Organisationsdynamische Realitäten

Guten Morgen! Sehr geehrte Damen und Herren, geschätzte Kolleginnen und Kollegen,

vielen Dank, liebe Petra Schimmel für deine einleitenden Worte und die freundliche Ankündigung meines Beitrags.

In der Vorbereitungsgruppe für die 16. FiS-Supervisionstage sind wir für die Planung dieser Veranstaltung mit unseren Erfahrungen aus Supervisions- und Coachingprozessen gestartet und haben dabei überprüft, ob und welche Gemeinsamkeiten sich in diesem Austausch auffinden lassen. Schnell sind wir bei den aktuellen gesellschaftlichen Ereignissen gelandet, die viele unserer Klient*innen und uns selber zur Zeit bewegen, betreffen und beschäftigen:

Ich nenne exemplarisch

  • die Belastungen während der Corona-Pandemie und die bis heute anhaltenden Nachwirkungen,
  • die mit der Pandemie verbundenen gesundheitlichen Schädigungen oder noch anhaltende Einschränkungen durch long-covid,
  • die mit der Pandemie zusammenhängenden wirtschaftlichen Einbußen bis zur Zerstörung von beruflichen Existenzen,
  • damit verbundene Zukunftsängste,
  • die uns geographisch und emotional näher rückenden Kriegsereignisse in der Ukraine und im Nahen Osten,
  • die bedrohlichen innenpolitischen Entwicklungen mit Polarisierungs- und Spaltungstendenzen in unserer deutschen, aber auch den europäischen Gesellschaften,
  • die demographische Entwicklung in Deutschland und daraus resultierende Folgen für den Arbeitsmarkt, die Rentenfrage und die Pflegesituation.
  • die Problemstellungen und Gefährdungen im Gefolge der Klimakrise

Sie alle werden diese und weitere Themen aus Ihrer beruflichen Tätigkeit, aber auch aus den privaten Kontexten kennen und täglich erleben.

Unsere Überlegung in der Vorbereitungsgruppe war, dass sich alle diese Themen in den verschiedensten Facetten und Maskierungen in Organisationen wiederfinden und dort im Untergrund (im Verborgenen) Einfluss nehmen auf das Verhaltens- und Handlungsgeschehen in Organisationen. Die umgebenden gesellschaftlichen Geschehnisse spiegeln sich also in Organisationen und werden dort manchmal sehr offensichtlich, manchmal sehr verdeckt wirksam, indem sie in das Handeln von Einzelnen, aber auch ganzen Teams subtil einfließen. Diesen Auswirkungen möchten wir in dieser Tagung nachgehen und auf die Spur kommen. Die bisherigen Beiträge werden Ihnen dazu bereits vielfältige Anregungen und „Futter“ zum Weiterdenken gegeben haben.

In meiner supervisorischen Arbeit der letzten Jahre bemerkte ich eine Häufung von Themen, die die Frage nach der „Art der Organisation von Arbeit“ aufgreifen und sie mit den individuellen Erfahrungen von Motivation, Belastung, Gestaltungsmöglichkeiten, Überforderung, Freude am Experiment und Leistungsdruck in Verbindung bringen. Daher war es für mich naheliegend, mich genauer mit dieser Frage nach der „Organisation von Arbeit“ und den daraus resultierenden Folgen zu beschäftigen. Es wird Sie nicht wundern, dass damit unvermeidlich die Beschäftigung mit dem Begriff „New Work“ ins Spiel kommt. Deshalb möchte ich unser Tagungsthema am Beispiel des Begriffs „New Work“ beleuchten.

Ich möchte Ihnen einige Überlegungen anbieten, die sich aus der Arbeit mit meinen Klient*innen (in Supervision / Coaching), der direkten Arbeit in Organisationen (in der Organisationsberatung), Diskussionen mit Kolleg*innen (in der kollegialen Fallarbeit), gruppendynamischen Veranstaltungen von igo (in der Staffarbeit) und diversen Beiträgen aus der Literatur (siehe Literaturverzeichnis) ergeben haben. Der schillernde Begriff „New Work“ soll dabei der „rote Faden“ sein, an dem entlang ich versuchen möchte, 5 Thesen zu verfolgen. Entsprechend der verschiedenen Einschätzungen zum Konzept “New Work“ habe ich die Polarität „bright shine“ für die hoffnungsvollen Erwartungen und „dark side“ für die Befürchtungen für den Titel meines Vortrags gewählt.

These 1: New Work ermöglicht Arbeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung

Verfolgt man die Literaturlage zu New Work, dann gab es zunächst eine freudige und von vielen Hoffnungen geprägte Erwartung, hier fände sich eine Konzeption für die Zukunft der Organisation von Arbeit, die für die einzelne Person mit großem Gestaltungsspielraum (Selbstwirksamkeit), viel Eigenständigkeit (hierarchiearm) und großer Sinnhaftigkeit (purpose) verbunden sei.

Zusammenfassend formuliert FRITHJIOF BERGMANN, dem die Prägung des Begriffs „neue Arbeit“ zugeschrieben wird (2004) „Das Ziel der neuen Arbeit besteht nicht darin, die Menschen von der Arbeit zu befreien, sondern die Arbeit so zu transformieren, damit sie freie, selbstbestimmte, menschliche Wesen hervorbringt.“

FREDERIC LALOUX (2015) konkretisiert dies in seinem vielbeachteten Buch „Reinventing organizations“, indem er drei Charakteristika benennt, die New Work prägen, Selbstmanagement, Ganzheit und Sinn.

