Psychiatrische Kliniken sind von je her besondere Arbeitsplätze. Sie konfrontieren die dort Beschäftigten mit einem komplexen und anspruchsvollen Arbeitsfeld, das die Person jedes Einzelnen in seiner Haltung und seiner Beziehungskompetenz fordert, für das das Funktionieren von Teams, von Kommunikation und Kooperation unabdingbar ist und auf das die Governance und die Kultur der umgebenden Organisation entscheidenden Einfluss haben. Nicht zuletzt spiegeln sich in psychiatrischen Kliniken auch z. T. existenzielle gesellschaftliche Fragen, Narrative und Dilemmata, die wiederum einen unmittelbaren Einfluss auf die Chancen der Patientinnen und Patienten auf Genesung, Heilung, auf einen selbstbestimmten Umgang mit psychischen oder seelischen Beeinträchtigungen und auf soziale Teilhabe nehmen.
Angesichts dieser Überlegungen ist es leicht zu verstehen, dass Intervision und Supervision zum Handwerkszeug der in diesem Feld Tätigen gehört bzw. gehören sollte. Sowohl meine langjährige Tätigkeit als Leiter Unternehmensentwicklung bei einem großen und an ca. 15 Standorten tätigen Träger der psychosozialen Versorgung als auch meine noch nicht so umfangreiche Erfahrung als Supervisor in psychiatrischen Teams zeigen, dass dies in der Realität keinesfalls selbstverständlich ist. Die Regelmäßigkeit von Supervisionssitzungen, deren ausreichende Frequenz und Finanzierung, das Commitment der Teilnehmenden, deren Kompetenz und Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit, all das muss unter den Bedingungen von Alltagsstress, ökonomischem Druck und z. T. auch gegen Widerstand und Unverständnis von Einzelnen immer wieder „erkämpft“ werden.
Die folgenden Ausführungen nehmen die Situation in psychiatrischen Kliniken als Supervisionsfeld in den Blick und beschreiben sie in drei Spannungsfeldern. Meine Überlegungen basieren auf Erfahrungen und Beobachtungen in meinen o. g. Rollen und sind deshalb subjektiv und daher nicht ohne Weiteres verallgemeinerbar.
Spannungsfeld 1: Selbstbestimmung und Fürsorge
Nicht zuletzt angesichts der Rolle der deutschen Psychiatrie in der NS-Diktatur und der zunächst vielfach ausgebliebenen bzw. verspäteten Aufarbeitung der im Namen von kruden Rassentheorien und vermeintlicher Wissenschaftlichkeit verübten Verbrechen an Menschen mit psychischen Erkrankungen bzw. Behinderungen, sind das durch das Grundgesetz garantierte Selbstbestimmungsrecht jedes und jeder Einzelnen und die Unantastbarkeit der Menschenwürde zentrale Paradigmen für jede psychiatrische, psychotherapeutische, sozialpsychiatrische und pflegerische Intervention. Die aktuelle Rechtsprechung zur Zwangsbehandlung und Zwangsmedikation, das 2013 novellierte Patientenrechtegesetz und nicht zuletzt die einschlägigen Landesgesetze zur Behandlung psychisch kranker Menschen legen hohe Hürden für eine Behandlung von Menschen gegen deren Willen. Einzige Rechtfertigungskriterien dafür sind die aktuelle und erhebliche Gefährdung entweder der eigenen Person oder Dritter. Eine sorgfältige Abwägung, Dokumentation und richterliche Prüfung dieser Situationen gehört seit langem zum etablierten Vorgehen in den Kliniken, zudem halten präventive Konzepte wie „Safe Wards“ und Deeskalationsmanagement Einzug in das professionelle Repertoire insbesondere der Teams der Kriseninterventionsstationen.
In der Realität psychiatrischer Kliniken sehen sich die Beschäftigten jedoch gleichzeitig immer wieder mit Situationen konfrontiert, in denen Menschen Behandlungen ablehnen, die ihnen erfahrungsgemäß und evidenzbasiert helfen könnten, sie von quälenden Zwangsideen, depressiver Antriebslosigkeit, von Suizidgedanken und verstörendem Selbsterleben und Wahnvorstellungen zu befreien bzw. den Umgang damit zu erleichtern. Sowohl für Angehörige als auch für Professionelle ist das schwer zu akzeptieren, dem Recht auf Selbstbestimmung steht die Zumutung gegenüber, dies zu tragen und zu ertragen, insbesondere wenn es auf Kosten von anderen (Mitarbeitende, Mitpatienten, Angehörige, Gesellschaft) geht und deren Solidarität beansprucht.
