Der Versuch eines differenzierten Rückblicks auf meinen eigenen Entwicklungsweg
Als im März 2020 im ersten lockdown alle Präsenzveranstaltungen abgesagt werden mussten, war für mich als Supervisorin klar: da kann ich nur abwarten bis alles wieder normal wird. Meine Vorstellungen von Konfliktklärungen schienen im online Format unmöglich, dafür brauchte es die Präsenz aller Beteiligten in einem Raum, das gegenseitige Erleben, Spüren auch das Erspüren der Themen hinter den Themen.
Spätestens im Juni wurde mir klar, dass Konflikte keinen Aufschub über eine ungewisse Zeit dulden und ich mich allen inneren Widerständen zum Trotz auf den Weg machen wollte und musste, mich mit der Idee eines online Formates zu beschäftigen.
Jetzt etwa ein Jahr später kann ich sagen: es war eine spannende Reise und es geht viel mehr als ich dachte.
Was geht gut?
Eine Grundvoraussetzung für eine online Konfliktklärung ist natürlich wie bei allen anderen virtuellen Formaten eine möglichst stabile Technik, d.h. auch die Bilder aller Beteiligten müssen stabil zu sehen sein.
Da diese Verlässlichkeit allerdings auch durch noch so gute Planung nicht gegeben ist, war meine erste Aufgabe, mich von meinem eigenen Perfektionismus ein Stück zu verabschieden und die Situation so zu gestalten, wie es jeweils möglich war.
Gleichzeitig bietet die technische Seite einen neuen diagnostischen Blick auf Konflikte.
Bei einer Konfliktmoderation eines Schulleitungsteams war die Schulleiterin in ihrem Bild kaum zu sehen, sie saß im Dunkeln. Sich sichtbar zu zeigen erwies sich anschließend auch als ein Schlüsselthema in der Konfliktklärung.
Auch der Hintergrund vor dem man sich zeigt kann eine Bedeutung haben. Ihr Kollege saß in einem sehr unaufgeräumten Kinderzimmer, obwohl ihm Struktur sehr wichtig ist. Eine Ambivalenz, die sich auch in der weiteren Arbeit zeigte.
Sich einer Konfliktklärung zu stellen, ist oft mit Schamgefühlen und Ängsten verbunden. Sich in einem relativ geschützten Rahmen zu öffnen, ist manchmal einfacher. Hier kann das online Format hilfreich sein, weil man in der eigenen vertrauten Atmosphäre bleiben kann.
Auch die Möglichkeit, einfach mal aus dem Bild zu gehen oder die Kamera auszuschalten, um sich damit etwas Raum zu verschaffen, trotzdem noch durch Hören verbunden zu sein und relativ einfach wieder zurückzukommen, habe ich als hilfreich erlebt. Im Präsenzformat bedeutet ein Verlassen des Raumes eine größere Distanz, die die Verbindung zunächst einmal ganz kappt.
Meine Erfahrung ist auch, dass sich in der online Klärung eine größere Gesprächsdisziplin zeigt.
Es gibt eine stärkere Fokussierung auf das Wesentliche und auf das gesprochene Wort, sodass die Achtsamkeit miteinander steigen kann.
Hilfreich finde ich an der Stelle das explizite Treffen von Vereinbarungen und Konversationsprinzipien, um jedem Teilnehmenden die Sicherheit zu geben mit seinem/ihrem Anliegen zu Wort zu kommen.
Die Grundhaltung des Containments, die mir in der Konfliktmoderation sehr wichtig ist, gelingt auch virtuell durch kläre Präsenz, Wertschätzung und durch das Schaffen einer vertrauensvollen Grundatmosphäre. Hier ist es möglich, auch online einen Raum zu schaffen, in dem die Teilnehmenden sich sicher und gehalten fühlen. Dabei hilft es, die Ratsuchenden möglichst oft mit ihrem eigenen Namen anzusprechen, ist aber auch mein Erscheinen im virtuellen Raum maßgeblich (gutes Licht, gute Sitzposition, präsentes Erscheinen).
Dann kann es gelingen sich auch emotional zu zeigen und so die Konflikterhellung mit eigenen Bedürfnissen und Wünschen voranzutreiben.
Hilfreiche tools
Ich nutze in meiner Supervisionspraxis nur sehr ausgewählt und bewusst reduziert Methoden und tools.