Beide Positionen sind positive, attraktive Ansätze, die für viele Menschen ansprechend und interessant wirken dürften. Sie versprechen Arbeitszufriedenheit und Sinnhaftigkeit von Arbeit, gleichzeitig kritisieren sie unausgesprochen Arbeitssituationen, die durch autoritäre Hierarchieentscheidungen, gefühlte Willkürlichkeit, von Gefühlen von Ohnmacht und Wirkungslosigkeit geprägt sind und dann nicht selten mit „innerer Kündigung“ oder mit Erkrankung beantwortet werden.

Genau hier kann man auf „Verborgenes in Organisationen“ stoßen, nämlich: die Art und Weise wie Beschäftigte auf Erfahrungen von Ungerechtigkeit, Abwertung, Missachtung von Leistung, Ignorieren von Vorschlägen, Relativierung von Kritik usw. reagieren. Sichtbar und damit transparent sind dabei jedoch lediglich die Reaktionen von Beschäftigten (z.B. Dienst nach Vorschrift, schwache Identifikation, hohe Fluktuation), nicht jedoch die o.g. zugrundeliegenden Ursachen. Solange diese nicht in angemessener Form ansprechbar und im zweiten Schritt ernsthaft bearbeitbar werden, bleibt das Verborgene unverstehbar und wird weiterhin nur agiert werden. Gelingt es, die Arbeit so zu organisieren, dass Selbstwirksamkeit, Wertschätzung, konstruktive Auseinandersetzung und Verantwortungsdelegation erfahrbar werden, dann werden einige Erwartungen an die „glänzende Seite“ von New Work erfüllt werden und sich erwartungsgemäß positiv auf die Arbeitszufriedenheit und die Arbeitseffektivität auswirken.

CARSTEN SCHERMULY, der sich wissenschaftlich seit über 15 Jahren mit dem Thema New Work beschäftigt, macht darauf aufmerksam, dass der Begriff heute häufig in sehr verkürzter Form als moderne Überschrift über Einzelentscheidungen gesetzt wird, ohne zu erfassen, dass es sich hier um eine komplexe Arbeitsorganisationskonzeption handelt. Er formuliert pointiert, New Work als Ansatz der Arbeitsorganisation ist ein komplexer Ansatz und „… steht im Kontrast zu vielen Organisationen, die derzeit bei New Work bloß an eine Betriebsvereinbarung für die Arbeit im Homeoffice denken.“ (SCHERMULY 2022, 11)

Für die supervisorische Arbeit bedeutet das für mich, immer wieder neben der individuellen Betroffenheit der Supervisand*in, ihrem Bedürfnis nach Verstehen und dem Entwickeln von Handlungsoptionen auch die organisationsdynamischen Aspekte einer Arbeitssituation im Blick zu halten und nach Optionen zu suchen, mit denen es den Betroffenen gelingt, die Bedeutung von Interventionen in Richtung Organisation zu verstehen und Strategien der Einflussnahme zu entwickeln. Für Letzteres braucht es in der Regel die Kreativität und den Mut der einzelnen Person wie auch den Austausch im Team und die Nutzung der Teampotenz. Aktuell ist die Gelegenheit günstig, in Organisationen solche Prozesse zu initiieren, da „New Work“ als modernes Thema en vogue ist und es aufgrund des aktuellen Arbeitnehmer*innenmarktes eine erhöhte Bereitschaft in Organisationen gibt, auf Anregungen von Beschäftigten einzugehen, wenn dies für die Organisation Vorteile verspricht. Damit ergibt sich eine Brücke zur nächsten These, die sich mit „Kontextorientierung“ beschäftigt.

These 2: New Work bedeutet nicht „besser als…“, sondern ist eine Reaktion auf Kontexte

Das Adjektiv „new“ impliziert in unserem Sprachgebrauch fast automatisch das Gegenüber „old“. Damit suggeriert die Rede von New Work eine Ablösung von vorherigen Ansätzen (Old Work), häufig mit der Konnotation von „überholt“, „nicht mehr tauglich“, „unmodern“. Diese Konnotationen tragen unüberprüfte Wertungen in sich, die nahelegen, dass mit dem Ansatz „New Work“ eine Verbesserung einer misslich oder unbefriedigend erlebten Situation verbunden sei. Diese könne man überwinden, wenn man sich auf die Verfahrensweisen des neuen Ansatzes einließe.

Ein Blick in die Historie der Art wie Arbeit organisiert wurde, macht schnell klar, dass es den optimalen, idealen und überdauernden Ansatz Arbeit zu organisieren nicht gibt. Vielmehr ergeben sich diese Ansätze aus den zeitgeschichtlichen, gesellschaftlichen Kontexten und stellen so die mehr oder weniger tauglichen Versuche dar, auf die identifizierten Kontexte zu reagieren.

MICHAEL ZIRKLER, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Züricher Hochschule, schreibt dazu: „So war der Ansatz der Human Relations eine Reaktion auf tayloristische und fordistische Verhältnisse ab den 1940er-Jahren. Die Demokratisierung von Organisationen war die Folge gesellschaftlicher Entwicklungen im Nachgang der 68er-Bewegung in den 1970er-Jahren. Und New Work ist eine versuchte Antwort in Reaktion auf Marktliberalisierungen und Globalisierung ab den 2000er-Jahren.“ (ZIRKLER 2023, 169) und er bringt zugleich noch einen weiteren Gedanken ein, wenn er formuliert: „Es zeigt sich in der Zeitreihung auch ein gewisser Generationenkonflikt, der jeweils darin gipfelt, das ,Alte´ abzulehnen und durch etwas ‚Neues‘ Eigenes ersetzen zu wollen.“ (ebd.)