Ein aktueller Ausdruck dieses Spannungsfeldes ist auch der Diskurs darüber, wie die Menschen, die sich freiwillig oder unfreiwillig in psychiatrische Behandlung begeben, genannt werden sollten. Der Begriff „Patient“, der im Zusammenhang mit der Behandlung in einem somatischen Krankenhaus nicht hinterfragt wird, wird in der Psychiatrie zunehmend durch Begriffe wie „Klienten“ oder „Nutzende“ ersetzt und darüber hinaus implizit als Ausdruck einer gewünschten Haltung interpretiert. Ähnliches ist in der Kommentierung von Klassifikationssystemen zu beobachten: Der ICD 10, ein diagnose- also auf die Störung bezogenes und für die Abrechnung relevantes System, ist in der somatischen Medizin unumstrittenen, wird in der psychiatrischen Versorgung jedoch zunehmend kritisiert. Es reduziere den Menschen auf seine Störung, vernachlässige seine Ressourcen, trage damit zu seiner Stigmatisierung bei und verhindere letztlich gesellschaftliche Teilhabe. Stattdessen rückt aktuell der ICF (International Classification of Functioning, Disability und Health) in den Mittelpunkt, ein Klassifikationssystem, das in einem ganzheitlichen Ansatz die Teilhabemöglichkeiten und -einschränkungen der Betroffenen fokussiert.
Um nicht missverstanden zu werden: Der kritische Umgang mit den bisherigen Narrativen der Krankenhauspsychiatrie ist eine gute und notwendige Entwicklung, die wichtige Verbesserungen für die Betroffenen mit sich gebracht hat, man denke nur an die Öffnung von bisher geschlossenen Stationen, das Ultima-ratio-Gebot bei der Verwendung von Zwangsmaßnahmen, die Einführung von Zuhause-Behandlung, das trialogische Prinzip, der Einzug von systemischen Ansätzen in die Behandlung u. v. a. m.
Gleichzeitig sehe ich die Gefahr, dass es zu einer „Gegenstigmatisierung“ kommt, dass eine psychische Krise oder Störung, die einen Menschen quasi schicksalhaft und oft mit brutaler Härte befällt, nicht mehr „einfach nur“ als Erkrankung wie jede andere eingeordnet werden kann. In einer Supervisionssitzung kurz nach einem verstörenden Suizid einer Patientin in einem kurzen unbeobachteten Moment auf einer Station habe ich erlebt, wie wichtig in der Aufarbeitung der Macht- und Hilflosigkeit des Umfeldes einschließlich der Professionellen die Akzeptanz ihrer Krankheit als solche war. Die Frau war keine Nutzerin, der man Angebote macht, sie war keine Klientin, die Rat suchte, alles das wurde im Vorfeld vergeblich versucht, sie starb als Patientin an einer todbringenden Erkrankung.
Es wird deutlich, dass die genannten Aspekte in jedem Einzelfall, in der Entwicklung der Konzepte der „Psych“-Fächer und der psychosozialen Versorgung immer wieder aufs Neue abgewogen und bewertet werden müssen. So wichtig Narrative, Selbstverständlichkeiten, Routinen und Gewissheiten sind, so sehr bergen sie auch die Gefahr von Fehleinschätzungen, einseitigen Bewertungen und falschen Entscheidungen. Neben der trialogischen Arbeit mit den Betroffenen kann Supervision m. E. dabei helfen, eine gemeinsame Orientierung dafür zu schaffen, wieviel Fürsorge, Entpflichtung und Schutz Menschen in psychiatrischen Kliniken wirklich brauchen und wieviel Selbstbestimmung möglich ist.
Spannungsfeld 2: Idealismus und Überforderung
Menschen, die in Gesundheitsberufen und in sozialen Berufen arbeiten, verfügen durchgängig über eine gute und zum größten Teil auch staatlich überwachte und durch Berufsverbände qualitätsgesicherte Qualifikation. Darüber hinaus ergreifen Menschen die sogenannten helfenden Berufe i. d. R. aus einer wertebasierten Motivation heraus und haben hohe ethisch-moralische Ansprüche an sich selbst, ihre Kolleginnen und Kollegen und an die Organisation, in der sie arbeiten. Auch nach Abschluss ihrer grundständigen Ausbildungen bzw. Studiengänge gehören die kontinuierliche Fort- und Weiterbildung zur DNA dieser Berufe, derartige Verpflichtungen findet man auch in den Weiterbildungsordnungen der entsprechenden Berufsverbände bzw. Kammern.
Der erlebte Berufsalltag auf den Stationen psychiatrischer Kliniken entspricht oft nicht den idealisierten Vorstellungen von Arbeitsplätzen und Anforderungsprofilen, wie sie in den Studien- bzw. Ausbildungsgängen in Medizin, Pflege, Psychotherapie u. a. vermittelt werden. Hoher Aufnahmedruck, viele Notfallaufnahmen, Überbelegung, permanentes Krisenmanagement, hohe Personalausfallquoten, Menschen mit herausforderndem Verhalten, und immer wieder auch gewaltsame Übergriffe und Aggressionen prägen den Stationsalltag. Hinzu kommen wachsende administrative und juristisch relevante Aufgaben und Dokumentationspflichten, die letztlich negative Narrative fördern; zum einen, dass eine Leistung, die nicht dokumentiert ist, auch nicht stattgefunden hat und demzufolge auch nicht abgerechnet werden kann bzw. mit Rechnungskürzungen geahndet wird, zum anderen, dass man ständig in der Gefahr steht, Rechtsnormen zu verletzen und sich im juristischen Sinne angreifbar zu machen. Ein erheblicher Teil therapeutischer und pflegerischer Ressourcen muss deshalb für Absicherung und Rechtfertigung aufgewendet werden.
