugungen investiert. Vor kurzem sei eine Gymnasiallehrerin hinzugestoßen, die gerade die vom staatlichen Schulamt angebotene Weiterbildung zur Beratungslehrerin abgeschlossen hatte. Diese Kollegin habe das bisherige Beratungskonzept als nicht angemessen kritisiert, es entspräche nicht dem, was sie in ihrer staatlich anerkannten Ausbildung bei den Schulpsychologen gelernt habe. Sie kündigte an, das Konzept zu reformieren und spielte sich aus Sicht von Frau S. als Leiterin der Beratergruppe auf. Frau S. hatte das Gefühl, ihr sei der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Die beziehungslose und technokratische Art, wie die Gymnasialkollegin hier übernehme, empfinde sie als entwertend. Deren Art stehe in scharfem Kontrast zu ihren eigenen Überzeugungen und ihrer Beratungshaltung. Sie könne sich nicht vorstellen, mit dieser Frau produktiv zusammen zu arbeiten.

Nach dieser Fallvorstellung ahnte ich, wie existentiell dieser Fall für das berufliche Selbstkonzept der Fallgeberin war. Ich wollte diesen Fall versorgt wissen, die Fallgeberin mit einer gewissen Beruhigung auf die Klassenfahrt gehen lassen. Die Gruppenmitglieder hatten der Fallerzählung, soweit ich das einschätzen konnte, aufmerksam zugehört. Allerdings waren sie im freien Assoziieren noch ungeübt. Und ich hatte viel Erfahrung mit Lehrer*innen in der Supervision. Für sie ist es besonders schwer, eine emotional herausfordernde Situation nicht sofort mit Lösungsideen zu beantworten.

Ich schlug ein Rollenspiel vor. Ich würde die Rolle der Gymnasiallehrerin spielen und bat ein Gruppenmitglied, die Rolle der Fallgeberin zu übernehmen. Dazu erklärte sich die Religionspädagogin spontan bereit. Ich kann dieses Rollenspiel hier nicht im Einzelnen wiedergeben. Ich weiß nur, dass ich eine „diebische Freude“ daran hatte, die hohle Überheblichkeit, die Autoritätsorientierung und den Machtwillen der Gymnasiallehrerin zu mimen. Meine Partnerin im Rollenspiel schlug sich tapfer, in der Rolle brauchte ich nur nicht auf ihre Argumente einzugehen, sondern immer, wenn sie einen „Treffer“ erzielt hatte, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

Nach dem Rollenspiel bat ich zunächst die Fallgeberin und dann die anderen Gruppenmitglieder um ihre Reaktionen. Für die Fallgeberin schien das Rollenspiel eine zutreffende Spiegelung der Situation zu sein. Sie zog aus dem Erlebten die Konsequenz, bei der Schulleitung Unterstützung für diesen Konflikt, in dem sie sich hier verstanden fühle und den sie jetzt klarer benennen könne, zu suchen.

Obwohl ich in dieser Sitzung nicht nach der Balintmethode gearbeitet hatte, hatte ich am Ende der Sitzung das Gefühl, das Vertrauen der Gruppenmitglieder in meine supervisorische Arbeit gewonnen zu haben.

3. Reflexion

Das Rollenspiel ist weder Bestandteil des vom FIS gelehrten und vertretenen Supervisionskonzepts noch für die Arbeit von Balintgruppen. Dennoch bin ich in der beschriebenen Szene darauf „verfallen“. Wie kam ich dazu?

3.1. Die Kooperation Schulpsychologin mit Lehrer*innen

Meine Reflexionen dazu reichen tief in meine Berufsbiographie und einige durchlebte Konfliktspannungen. Als Schulpsychologin (1980–1995) war es mein Rollenauftrag, bei Lehrkräften für die Unterstützung durch Beratung zu werben, was nur bei einer Minderheit gelang. Die übliche Form war, dass Lehrpersonen eine Beratung initiierten. Sie hatten die Eltern und Schüler*innen als beratungsbedürftig identifiziert und an die Beratungsstelle verwiesen. Einige wenige reagierten bereits pikiert beim Versuch, sie in den Beratungsprozess einzubeziehen, bei anderen entstand auf dieser Basis eine gewisse Wertschätzung der Ressource Beratung auch für die Reflexion des eigenen beruflichen Handelns. Wenige nutzten die Möglichkeit einer kontinuierlichen, prozesshaften Begleitung durch Beratung.