So verstanden, reiht sich der Ansatz New Work in eine lange Tradition von Arbeitsorganisationskonzepten ein, denen gemeinsam ist, eine taugliche, intelligente und konstruktive Antwort auf umgebende gesellschaftliche Kontexte zu geben. Es dürfte auf der Hand liegen, dass dafür eine faktenbasierte Diagnose dieser Kontexte notwendige Voraussetzung ist, damit ein daraus resultierender Arbeitsorganisationsansatz Wirksamkeit entfalten kann. So werden in unserer gegenwärtigen Erfahrungswelt in Deutschland andere Kontexte zu beachten sein als in Ländern des globalen Südens oder Asiens. Es wird in inhabergeführten Handwerks- und Produktionsbetrieben andere Kontextvariablen geben als in international und global agierenden Konzernen. Neben diesen unterschiedlichen Kontextvariablen wird es jedoch auch Bereiche geben, die für alle gleichermaßen bedeutsam sind, als Beispiele hierfür sei die fortschreitende Digitalisierung und der Arbeitskräftemangel genannt.

Für die Arbeitsfelder Supervision, Coaching und Organisationsberatung bedeutet dies die Notwendigkeit, sich mit kontextanalytischen Diagnosen beschäftigen zu müssen, damit tragfähige arbeitsorganisatorische Entscheidungen getroffen werden können. Die Entwicklung von Kompetenzen, die für das Erstellen solcher Diagnosen notwendig sind, dürfte Aufgabe für aktuelle Weiterbildungsangebote der Personalentwicklung sein.

Es ist offensichtlich, dass daraus ein Bedarf entsteht, sich mit soziologischen und gesellschaftspolitischen Gegenwartsthemen zu beschäftigen und daraus Nutzen für die eigene supervisorische Professionalität zu ziehen. Dies wird bereits vielfach aufgegriffen, wenn man sich die Auflagenzahlen von Autoren wie HARTMUT ROSA oder STEPHAN KÜHL ansieht. Auch in der Ausbildung von Supervisor*innen und Coaches sollten Einheiten zur Kompetenzentwicklung für Kontextanalyse verankert werden, da diese in ihrer Tätigkeit als Multiplikator*innen andere anleiten und anregen können, dies in ihr jeweiliges Kompetenzprofil zu integrieren.

New Work ist somit ein Ansatz der Arbeitsorganisation, der unter der Voraussetzung passender Kontexte innovativ und effektiv sein kann. Unter Arbeitsbedingungen, die so gestaltet sind, dass Eigenverantwortlichkeit und Selbstorganisation dort funktionieren können, braucht es dann „nur“ noch Personen, die in der Lage sind, diesen Ansatz operational umzusetzen und Führungskräfte, die sich trauen, Zuständigkeiten und Verantwortung in die Hände von geeignetem Personal zu legen. Wenn man das noch nicht hat, ist es Führungsaufgabe, dazu beizutragen, geeignetes Personal zu finden oder vorhandenes Personal dorthin zu entwickeln. Neben geeignetem Personal braucht es zusätzlich – auch das ist eine Führungsaufgabe – die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen, innerhalb deren Ansätze des New Work eine Erfolgschance haben können. Dies führt zur nächsten These.

These 3:New Work braucht Rahmenbedingungen und Einübung

Jede Organisation verfolgt Ziele, von deren Erreichen ihre Existenz abhängt. Dazu sind Investitionen in Ausstattung (Räumlichkeiten, Technik, Logistik), Personal und Knowhow Voraussetzungen. Neben diesen wirtschaftlichen Investitionen gibt es eine weitere Ebene von Investitionen, z. B. das Aufstellen von Spielregeln für den Umgang miteinander, die Entwicklung von Kommunikationsstrukturen, die Regulation von Konflikten, die Klärung von Entscheidungs- und Verantwortungszuständigkeiten usw. In vielen Organisationen werden diese Themen über Rollenbeschreibungen und Verantwortlichkeiten (häufig abgebildet in Organigrammen) geregelt.

Alles zusammen beschreibt die Rahmenbedingungen, unter denen eine Organisation ihren Zweck verfolgt. Oberstes Ziel einer Organisation ist die Sicherung ihrer eigenen Existenz, alle Gefährdungen dieses Ziels wird die Organisation mit geeigneten Interventionen abwehren. Berechtigte Interessen Einzelner werden dabei in der Regel nur so weit einbezogen, als sie den Zielen der Organisation entsprechen. Eine Organisation verfolgt die Ziele, die ihre Existenz sichern und dient nicht der Selbstverwirklichung ihrer Beschäftigten. KARLHEINZ SCHWUCHOW, Professor für Internationales Management an der Hochschule Bremen benennt dies in aller Deutlichkeit: „Solange neue Formen der Arbeitsorganisation einen positiven Beitrag leisten, d.h. die daraus resultierenden Erträge höher sind als die damit verbundenen Kosten, funktioniert das System, ist die Investition gerechtfertigt. (SCHWUCHOW 2023, 2)

Die Schaffung von Rahmenbedingungen ist also als Investition zu verstehen, die vorlaufend geleistet werden muss, ohne dass es zum Zeitpunkt der Investition eine Garantie gibt, dass diese sich lohnt. Sie stellt also ein Risiko für die Organisation dar. Dies könnte eine Erklärung dafür sein, dass Organisationen zwar den „bright shine“ von New Work attraktiv finden, aber gleichzeitig zurückhaltend sind, die dafür notwendigen Investitionen in taugliche Rahmenbedingungen und begleitende Personalentwicklung zu tätigen. Es ist eben nicht damit getan, Möglichkeiten der Arbeit im Homeoffice oder open space Arbeitsplätze einzurichten und zu glauben, dass ein täglich gefüllter Obstkorb New Work wäre.