Meine supervisorische Grundhaltung ist eine psychodynamische, d.h. ich arbeite viel mit „intelligenten Gesprächen“ in einem guten Kontakt, mit meiner eigenen Intuition und der Intuition der Klient*innen, um das Thema hinter dem Thema zu explorieren und der Exploration einen entschleunigten gut gehaltenen Raum zu geben.
Meine Erfahrung hat gezeigt, dass ich die Teilnehmenden online mit der Vernetzung zu tools manchmal technisch überfordere und damit die gewonnene Sicherheit und das Vertrauen im Kontakt zu kippen droht.
Deshalb arbeite ich auch online in der Konfliktmoderation mit nur wenigen tools, um den Focus auf das Wesentliche zu legen. Wenn ich beim Öffnen der Karte der Befindlichkeiten z.B. Klient*innen verliere, weil sie nichts mehr hören oder anschließend nicht wieder in den Raum zurückfinden, dann gelingt ein guter Einstieg auch mit der einfachen Frage: Wie geht es ihnen?, die in stabilem technischen und persönlichen Kontakt ausgetauscht werden kann.
Ich möchte hier die tools kurz vorstellen, mit denen ich gute Erfahrungen gemacht habe.
Die meisten tools kommen aus der präsenten Moderation und sind aber nach meiner Erfahrung so gut übertrag- und einsetzbar.
1. Karte der Befindlichkeiten
https://coachingspace.net/digitale-karte-der-befindlichkeiten/
Um aus dem Kopf ins Spüren zu kommen, eignet sich gut die Positionierung auf der Karte der Befindlichkeiten und der anschließende Austausch darüber.
2. Flinga
Flinga eignet sich gut für eine Visualisierung des Konfliktes unter unterschiedlichen Aspekten:
- Auf eine Skalierungslinie können die Konfliktparteien zu Beginn der Arbeit eintragen, wie hoch ihre Hoffnung ist, dass sich der Konflikt löst und wie sie die Möglichkeiten der Konfliktlösung einstufen.
- Auch kann es hilfreich sein, den Konflikt in die Mitte zu stellen und die Personen aufzufordern, sich auch virtuell in einem Abstand zum Konflikt zu positionieren, wie sie ihn gerade fühlen.
- Eine timeline zur Visualisierung der Historie des Konfliktes ist gut mit flinga darzustellen und hat sich gut als Gesprächsaufhänger zur Klärung erwiesen.
3. Eine kleine Methode aus dem Psychodrama
Gute Erfahrungen habe ich mit der folgenden Methode gemacht, mit der ich in Präsenz in Zweierklärungen oft gearbeitet habe, die sich aber auch gut online durchführen lässt.
Die Klienten nehmen sich jeweils einen zweiten Stuhl und platzieren ihn neben ihren Stuhl, sodass sie seitlich zur Kamera sitzen und auf den zweiten Stuhl schauen. In dieser Position berichten sie dem vorgestellten Gegenüber, was sie für den Kern des Konfliktes halten. Dabei schauen sie nicht in die Kamera, die zweite Person schaut nur zu unterbricht nicht.
Dann erfolgt der Rollenwechsel. Die Hauptperson wechselt den Stuhl und damit die Perspektive und gibt aus dieser Perspektive das wieder, was sie verstanden hat. Anschließend wechselt sie wieder auf den eigenen Stuhl.
Nun werden die Rollen getauscht und die zweite Person durchläuft den gleichen Prozess.
Diese Methode eröffnet neue Perspektiven, ein neues Verständnis und bietet die Möglichkeit des Spürens.
Die Kunst beim Einsatz aller Methoden online ist es nach meiner Erfahrung, die Klient*innen nicht zu überfordern und das Thema zugunsten der Technik nicht aus dem Blick zu verlieren.
Meine Erkenntnis ist, dass es hier für mich immer wieder einer Abwägung bedarf, welchen Nutzen ein Tool bietet und wie groß die Gefahr ist, durch den Einsatz vom eigentlichen
Thema abzulenken und die Präsenz und den Kontakt im virtuellen Prozess zu vernachlässigen.
Sicherlich spielt an dieser Stelle auch meine eigene technische Unsicherheit und Unerfahrenheit noch eine Rolle.
Grenzen
Je größer die Gruppe und je komplexer der Konflikt, um so schwieriger erscheint mir das online Format. Hier ist meine Devise die Komplexität für eine virtuelle Bearbeitung zunächst zu reduzieren, also in kleineren Settings zu arbeiten und diese später wieder zusammenzuführen.