Der Wunsch, Lehrer*innen ein qualifiziertes Beratungsangebot zu machen, das über das hinausgeht, womit ein wissenschaftliches Psychologiestudium einen ausstattet und was ich – konfrontiert mit vielfältigen beruflichen Aufträgen – noch so dazu gelernt hatte, motivierte mich, eine Weiterbildung zur Supervisorin zu beginnen. Meine schulpsychologische Arbeit hatte mich gelehrt, dass „Schulprobleme“ nicht nur genetisch oder familiär bedingte Lernschwierigkeiten oder soziale Auffälligkeiten sind, sondern dass viele Schulprobleme eben auch durch die Strukturen des Systems Schule entstehen, nicht zuletzt dadurch, dass auch das durch diese Strukturen geprägte Lehrerhandeln Probleme verursacht. Letzteres ist eine Binsenweisheit für jede Person, die die Schule durchlaufen hat, dennoch wird diese Tatsache in der Institution Schule weitgehend tabuisiert, mit der Nebenwirkung, dass ethisch verantwortliche Lehrer*innen ein beständiges Gefühl begleitet, einem Teil ihrer Schüler nicht gerecht zu werden oder nicht vorschriftsgemäß zu agieren.

Wenn Lehrpersonen ihre Rolle nicht auf den Unterricht begrenzt sehen, sondern sich in einer ethischen Haltung für ihre Schüler engagieren, dann verdient das Anerkennung. In der beschriebenen Szene war von Entwertung dieser Haltung und von einer Bemächtigung die Rede, deren Motivation nur erahnt werden konnte. Ich kannte aus eigener Erfahrung nur zu gut, dass nicht eine durch Reflexion von Erfahrung erworbene persönliche Haltung, sondern Status, in diesem Fall ein staatlich anerkannter Kursabschluss, bestimmt, was richtig sein soll.

Mit diesem meinem Erfahrungshintergrund war ich in den Fall verwickelt und wollte mich im Supervisionsgespräch positionieren, was mir in der Rolle der Balintgruppenleiterin zunächst so nicht möglich gewesen wäre. Gleichzeitig kannte ich die Gruppe noch nicht ausreichend, um mir sicher zu sein, dass die Fallgeberin ausreichend Schutz und Wertschätzung erfahren würde, ohne dass am Problem vorbeigeredet würde.

3.2. Die Supervisorin in der Lehrerausbildung

Das FIS-Konzept vereint eine Reihe von Komponenten, die im Zusammenhang meiner Reflexion der oben beschriebenen Szene bedeutsam sind: Es setzt sich auseinander mit Konstrukten der psychoanalytischen Theorie und deren Anwendung auf Dynamiken beruflichen Handelns im Rahmen beruflicher Organisationen und deren Strukturen. Dabei ist das Wirken von Unbewusstem besonders bedeutsam. Was wird abgewehrt, was übertragen und wie wird das Übertragene aufgenommen, dem Gegenüber bewusst, diagnostisch nutzbar und zur Klärung des Anliegens ins Gespräch gebracht? –

Das FIS-Konzept fokussiert sozialpsychologische, insbesondere gruppendynamische Aspekte, die wirksam sind, wo immer Menschen kooperieren. Selbstreflexion und Selbstaufklärung werden im Rahmen der FIS-Weiterbildung zu einem professionellen Habitus.

Ausgestattet mit Erfahrungen und dem Durcharbeiten dieses Konzepts in von mir geleiteten und reflektierten Supervisionsprozessen – nicht nur mit Lehrer*innen – wechselte ich von der schulpsychologischen Beratung zur Lehrerausbildung an eine Pädagogischen Hochschule (PH). Eine wichtige Motivation für diese neue Aufgabe, war das Anliegen, Lehrer*innen schon im Rahmen der Ausbildung für eine selbstreflexive Haltung aufzuschließen und ihnen Wege zu weisen, wie dies gelingen kann. Recht bald wurde ich an der PH mit der Leitung eines Erweiterungsstudiengangs Beratung betraut, ein Zusatzangebot, das Studierende freiwillig annehmen konnten, allerdings ohne einen garantierten Anspruch auf Vorteile etwa bei den späteren Anstellungschancen oder zur Übernahme von Beratungsaufgaben in der Schule. Ich war und bin der Überzeugung, man kann nicht Beratungslehrer*in werden, bevor man Lehrer*in ist, so wie man nicht Supervisorin werden kann, ehe man Erfahrungen in einer Berufsrolle gesammelt hat. Wer dieses Erweiterungsstudium, ausgelegt auf zwei Semester, aufnahm, tat es aus persönlichem Interesse.