Zu den zu entwickelnden Rahmenbedingungen gehören vielmehr tiefgreifende Entscheidungen, die die Struktur von Organisationen betreffen. So bedeutet die Delegation von Entscheidungs- und Ergebnisverantwortung auf die Teamebene eine heftige Veränderung der Führungsrolle. Führungskräfte bekommen neue Aufgaben im Sinne von Partner*innen, Anreger*innen und Unterstützer*innen für die Teams. Zur vertiefenden Beschäftigung verweise ich hier auf den Beitrag von WOLFGANG SCHOLL (2020), der sich ausführlich mit der Veränderung der Führungsrolle unter den Bedingungen von teamorientierten New Work Ideen auseinandersetzt.

Danach werden die bisherigen Führungskräfte Kontroll- und Entscheidungseinfluss verlieren. Da sie jedoch gegenüber ihren eigenen Führungskräften möglicherweise rechenschaftspflichtig bleiben, wird sie diese Veränderung in heftige Interessengegensätze bringen können und es wird deutlich, dass New Work nur ganzheitlich in einer Organisation verfolgt werden kann. Insellösungen können vielleicht der Anfang einer solchen Organisationsveränderung sein, aber sie werden auf Dauer nicht erfolgreich sein, wenn eine Organisation in ihrem Inneren konkurrierenden Logiken folgt. Es wird klar, eine Organisation, die New Work als kosmetische Modernität einführt, betreibt entweder Etikettenschwindel oder ist an einer tatsächlichen Organisationsstrukturveränderung nicht interessiert oder beides.

Hier stoßen wir auf einen zentralen Punkt, was in Organisationen verborgen ist: Eine Organisation, die sich New Work auf die Fahne schreibt, aber nicht für taugliche Rahmenbedingungen, dazu passende Organisationsstrukturen und Rollenausstattungen sorgt, wird intern ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommen. Die von Mitarbeiter*innen und betroffenen Führungskräften erlebte Diskrepanz zwischen vollmundiger Ankündigung und ernüchternder Alltagserfahrung wird sich motivationsschwächend, leistungsmindernd und in abnehmender Identifikation und Loyalität äußern. Gibt es keine in den Rahmenstrukturen verortete Plattform, solche Dilemmata transparent und besprechbar zu machen, werden die Diskrepanzerfahrungen in die informellen Systeme der Organisation versickern und dort Turbulenzen erzeugen.

Die Entwicklung von Rahmenbedingungen, die für die Organisation von Arbeit nach Ideen des New Work tauglich sind, benennt SCHERMULY als strukturelles Empowerment mit dem Ziel, die Strukturen zu demokratisieren. Damit ist jedoch erst die Hälfte der Notwendigkeiten benannt, es fehlt noch die Bereitschaft und Einübung des Personals unter den veränderten Strukturbedingungen. SCHERMULY konstatiert „… und die Beraterinnen denken, dass ihre Arbeit getan sei, wenn das Organigramm anders aussieht. Der strukturelle Empowerment-Ansatz empowert die Strukturen einer Organisation, aber nicht unbedingt die Menschen, die in diesen Strukturen arbeiten. Macht und Entscheidungsbefugnisse werden von ‚oben‘ nach ‚unten‘ verteilt, egal ob die Menschen das überhaupt wollen.“ (SCHERMULY 2022, 35)

Das strukturelle Empowerment benötigt also parallelpsychologisches Empowerment, das SCHERMULY in Anlehnung an GRETCHEN SPREITZER auf vier Ebenen beschreibt, die zusammen proaktives Handeln ermöglichen: Dimension 1 „Selbstbestimmung“ (ich darf), Dimension 2 „Bedeutsamkeit“ (ich will), Dimension 3 „Einfluss“ (ich verändere), Dimension 4 „Kompetenz“ (ich kann) (vgl. SCHERMULY 2022, 35-40). Die Entwicklung eines solchen psychologischen Empowerments erstreckt sich über einen längeren Zeitraum (von Monaten / Jahren), es ist eine großformatige Aufgabe der Personalentwicklung für das Bestandspersonal und der   Personalauswahl für neu zu gewinnendes Personal.          

Ermutigend ist dabei, dass sich die genannten Dimensionen aktuell in den Erwartungen und Wünschen von Arbeitnehmer*innen wiederfinden. Die Bereitschaft und das Interesse an Eigenverantwortung und Gestaltungseinfluss findet sich in vielen Bewerbungsgesprächen, damit ist noch nicht gesagt, dass die damit verbundenen Zuständigkeiten und Operationalisierungen bereits ausreichend eingeübt sind. Die Personalentwicklung ist die Instanz, die der vorhandenen Bereitschaft Umsetzungspotenz verleihen kann. Dies gezielt durch gute Onboardingprozesse, klare Feedbacks, präzise Förderung und Unterstützung, Möglichkeiten einer Erprobung in kleineren Projekten und nicht zuletzt in gut an Anforderungen angepasste Maßnahmen der Teamentwicklung. Diese Aufgaben werden nicht selten intern an scrum-master oder angestellte agile Coaches delegiert, die – wenn es gut geht – eine dafür passende Ausbildung mitbringen. Selbstverständlich ist dies auch ein interessantes Arbeitsfeld für externe Supervisor*innen und Coaches, denn diese bringen Kompetenzen mit, wie sie in These 4 gefordert werden.

