Erfahrungen mit Mitarbeitergesprächen – mal in Präsenz, mal online

COVID-19 verschärft viele Herausforderungen für Unternehmen. Komplexität, Geschwindigkeit und Unsicherheit nehmen zu. Auch für Werbe- und Kommunikationsagenturen wie die LIVING CONCEPT WERBEAGENTUR in Münster. Jedoch scheint es, als ob Kreative auf das „Neue“ in der Krise gar nicht so schlecht vorbereitet waren. Denn vieles, was die Arbeit in Agenturen seit je kennzeichnet – projektorientiertes, digitales und kreatives Teamwork – prägt jetzt zunehmend auch die Arbeit in anderen Organisationen. Deswegen sind die hier geschilderten Erfahrungen vielleicht auch für andere hilfreich.

Einige Trends, die auch vorher schon zu beobachten waren, haben seit letztem Jahr noch einmal deutlich an Fahrt aufgenommen. Die Aufgabenstellungen, die an uns als Kommunikationsagentur herangetragen werden, sind komplexer und anspruchsvoller geworden. Dazu tragen die zunehmende Vielfalt der Kommunikationskanäle und -medien und die damit einhergehenden Technologien bei. Neben Drucksachen, Anzeigen oder Websites gehören Social Media, Apps, Bewegtbild, Animation, Audio oder auch Templates für Office-Programme längst zum Tagesgeschäft. Die Corona-Zeit hat noch einmal einen weiteren deutlichen Schub in Richtung „digital“ bewirkt. Denn zum einen sind viele Messen und Events ausgefallen, zum anderen werden nun manche Druckmedien, die – teils mehr aus Gewohnheit denn aus Notwendigkeit – immer wieder neu aufgelegt wurden, in Frage gestellt. Es müssen neue – digitale – Alternativen gefunden werden.

Auch inhaltlich wird es anspruchsvoller: Neben der Gestaltung von Erscheinungsbildern für Marken und Organisationen sowie klassischer Werbung gehören Themen wie Customer Journeys, Recruiting von Fachkräften oder Auszubildenden, interne Kommunikation und die Begleitung von Veränderungen, Nachhaltigkeit oder politische Kommunikation zum Themenspektrum. Bei alldem erwarten die Auftraggebenden sowohl hochspezialisiertes Fachwissen wie ein breites Verständnis von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhängen und Systemen.

Das stellt immer höhere Anforderungen an die Mitarbeitenden. Nur selten kann nach „Schema F“ und mit klaren Vorgaben gearbeitet werden. Dies gilt auch für die Rollen und Funktionen im Team, die sich je nach Projekt verändern können und unter Umständen sogar mehrmals am Tag wechseln. Denn leider lassen sich die Arbeitsbereiche nicht immer klar voneinander abgrenzen und die Prozesse verlaufen nicht eindeutig Schritt für Schritt, sondern in Schleifen. Dazu kommen immer wieder neuartige Projekte, die ganz andere Prozesse und Arbeitsweisen erfordern. Und vor allem: Schöpferische Arbeit ist „Herzblut“ und persönlich. Da kann auch sachliche Kritik schnell „im falschen Hals“ landen.

Das alles macht es nicht leicht, im Team gemeinsam Neues zu erschaffen. Die hierfür nötigen Fähigkeiten und das Know-how sind vielschichtig. Sie können nicht „mal eben so“ eingekauft oder „nebenbei“ intern aufgebaut werden. Im hektischen Agenturalltag mit seinem Kostendruck und dem ständigen Wechsel an Themen und Aufgaben bleibt nur selten Zeit für Reflexionen und das Erkennen der notwendigen Schritte.

Vieraugengespräche

In vielen Agenturen, so auch bei LIVING CONCEPT, gibt es formal nur flache Hierarchien. Viele Jahre bestand die offizielle Hierarchie lediglich aus Geschäftsführung (ein Geschäftsführer/Inhaber und ein angestellter Geschäftsführer) und Team (rund 25 Mitarbeitende aus den Bereichen Kreation (Design, Mediengestaltung, Text) und Projektmanagement). 2017 war das Team so groß geworden, dass eine Zwischenebene nötig wurde. Die Position der „Teamleitung Kreation“ wurde neu geschaffen, um Prozesse zu definieren und die Steuerung zu übernehmen.