Mit den Lehrveranstaltungen, die ich zu diesem Studiengang beisteuerte, konnte ich die theoretischen Grundlagen und praktischen Erfahrungen meiner im Wesentlichen durch die Weiterbildung zur Supervisorin gewonnenen Beratungshaltung in meine Lehre einbringen. Darüber hinaus setzte ich mich mit verschiedenen anderen Beratungsansätzen und Methoden auseinander, die ich nicht nur theoretisch, sondern auch in Übungen mit den Studierenden darstellte. Rollenspiele, in denen ich auch selbst Rollen übernahm, waren in diesem Zusammenhang eine häufig gewählte Methode, so auch das Switchen von der Rollenspielerin zur Leiterin des Settings, in dem die Übungen jeweils reflektiert werden sollten.

Die „diebische Freude“, die ich in der oben beschriebenen Szene an der Darstellung der Gymnasiallehrerin erlebte, hatte noch weitere Quellen. Mit meinem Erweiterungsstudiengang Beratung leitete ich zwar nicht formal, aber doch inhaltlich eine Art Konkurrenzunternehmen zur Beratungslehrerausbildung durch die Schulpsycholog*innen der Staatlichen Schulämter. Ich kannte das Curriculum, darin wurde großer Wert auf die sachgemäße Anwendung psychometrischer Tests und deren Auswertung gelegt. Wie überhaupt die an naturwissenschaftlicher Methodik orientierte akademische Psychologie mit ihren empirischen Erkenntnissen die Grundlage dieser Ausbildung bot. Die sogenannten soft Skills wie Beziehungsorientierung und Beratungshaltung spielen hier eine untergeordnete Rolle. Meine persönliche Erfahrung mit großen Teilen der akademischen Psychologie ist die weitgehende Ablehnung der psychoanalytischen Theorie als unwissenschaftlich. Damit verbunden ist das Phantasma der Objektivität des Diagnostikers und damit auch des Beraters. Das war der Hintergrund meines Zugangs zur Rolle der Gymnasiallehrerin, die überzeugt von objektiver Richtigkeit der von ihr angeeigneten Kenntnisse das, was sie in ihrer Schule als Beratungskonzept vorfand, entwerten musste. Die sozialen Folgen ihres Handelns waren ihr entweder nicht klar oder sie nahm sie in Kauf, um einen Machtkonflikt zu provozieren. Mit einer solchen Haltung wird Beratung in der Schule zu einem Machtinstrument.

3.3. Die Weiterbildung zur Balintgruppenleiterin

Im Rahmen der Weiterbildung zur Balintgruppenleiterin wollte ich nochmals tiefer in die Anwendung psychoanalytischer Konzepte im Rahmen der Arbeit mit Gruppen eindringen und das Gruppengeschehen besser verstehen, begleiten und leiten lernen. Es gelang mir, eine Balintgruppe von sieben Lehrerinnen zusammenzustellen, um den praktischen Teil der Balintgruppenleitung zu lernen und zu üben. Die Gruppe bestand aus vier Grundschullehrerinnen, zwei Real- und einer Gymnasiallehrerin. Letztere war die Einzige, die ich nicht direkt angesprochen und auf mein Angebot hingewiesen hatte, sondern die auf mich zukam, weil ihr die Teilnahme an einer Balintgruppe von einer Psychotherapeutin – quasi als Nachsorge – empfohlen worden war.

In der ersten Sitzung der Gruppe brachte sie einen Fall ein. Sie beschrieb einen Konflikt mit einem Schüler der Abiturklasse, der die Mitarbeit in ihrem Ethikkurs verweigere und als Meinungsführer der Klasse ihren Unterricht sabotiere. Die Fallgeberin fühlte sich von diesem Schüler sehr provoziert und äußerte einige aggressive Phantasien, wie sie diesen Schüler zur Räson bringen wolle. In ihrem Kollegium fände sie allerdings keine Unterstützung, sie erlebe sich dort isoliert. Sie hoffe nun auf Verständnis in der Balintgruppe. Sowohl ich als auch die Gruppenmitglieder waren mit diesem Fallbericht aufs höchste herausgefordert. Der Aufforderung, ihre Assoziationen, Gefühle, Bilder einzubringen kamen sie nur sehr zögerlich nach, von freier Assoziation konnte keine Rede sein. Es entstand eine beklemmende Situation, die dadurch verstärkt wurde, dass ich mich in der neuen Rolle gefangen und blockiert fühlte und zunächst nichts zur Auflösung der Beklemmung tun konnte. Erst mein Impuls an die Gruppe, zu phantasieren, was den Schüler bewegt haben könnte, so abweisend zu agieren, konnte die emotionale Wucht der Szene in Ansätzen aussprechbar machen.