These 4: New Work braucht Feedbackkompetenz und gruppendynamisches Knowhow

Die Übertragung von Zuständigkeiten für das Gelingen von Arbeitsprozessen, die Herstellung von Produkten, das Bereitstellen und Umsetzen von Dienstleistungen erfordert neue Formen der Koordination und Überprüfung der verabredeten Ziele. Dazu gehört auch die Verständigung über den Umgang mit Gelenkstellen bei arbeitsteiligen Arbeitsprozessen. Es wird eine funktionierende Koordination von individuellen Arbeitsleistungen Einzelner benötigt, wenn diese Einzelleistungen Bestandteile umfassenderer Teamleistungen sind. Dies stellt hohe Anforderungen an funktionierende Kommunikationsstrukturen, die ein verlässliches Informationsmanagement erlauben. Das Hauptinstrument dafür ist in unterschiedlichsten Formen des Feedbacks zu finden. Von kurzen stand-up-meetings bis hin zu halbtägigen Retrospektiven oder mehrtägigen Retreats sind zeitlich sehr unterschiedliche Formate, je nach Zielsetzung, denkbar. Es können bilaterale Feedbacks, Teamfeedbacks oder Delegiertenkonferenzen genutzt werden, um Informationen zu transportieren, Probleme zu lösen und Entscheidungen zu treffen. Es handelt sich also um eine deutliche Erweiterung des Feedbackbegriffs. Ähnlich wie im individuellen bilateralen Feedback geht es um den Austausch von Wahrnehmungen und Einschätzungen, mit der Benennung einhergehender Wirkungen. Die so identifizierten potentziellen Wirkungen sind die Grundlage nachfolgender Verabredungen, die an der Erreichung der gesetzten Ziele orientiert sind. Anders als im individuellen Feedback geht es dabei nicht um ein Angebot von Rückmeldung, die auch ausbleiben kann, wenn das Gegenüber nicht daran interessiert ist. Im organisationalen Bereich sind das Feedback und die daraus resultierenden miteinander verabredeten Konsequenzen die Hauptkommunikationsstruktur zur Koordination von Teilleistungen, zur Erreichung des gemeinsam zu verantwortenden Ziels. Es ersetzt die Kontrolle durch vorgesetzte Instanzen und soll so die erwartete Leistung sicherstellen. Eine sehr lesenswerte Arbeit zu diesem Thema, das ich hier nicht ausführlicher darstellen kann, haben RÖDEL und KRACH in der Zeitschrift OSC veröffentlicht, ein kleines Zitat möchte ich Ihnen hier anbieten: „Durch die Kommunikation eines klaren Zielbildes, verbunden mit partizipativen Austauschmöglichkeiten und Feedbackinstrumenten, können die Erwartungen der Mitarbeitenden, der Führungskräfte und auch der Kunden oder anderer Stakeholder berücksichtigt werden. (…) Gegenseitiges Feedback gesteuert von einer Führungskraft, führen (…) dazu, dass die Anforderungen und Erwartungen der Mitarbeitenden mit den Unternehmensinteressen koordiniert werden können. (…) Feedback wird nur dann angenommen, wenn man dem Feedbackgeber eine Feedbackkompetenz unterstellt, die wiederum beinhaltet, dass er eine positive Intention hat und diese auch deutlich und wertschätzend zeigt.“ (RÖDEL & KRACH 2023, 238)

Die Zusammenarbeit in einer Organisation oder in einem Unternehmen erfolgt sowohl arbeitsteilig als auch im Zusammenspiel mit vielen Akteuren, sowohl Einzelpersonen, aber auch Mehrpersonenformationen wie Teams, Projektgruppen oder Abteilungen, in Präsenz oder online. Das bedeutet, in diesen Variationen der Zusammenarbeit spielen die Phänomene der Gruppendynamik eine bedeutsame Rolle, und zwar völlig unabhängig von der Art der Arbeitsorganisation.

Das Modell des gruppendynamischen Raums (vgl. AMANN 2023), das vermutlich vielen von Ihnen bekannt ist, beschreibt die Dimensionen „Zugehörigkeit“ – „Status / Hierarchie“ und „Intimität“ als steuernde Einflussfaktoren in Gruppenprozessen. Aus dem Zusammenspiel dieser drei Dimensionen speist sich die Dynamik von Gruppen, und zwar völlig unabhängig von Zielen, Aufgaben und Inhalten wegen der es diese Gruppe gibt. Die Mitglieder einer Gruppe werden in ihrem individuellen Gruppenerleben von diesen drei Einflussgrößen beeinflusst. Aus diesem individuellen Erleben, den damit verbundenen Mutmaßungen und Interpretationen sowie den zugehörigen Emotionen, entsteht ihr individuelles Handeln und Verhalten. Dieses gruppendynamische Grundgesetz gilt auch unter den Bedingungen von New Work, ebenso wie es in Teams und anderen Gruppenkonstellationen aller Organisationen gilt. Neben den gruppendynamischen Phänomenen haben wir es in Organisationen allerdings zusätzlich mit organisationsdynamischen Phänomenen zu tun, die anderen Logiken folgen. Genaueres zu den Unterschieden dazu findet sich in einem Grundsatzartikel, der aus einer Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsdynamik entstanden ist. (vgl. BRINKMANN & FAßNACHT et al. 2017).  Auch die Existenz von formellem System (Vorderbühne) und informellem System (Hinterbühne) gilt unter den Bedingungen von New Work genauso wie in allen anderen Arbeitsorganisationsformen.