Mein Ansatz als Teamleiter ist es, den einzelnen Teammitgliedern sehr individuell zu begegnen. Die in Werbeagenturen weit verbreiteten, „künstlichen“ Hierarchien wie „Senior“ und „Junior“ greifen für mich zu kurz. Eine Agentur unserer Größe braucht alle Mitarbeitenden auch als „Spezialisten“, um die nötigen Kompetenzen abzudecken. Durch die Entwicklung der Stärken der einzelnen Teammitglieder möchte ich die Gesamtleistungsstärke der Agentur verbessern. Deshalb führte ich mit Beginn meiner Tätigkeit als Teamleiter bei LIVING CONCEPT regelmäßige Vieraugengespräche mit allen Teammitgliedern ein.

Für die „normalen“ Vieraugengespräche („Wasserstandsmeldung“) gibt es einen kurzen DIN-A4-Fragebogen zur Vorbereitung und als „roten Faden“ für das Gespräch. Dabei bestätigt sich, dass das Team sehr heterogen und divers ist und dementsprechend individuell damit umgeht. Manche kommen zum Gespräch mit ausgefülltem Fragebogen, andere ohne dezidierte Vorbereitung und wieder andere mit eigenen Notizen.

Um mehr Klarheit über Begriffe und Inhalte zu schaffen sowie einen Abgleich zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung zu ermöglichen, entwickelte ich ein „Kompetenzprofil“ zur Selbsteinschätzung. Es umfasst rund 100 Kompetenzen aus den Bereichen übergeordnete Kompetenzen, Gestaltung, Programme, Produktion, Konzeption und Texten. Auf einer Skala von 1 (keine Kenntnisse) bis 10 (Expertenwissen) sollen die Teammitglieder jeweils eintragen, wo sie sich aktuell sehen und wo sie sich hin entwickeln wollen. Die Entwicklung und Schärfung des Profils ist dabei bewusst als langfristiger Prozess angelegt. Somit gibt es neben den „Wasserstandsmeldungen“ ein weiteres Format, die „Perspektivgespräche“.

Erstmalig durchgeführt habe ich die Perspektivgespräche im Herbst 2019. Bereits die erste Runde half dabei, zuvor „unbekannte“ Fähigkeiten und Interessen der Teammitglieder zu entdecken. Und auch bei der Frage, wer sich in ein Thema einarbeitet oder sich weiterbildet, waren die Erkenntnisse sehr hilfreich. Wieder zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Teammitgliedern: Einige schwanken in ihrer Selbsteinschätzung zwischen 8 und 10, während andere sich kaum trauen, irgendwo mehr als 5 Punkte einzutragen. Spannende Grundlage für die generell offen angelegten Gespräche waren die Abweichungen zwischen Soll und Ist. Die Akzeptanz dieses Formats war recht hoch und die differenzierte Betrachtung wurde durchgehend als sehr positiv und hilfreich wahrgenommen. Manche Begriffe, zum Beispiel aus dem Bereich „Konzeption“, konnten dadurch gemeinsam geklärt und „auseinandergenommen“ werden. Das führte zu einem besseren Verständnis – sowohl für das Teammitglied selbst und auch für mich als Führungskraft.

Ein sichtbares Ergebnis sind ausgelobte Fachfunktionen zu bestimmten Themen, die bei uns „Qualitätsmanager“ oder kurz „QM“ genannt werden. So wurde ein Mitarbeiter zum „QM Web“, der neben der Gestaltung von Websites auch Interesse an den technischen Entwicklungen und den Prozessen bei der Erstellung zeigte. Heute begleitet er in dieser Funktion unser Projektmanagement bei Gesprächen mit Kunden und Dienstleistern, berichtet regelmäßig über neue Entwicklungen unseres „hausinternen“ Content Management System (CMS) und hält sich allgemein auf dem Laufenden, was den gesamten Themenkomplex „Web“ angeht.

Vier-Augen-Gespräche digital

Um in einen langfristig „sinnvollen“ Rhythmus zu kommen, plante ich die nächsten Perspektivgespräche für den Januar 2021. Somit konnten sie nur digital stattfinden. Da inzwischen Meetings, Besprechungen und Termine „per Zoom“ alltäglich geworden waren, war klar, dass auch die Vieraugengespräche „digital“ stattfinden könnten. Von einigen Teammitgliedern, die noch im Büro und noch nicht im Homeoffice arbeiteten, kam der Wunsch, diese in Präsenz durchzuführen, da am Rechner im Großraumbüro nicht genügend Privatsphäre für vertrauliche Gespräche sei. Letztendlich wurden aber alle Gespräche digital durchgeführt, da auch diese Mitarbeiter zum Termin ins Homeoffice gewechselt waren.