Möglicherweise hat diese unangenehme Erfahrung auch nach Jahren in die Anfangsszene meiner neuen Balintgruppe hineingewirkt, so dass ich mir die Freiheit nahm, eine andere Arbeitsmethode vorzuschlagen als die verabredete. Eine Methode, in der ich durch Aggressionsabfuhr im Rollenspiel erst einmal für mich selbst sorgen konnte, um dann wieder zu meiner Leitungsrolle zu finden.

4. Wie es mit der Gruppe Schulseelsorger*innen weiterging

Meine Annahme, dass sich die Fallgeberin unserer ersten Sitzung nachhaltig in der Selbstdefinition ihrer Berufsrolle getroffen sah, bestätigte sie in einer Mail an mich vor der folgenden Sitzung. Sie meinte, keinen Anspruch mehr auf die Teilnahme an der Gruppe zu haben, weil sie an dieser Schule nicht mehr als Schulseelsorgerin wirken könne und wollte sich abmelden. In meiner Antwort bat ich sie zum einen noch einmal zur Gruppe zu kommen, um die Gruppe am Fortgang des Konflikts teilhaben zu lassen. Zum anderen empfahl ich ihr, ehe sie ihren schulseelsorgerischen Auftrag quittiert, mit der für die Schulseelsorger zuständigen kirchlichen Schuldekanin das Gespräch zu suchen. Frau S. kam zur Sitzung und blieb weiter Mitglied der Gruppe, wechselte allerdings zum nächsten Schuljahr die Schule, wo sie einen besser passenden Rahmen für ihre Arbeit fand.

Die Gruppe wurde im weiteren Verlauf zu einer Balintgruppe mit intensiver Fallarbeit.

5. Zur Integration eines konzeptfremden Elements

Das Rollenspiel ist vordergründig ein fremdes Element in der Balintgruppenarbeit sowie im Supervisionskonzept des FIS. Es ist ein methodisches Element, das eher im Psychodrama oder im systemischen Arbeiten genutzt wird. Allerdings bleibt für mich die Frage, ob dieses methodische Element wirklich so konzeptfremd ist. Schließlich wird in den jeweiligen Weiterbildungsgängen des FIS oder der Weiterbildung zur Balintgruppenleitung das Rollenspiel als Element durchaus genutzt, um die angestrebten Rollen szenisch einzuüben. Ich kann mich auch erinnern, dass ich als Teilnehmerin in einer langjährigen Balintgruppe durchaus mit methodischen Elementen wie Systemaufstellungen experimentiert habe.

Wie kompatibel ist das angeleitete Einnehmen der Rolle einer fremden Person mit dem psychoanalytischen Konzept der Balintgruppe? – Das Konzept der Balintgruppe geht davon aus, dass sich in den Assoziationen und Interaktionen der Gruppe wesentliche Dynamiken aus dem Fallbericht spiegeln. Das geschieht vornehmlich durch spontane Identifikationen der Gruppenteilnehmenden mit im Fallbericht dargestellten Personen. Nur dass hier die Identifikation nicht zugeordnet wird, sondern spontan und häufig unbewusst geschieht und im Gesprächsverlauf auch wechselt. In seinen Deutungen und Kommentierungen kann die Balintgruppenleitung die Spiegelung erkennen und benennen. Die Inszenierung soll nicht durch Leitungshandeln vorstrukturiert werden. So erhält das Unbewusste möglicherweise mehr Freiraum, sich zu zeigen und zu entfalten. Auf diese Weise wird ein tieferes und umfassenderes Verstehen des Falls ermöglicht.

Andererseits bedarf es erst zu erlernender Haltungen seitens der Gruppenmitglieder: die freischwebende Aufmerksamkeit beim Anhören des Fallberichts, das freie Assoziieren beim Austausch, was ja bedeutet, alles sagen, was in den Sinn kommt, und das in einem anfangs noch fremden Gruppenkontext – welche Anforderungen!

Die Balintgruppenarbeit ist dann fruchtbar, wenn die Gruppe in der Methode geübt ist. Vielleicht war das Rollenspiel in meiner Balintgruppe ein Zwischenstück, um zur Arbeit nach der Balintmethode hinzuführen. Auf jeden Fall war es für mich als Leiterin der neuen Gruppe ein Element, das mir Sicherheit gegeben hat, mit der Fallgeberin und der Gruppe in eine haltende Beziehung zu kommen.

Dr. Brigitte Becker

Diplom-Psychologin, Supervisorin, Balintgruppenleiterin. Berufspraxis als Schulpsychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an einer Pädagogischen Hochschule.

Zur Integration eines Rollenspiels als konzeptfremdes Element in einer Balintgruppe