Allerdings sind in sich selbstorganisierenden Gruppen erhöhte Auswirkungen dieser Phänomene zu erwarten, da regulierende Faktoren (Struktur, Kontrakte, Führung, Entscheidungsmodalitäten) erst miteinander entwickelt, verhandelt und verabredet werden müssen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Organisationsformen, in denen regulierende Faktoren wie Struktursetzungen und Führung gruppendynamische Phänomene domestizieren können.

Alle Erfahrungen mit sich selbstorganisierenden Gruppen sprechen dafür, dass diese Gruppen einen erhöhten Zeitbedarf zu Beginn ihrer Zusammenarbeit benötigen, um sich in einen arbeitsfähigen Zustand zu bringen. Hilfreich kann in dieser Entwicklungsphase einer Gruppe die Begleitung durch eine oder mehrere gruppendynamisch erfahrene und/oder ausgebildete Person(en) sein.

Die in Organisationen häufig vorzufindende Spezialgruppe ist das Team. In herkömmlichen Teams wird ein Teil der Auswirkungen der gruppendynamischen Phänomene durch Struktursetzungen, Zuständigkeiten, Rollenbeschreibungen, Führungsrollen mit Entscheidungsbefugnissen eingehegt und durch Supportinstrumente wie Teambesprechungen und Teamsupervision in Zustände der Besprechbarkeit gebracht. Da unter den Bedingungen von New Work häufig fluide Formen der Kooperation bestehen, Arbeitsgruppen nach Aufgabenstellung zusammenkommen, Projektgruppen nach Erreichung des Projektziels sich auflösen und die Einzelnen in neue Projektgruppen zusammenkommen, es wechselnde Führungsübernahmen und -verantwortungen gibt und die meisten Mitarbeitenden wenig über gruppendynamische Phänomene und deren Steuerung wissen, ist es eine große Herausforderung, Arbeitsfähigkeit zu erreichen und nachhaltig zu halten. Diese hohe Anforderung benennen BACHMANN und JUNG in ihrem Beitrag zur „Dimensionen des Organisierens“: „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Einführung von bzw. die Veränderung durch New Work für Menschen und Organisationen von Verantwortlichen und Betroffenen sorgfältig abgewogen, beobachtet und reflektiert werden müssen, damit sich erhoffte Vorteile nicht in neue Probleme verwandeln. Dazu gilt es in Organisationen ideologiefreie Reflexionsräume zu schaffen, in denen Beobachtungen (…) besprochen werden können, um der Organisation zu ermöglichen, zu lernen und Anpassungen ihrer Strukturen und Prozesse vorzunehmen.“ (BACHMANN & JUNG 2023, 209)

Diese enorme Herausforderung für alle Beteiligten führt zur letzten These.

These 5: New Work trägt in sich die Gefahr der Überforderung und Selbstausbeutung

Bereits zu Beginn meines Beitrags stand die Feststellung, dass Organisationen bemüht sind, sich auf Kontexte und Veränderungen von außen einzustellen und in ihrem Management angemessene Reaktionen, Maßnahmen und Interventionen zu entwickeln, um das  Überleben der Organisation / des Unternehmens sicherzustellen.

Die Ansätze des New Work wecken die Erwartung auf motivierte, engagierte, leistungsbereite und mit der Organisation identifizierte Mitarbeitende. Begründet wird dies mit der Einschätzung, dass Mitarbeitende, die mitgestalten, mitentscheiden, mitentwickeln in ihrer Arbeit Selbstwirksamkeit und Sinn erleben, ihre intrinsische Motivation ansteigt und ihre Arbeit damit zu einem Teil ihrer eigenen Selbstverwirklichung wird. Arbeit ist damit wertvoller Bestandteil des eigenen Lebens. Gibt es zusätzlich die Möglichkeit, die eigene Arbeitszeit mitzugestalten, Einfluss auf den Arbeitsort (in Präsenz in der Organisation, in shared offices, oder online aus dem Homeoffice) zu nehmen, bietet dies neue Möglichkeiten und Freiräume für die Gestaltung auch des privaten Lebens. Spart man sich an einigen Tagen der Woche die Anfahrt zum Arbeitsplatz, kann das mehrere Stunden Zeitgewinn pro Tag bedeuten, der für private Zwecke genutzt werden kann. Die Carearbeit kann flexibler im Familienleben organisiert werden, wenn bestimmte Arbeitsprozesse von zuhause erledigt werden können oder nicht an die üblichen Bürozeiten angegliedert sein müssen. Solche Arbeitsbedingungen sind für viele Menschen interessant und attraktiv. Sie erfordern jedoch eine hohe eigene Disziplin und ein ordentliches Quantum an Organisationstalent. Die Arbeitsbedingungen unter den Konzepten von New Work ähneln den Arbeitsbedingungen von Freiberuflern. Aber: Für den Status „Freiberufler“ entscheidet man sich bewusst, man prüft das damit verbundene Risiko und die Anforderungen, die sich daraus ergeben.