Die Gespräche verliefen recht unterschiedlich. Einige Teammitglieder hatten ihre Kompetenzbögen sorgfältig aktualisiert und wir sind die Veränderungen gegenüber dem Vorjahr detailliert durchgegangen. Andere nutzten die Gelegenheit, sich einfach mal in Ruhe „den Frust von der Seele zu reden“. Die große Bandbreite der Gesprächsverläufe ist für mich positiv, da ich die Profile nicht als „wissenschaftlich-exaktes“ Werkzeug, sondern als „kleine Impulsgeber“ für die Gespräche verstehe. Das digitale Format habe ich dabei als recht neutral erlebt. Hilfreich war sicher, dass es bereits eine etablierte Struktur gab und die Teammitglieder den Ablauf kannten.

Mit einer Mitarbeiterin stand ein „intensiveres“ Gespräch an, da bei ihr ihre Erwartungen an ihre Rolle im Team und meine Einschätzung ihrer Leistung relativ weit auseinander lagen. Hier hat der durch das Online-Format erzwungene Fokus meiner Meinung nach dabei geholfen, das Gespräch sachlich-konstruktiv und weniger emotional als von Auge zu Auge zu führen. So hat es beiderseits zum besseren Verständnis beigetragen – mit seitdem anhaltenden positiven Veränderungen.

Hintergrund und Entwicklungsmöglichkeiten

Vieles lässt sich sicher anders und besser organisieren. Denn ich habe „Führung“ nie gelernt, sondern mir aus verschiedenen Facetten meines bisherigen Lebens „zusammengeklaubt“. Die wichtigste Grundlage sind meine 20 Jahre Erfahrungen als Kreativer und als Teammitglied – zuletzt biografisch bedingt oft als ältestes und erfahrenstes – in unterschiedlichen Rollen und bei verschiedenen Organisationen. Da ich ab und an auch selbst noch als Designer tätig bin, habe ich (hoffentlich) ein gutes Grundverständnis, was die Arbeit als Kreativer angeht.

Eine wertvolle Ergänzung dazu bilden meine Erfahrungen aus der Lehre. Hier habe ich viele Einsichten gewonnen, wie man Feedback und Kritik an kreativen Ideen und Entwürfen übt – und dabei deutlich zwischen „objektiven Kriterien“ und „persönlicher Meinung und Geschmack“ differenziert. Die Grenzen sind dabei jedoch fließend, denn ein objektives „Richtig“ gibt es im Kommunikationsdesign nicht. Stattdessen hilft die, ebenfalls aus der Lehrtätigkeit stammende, Idee der „Angemessenheit“: Sie erlaubt es, Gestaltungsergebnisse anhand ihrer Passung zur Aufgabe, der Zielgruppe, dem Kontext und dem Medium zu betrachten und so eine Diskussion darüber zu versachlichen.

Für die zukünftigen Gespräche wird zu überlegen sein, ob und in welcher Form die Kompetenzprofile „veröffentlicht“ werden, also dem gesamten Team zugänglich gemacht werden, und was sich konkret aus möglichen Weiterentwicklungen für Gehaltsverhandlungen ergibt (die nicht Teil meiner Gespräche sind, sondern die mit der Geschäftsführung direkt geführt werden).

Jakob Maser

Jakob Maser (*1973) ist Diplom-Designer und seit 2017 als Teamleitung Kreation bei der LIVING CONCEPT WERBEAGENTUR GmbH in Münster tätig. Er hat Produkt- und Kommunikationsdesign in Münster studiert und war nach dem Studium selbstständig und als Freelancer für Agenturen und eigene Auftraggebende tätig. Darüber hinaus ist er in der Lehre aktiv, seit 2012 an der Münster School of Design der FH Münster. Von 2015 bis 2019 war er Mitglied im Präsidium des BDG (Berufsverband der Kommunikationsdesigner in Deutschland) und hat ein Buch über „Unternehmenstypen im Kommunikationsdesign“ geschrieben. Gemeinsam mit Kolleg*innen organisiert er seit 2009 die monatlichen Fachvorträge des DesignForum Münster. Auf Gruppendynamik als Thema ist er durch seine Arbeit für igo – Institut für Gruppendynamik und Organisationsberatung, Münster – und das FiS gekommen. — maser@livingconcept.dewww.livingconcept.dewww.jakobmaser.com

Jakob Maser: Wasserstandsmeldungen und Perspektivgespräche