So habe ich in einem Team von 5 Sozialarbeiter*innen zwei Konfliktklärungen, die jeweils nur zwei Personen betrafen, in eigenen Settings gut online bearbeiten können, um sie dann wieder in den Gesamtprozess aufzunehmen.
Ich liebe Menschen und Beziehungen.
Deshalb ist für mich die persönliche Begegnung mit meinen Klient*innen gerade auch im Format der Konfliktklärungen durch eine virtuelle Veranstaltung nicht zu ersetzen.
Vieles was neben dem gesprochenen Wort noch wahrgenommen werden kann an Reaktionen, Körpersprache und Atmosphäre im Raum fehlt. Substantielle Aspekte bleiben auf der Strecke.
Das, was der Soziologe Hartmut Rosa die Resonanz zwischen Menschen in Begegnungen nennt, ist online nur begrenzt zu erleben. Man kann sich eben nicht in die Augen sehen und damit findet die Interaktion vornehmlich kognitiv statt.
Ich verweise hier auf ein für mich sehr erhellendes Interview mit ihm, indem er dieses Phänomen gut beschreibt.
https://www.youtube.com/watch?v=jCyBmIb449o
Und es fehlt eben auch nachweislich die Ausschüttung des Hormons Oxytocin, das bei jedem angenehmen körperlichen Kontakt freigesetzt wird.
Die informelle Pausengestaltung, in der es manchmal beim Kaffee zu einer Begegnung oder Bewegung kommen kann, ist nach meiner Erfahrung auch durch den Einsatz von tools wie www.wonder.me.de oder www.spatial.chat.de nicht zu ersetzen.
Eine große Herausforderung ist es für mich, den Blick auf mich im online Format gut auszuhalten und gut zu dosieren. Ich merke, dass es mir manchmal schwerfällt mich innerlich zu spüren d.h. meine Bilder, Gefühle und Hypothesen wahrzunehmen, weil ich viel von der Äußerlichkeit absorbiert bin.
Ausblick
Ich werde die Möglichkeit auch Konfliktmoderationen online durchzuführen in meine Angebote mit aufnehmen, weil ich durchaus auch Vorteile sehe.
Konfliktklärungen dulden oft keinen Aufschub und manchmal kann das virtuelle Treffen eine erste Möglichkeit einer geschützten Begegnung bieten, die im Präsenzrahmen noch nicht vorstellbar ist oder im Präsenzrahmen im Moment nicht realisierbar ist.
Dreh- und Angelpunkt bleibt die Frage, welches Format für die Zielsetzung und die beteiligten Personen am zielführendsten ist. Damit beziehe ich mich und meine Rolle und Möglichkeiten mit ein: auch ich muss mit dem Format fein sein.
Auch ein blended Angebot ist für mich denkbar, in der Form, dass ich eine Präsenzveranstaltung durchführe zum Kennenlernen und anschließend in das online Format wechsle. Oder zwischendurch können online Termine verabredet werden, um Vereinbarungen abzusprechen oder das Einhalten von neu Vereinbartem zu reflektieren.
Wichtig erscheint mir dabei aber immer auch die Begrenzung der Begegnung im Blick zu haben, um mich nicht selbst zu überfordern, indem ich Dinge erwarte, die in einer virtuellen Kontaktaufnahme nicht immer möglich sind.
Fazit
Eine spannende Reise, die für mich noch nicht beendet ist.
Sie hat mir neue Möglichkeiten und Perspektiven eröffnet, für die ich dankbar bin.
Sie hat mich mal wieder zu einer Lernenden werden lassen mit allen Unsicherheiten, die damit verbunden sind. Aber auch mit der beglückenden Erfahrung etwas geschafft zu haben, die sich gut anfühlt. Dem hätte ich mich ohne die Pandemie so nicht gestellt.
Und es ist mir deutlich geworden, wie wichtig für mich der Interaktionskontext zum Lernen und Leben ist. Für mich ist und bleibt die physische Präsenz und die damit verbundene Resonanz ein wichtiges Lebens- und Entwicklungselexier.
Ute Droste
Ute Droste, Mülheim a. d. Ruhr, Supervisorin, Coach (DGSv), Supervisorin/Konfliktmoderatorin in der Lehrerfortbildung,Lehrerin an einem Berufskolleg, seit Juni 2021: Online-Supervisorin (DGSv) — info@ute-droste-supervision.de — www.ute-droste-supervision.de