Die selbstverantwortliche Gestaltung von Arbeitszeit führt häufig zu einer Steigerung der eingesetzten Zeit, weil man „schnell noch etwas fertigmachen will“. Die Erreichbarkeit ist nicht mehr auf übliche Bürozeiten begrenzt, per Mobilphone, soziale Medien und Emailkommunikation entsteht schnell ein unbezahlter und nicht kontraktierter Bereitschaftsdienst. Die Gefahr von Selbstausbeutung ist nicht von der Hand zu weisen.  Attraktive Angebote des Arbeitgebers (Sportmöglichkeiten, Freizeitangebote, Angebote, mit Essen und Getränken versorgt zu werden, gemeinsame Events, Kinderbetreuung usw.) halten Mitarbeitende in Arbeitsnähe und verschieben den Lebensmittelpunkt weiter in Richtung Organisation. Manchmal gipfelt das in Formulierungen wie „wir sind doch eine große Familie“.

Die permanente Zuständigkeit, sich weiterzuentwickeln, dazuzulernen, sich auf neue Situationen einzustellen, können einen Dauerzustand von Selbstoptimierung hervorrufen, an dessen Ende nicht selten die Diagnose „Burnout“ steht, die die Betroffenen vom Karussell der Selbstoptimierung fegt.  SCHWUCHOW kritisiert heftig: „Die Idealisierung der neuen Arbeitswelt verkennt zu oft deren Schattenseiten. Denn das Ziel bleibt für jedes Unternehmen im Hinblick auf dessen Überlebensfähigkeit unverändert – die Potentiale der Mitarbeitenden in profitabler Weise bestmöglich auszuschöpfen. Wenn von Freiheit und Selbstbestimmung die Rede ist, kann dies schnell zu einem digitalen Taylorismus führen. Abgesicherte Arbeitsverhältnisse werden kostenminimierend zu prekären Beschäftigungen, der Einzelne zur Ich-AG: unabhängig und autark, aber unterbezahlt und ungeschützt.“ (SCHWUCHOW 2023, 2)

Man wird dieser Kritik entgegnen können, dass es in der Hand der Betroffenen liegt, mit wieviel Selbstverantwortung und Selbstdisziplin sie sich verhalten und wo sie Grenzen ihres beruflichen Engagements setzen. Dennoch bleibt die Frage offen, was eigentlich mit all denjenigen geschieht, die diese Art der Arbeitsorganisation gar nicht haben wollen. Die mit einer zugewiesenen und von Führungskräften kontrollierten Arbeit gut zurechtkommen. Die für sich eine strikte Abgrenzung zwischen Arbeit und Privat treffen. Die keine Lust haben, ihre Freizeit mit Arbeitskolleg*innen zu verbringen. Die nicht an zusätzlicher Verantwortung und Gestaltung von Prozessen interessiert sind. Die diesen Selbstorganisationsanforderungen aus physischen und/oder psychischen Gründen nicht entsprechen können. Fallen diese Menschen unter den Bedingungen von New Work aus dem Arbeitsleben heraus? Werden sie Mitarbeitende „zweiter Klasse“? Und was ist mit denen, die in Arbeitsverhältnissen stehen, die so organisiert sind, dass es keinen oder fast keinen Gestaltungsspielraum gibt, ich denke an das Gesundheitswesen, an Arbeitsverhältnisse in Produktionsbetrieben, an Mitarbeitende in Verkehrs- und Logistikbetrieben. Was bedeuten die neuen Ansätze von Arbeitsorganisation für Mitarbeitende in behördlich organisierten Strukturen, die sich vermutlich auch deswegen für diesen Arbeitsplatz entschieden haben, weil es verlässliche, sichere und geregelte Strukturen gibt, in denen Entscheidungen in den verschiedenen Hierarchiestufen klar geregelt sind? Manchmal sind Entscheidungen, unter welchen Bedingungen man arbeiten will und welcher Art von Arbeitsorganisation man sich anvertraut, auch kluge Entscheidungen, sich vor Überforderungen zu schützen, die das Potential in sich tragen „krank zu machen“.

Am Ende dieser Überlegungen in 5 Thesen ergibt sich für mich zusammenfassend folgendes Fazit:

Fazit: New Work als konzeptioneller Ansatz „Arbeit zu organisieren“ wird sich auf die Organisationsdynamik auswirken und zu strukturellen Veränderungen der Organisation führen

Ich starte mit einem Zitat von LALOUX:

„In der Vergangenheit brachte jede Veränderung des Organisationsmodells einen Quantensprung in der Arbeitsweise der Organisation.“ (LALOUX 2015, 282)

Es spricht einiges dafür, dass es mit der Konzeption „New Work“ ähnlich sein kann. Bis es jedoch zu den vermuteten und erhofften positiven Wirkungen kommen kann, wird es eine turbulente Zwischenphase mit herausfordernder Organisationsdynamik geben, die zu bewältigen, die Aufgabe aller Beteiligten ist. Wie bereits in früheren Veränderungsprozessen von Organisationen erlebt, wird die Implementierung einer Arbeitsorganisation nach der Logik des New Work einhergehen mit dem Umbau von inneren Organisationsstrukturen und einer Neuformation von verschiedenen Organisationsvariablen. Diese Umbauprozesse werden heftige Einflüsse auf die Dynamik der betroffenen Organisation (Organisationsdynamik) und die betroffenen Beteiligten (Gruppendynamik) bewirken. Wie immer in Veränderungsprozessen werden sich zustimmende und ablehnende Haltungen entwickeln, wird es Engagement pro und contra geben, werden progressive und regressive Kräfte aktiviert, werden sich treibende und hemmende Einflüsse bemerkbar machen.

Auf der inhaltlich-sachlichen Ebene können die Veränderungsprozesse gut beschrieben werden. Die bedeutsameren Ebenen für das Gelingen solcher Veränderungsprozesse liegen aber (wenn man hier mal das „alte“ Eisbergmodell bemühen darf) auf den Ebenen unterhalb der Wasserlinie, nämlich der Interaktionsebene und der Ebene der Psychodynamik.

Hier schließt sich der Kreis zum Tagungsthema: Die Dynamiken in Organisationen auf der Sachebene werden geprägt durch Handeln und Verhalten der Beteiligten auf der Interaktionsebene und dies wird wiederum durch Kräfte der psychodynamischen Ebene gespeist. Die psychodynamische Ebene produziert viel Material, das zum Phänomen des „Verborgenen in Organisationen“ beiträgt. Dieses Material wird mehr oder weniger bewusst auf der Interaktionsebene agiert. In diesem Material transportieren sich Ängste und Hoffnungen, Emotionen, Altlasten, Fantasien, Erfahrungen, ohne dass diese Treiber gut zu erkennen sind und verstanden werden können. Es ist also davon auszugehen, dass alle bedeutsamen Themen der Einzelperson, wie alle bedeutsamen umgebenden zeitgeschichtlichen Themen in die Ebene der Psychodynamik einfließen. Da sie auf der Ebene der Interaktion dann in allerlei Verzerrungen und Maskierungen auftauchen, sind sie nicht leicht „lesbar“ und sind in herkömmlichen   Kommunikationsprozessen der sachlich-thematischen Ebene nicht verstehbar.

Am Beispiel New Work lässt sich nachvollziehen, welche strukturellen und persönlichen Veränderungen mit diesem Konzept einhergehen, die erhebliches Material auf der psychodynamischen Ebene produzieren:

  • Veränderung der Führungsrolle
  • Anforderungen an die Rollenflexibilität aller Beteiligten, bei Vermeidung von Rollenunklarheit
  • Zunehmende Übernahme von Verantwortung
  • Erwartung an proaktives und eigenständiges Handeln
  • Entwicklung neuer, dafür tauglicher Kommunikationsstrukturen
  • Entwicklung einer fehlerfreundlichen Feedbackkultur
  • Entwicklung intrinsischer Motivation
  • Erarbeitung konstruktiver Kritikfähigkeit
  • Entwicklung emotionaler Belastbarkeit
  • und sicher gibt es noch viele weitere Punkte…

SCHERMULY (2022 und 2023) hat eine sehr interessante literarische Form gewählt, die Spannung von New Work zwischen „bright shine“ und „dark side“ zu beschreiben: Er hat zwei Bücher dazu verfasst: „New Work Utopia – Zukunftsvision einer besseren Arbeitswelt“ und „New Work Dystopia – Scheitern im Wandel und wie es besser geht“. In diesen beiden Büchern werden am Beispiel fiktiver Firmen die Vor- und Nachteile, die Erfolgschancen und die Gefährdungen durch New Work differenziert ausgearbeitet. Ich möchte die beiden Bücher zum Schluss hier erwähnen, weil sie das Thema in einer lustvollen Form aufgreifen – vielleicht ist es für Sie eine interessante Ferienlektüre für den bevorstehenden Sommer?

In den Ideen von New Work spiegeln sich aktuelle Bedürfnisse, die Menschen in Bezug auf ihre Arbeitstätigkeit haben, darin liegt eine hohe Attraktivität, der „bright shine“. Es spiegeln sich aber auch Verlust-, Überforderungs- und Versagensängste, die zurückschrecken lassen und die „dark side“ sichtbar machen.

Es ist erfreulich, dass durch supervisorische Arbeit ein Zugang und ein geschützter Raum zu Verfügung steht, der dazu genutzt werden kann, das brisante Material der psychodynamischen Ebene thematisierbar zu machen und dadurch nachfolgend die Auswirkungen auf die Gruppen- und Organisationsdynamik transparenter, und der damit dazu beiträgt, „Verborgenes in Organisationen“ besser verstehbar zu machen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Literatur

  • Amann, A. (2023). Das gruppendynamische Feld. Struktur- Dynamik- Prozess-Praxis. Wiesbaden: Springer
  • Bachmann, T. & Jung, J. (2023). New Work oder Die Dimensionen des Organisierens. In: OSC (2023) 30: 195-211.
  • Bergmann, F. (62017). Neue Arbeit, neue Kultur. Freiburg: Arbor.
  • Brinkmann, B. & Faßnacht, M. & Gerber-Velmerig, M. & Hegnauer-Schattenhofer, I. & Weigand, W. (2017). Ähnlich, aber anders. Zum Verhältnis von Gruppendynamik und Organisationsdynamik. In: Gruppe-Interaktion-Organisation GIO (2017) 48: 165-177.
  • Laloux, F. (2015). Reinventing Organizations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Vahlen
  • Rödel, S. & Krach, S. (2023). Professionelles Feedback als entscheidender Erfolgsfaktor in New Work. In: OSC (2023) 30: 231-247.
  • Schermuly, C.C. (2019). New Work und Coachingpsychologisches Empowerment als Chance für Coaches. In: OSC (2019) 26(2): 173-192.
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Michael Faßnacht

(*1955), Dipl.-Psychologe, Dipl.-Theologe, Coach und Supervisor BDP, ausbildungsberechtigter Trainer für Gruppendynamik DGGO, 8 Jahre Vorstandsmitglied der DGGO, seit 2000 freiberuflich in eigener Praxis in Telgte tätig, Gesellschafter des Instituts für Gruppendynamik und Organisationsberatung (igo) Münster. — michaelfassnacht@tfbs.dewww.tfbs.dewww.igo-muenster.de

New Work – Zwischen „bright shine“ und „dark side“!