Unter den geschilderten Bedingungen kommen auch die in psychiatrischen Kliniken etablierten Stationsstrukturen an ihre Grenzen. Gerade in kleineren Kliniken ist es kaum noch möglich, störungsspezifische Settings zu organisieren, geschützte Zeiten und Räume für Gespräche und Begegnung zu sichern, modulare Therapieprogramme durchzuführen oder auch nur ein störungsarmes und Genesung förderndes Stationsmilieu aufrecht zu erhalten. Es handelt sich aber nach meiner Erfahrung gerade um die Elemente, die im beruflichen Selbstverständnis von Fachexperten in psychiatrischen Kliniken eine entscheidende Rolle spielen. In den Supervisionen wird immer wieder deutlich, dass vor allem Zeit fehlt, Zeit für Patientinnen, Patienten und deren Angehörige, Zeit für Konzeptarbeit und Weiterentwicklung, Zeit zur Reflexion.
Die Lücke zwischen den in der beruflichen Qualifikation vermittelten Qualitätsstandards und der in den Kliniken erlebten Realität ist zu einem gewissen Teil systemimmanent und auch erklär- und tolerierbar. Wenn Mitarbeitende aber über lange Zeit eine erhebliche Diskrepanz und auch keine Entwicklung in die richtige Richtung erleben, führt das nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zum Phänomen der „impliziten Rationierung“: Beschäftigte senken ihre Qualitätsansprüche ab bzw. erbringen notwendige Leistungen nicht, um den Anforderungen einigermaßen nachkommen zu können. Im Alltag wird das in der Regel nicht thematisiert, geschweige denn legitimiert, so dass jeder damit allein fertig werden muss. Damit geht beinahe zwangsläufig ein permanentes Defiziterleben, wenn nicht sogar ein andauerndes schlechtes Gewissen einher – verbunden mit der latenten Befürchtung, einer Überprüfung z. B. durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen nicht zu genügen.
Neue Perspektiven für die psychosoziale Versorgung und damit auch für die berufliche Entwicklung der Mitarbeitenden in der Psychiatrie bieten andererseits Entwicklungen, wie sie z. B. in Modellvorhaben nach § 64b seit einigen Jahren in der Praxis erprobt werden. Im Mittelpunkt dieser Modelle stehen die Vermeidung bzw. Verkürzung stationärer Aufenthalte, die Sektoren übergreifende Behandlung mit dem Paradigma „ambulant vor stationär“, die Einführung von Zuhause-Behandlung sowie die Konzentration auf die sogenannten SMI-Patienten (Severe Mental Illness). Es handelt sich um Menschen, die aufgrund von Art und Schwere der Erkrankung, die häufig mit sozialem Abstieg und gesellschaftlicher Isolation verbunden ist, oft lebenslanger Begleitung durch das psychosoziale Hilfesystem bedürfen.
Diese Themen sind für viele in der Psychiatrie Tätigen konzeptionell und vom Tätigkeitsprofil sehr attraktiv. Fachkräfte, die Aufgaben in der ambulanten Versorgung, in der Zuhause-Behandlung oder in den Bezugspersonensystemen übernommen haben, berichten von einem anspruchsvollen, abwechslungsreichen und herausfordernden Tätigkeitsfeld, von dankbaren Klienten und Angehörigen. Sie schätzen den Verantwortungszuwachs, das selbstständige Arbeiten und die gewonnenen Freiheitsgrade auch in der Arbeitszeitgestaltung. Gleichzeitig stehen aber auch die Stationen vor einer weiteren Herausforderung. Dadurch, dass Patienten mit weniger schweren Krankheitssymptomen und Einschränkungen nicht mehr stationär behandelt werden müssen, sind die Mitarbeitenden zunehmend mit schwer Kranken konfrontiert, die neben ihrer psychiatrischen Symptomatik oft umfangreiche Komorbiditäten, Suchtproblematiken und oft auch herausforderndes bzw. dissoziales Verhalten zeigen, was die oben geschilderte Problematik eher verschärft.
Supervision wird in dieser Gemengelage von Stationsteams häufig dafür genutzt, Psychohygiene zu betreiben, herausfordernde Zustände zu benennen und sich damit zu entlasten. Die Herausforderung für den Supervisor und für das Team gleichermaßen besteht darin, immer wieder Aspekte sichtbar zu machen und zu würdigen, die die vorhandene Motivation, die Fachkompetenz und das Selbstwirksamkeitserleben der Beteiligten reaktivieren und stärken. Diese Funktion steht nach meiner Erfahrung gerade in den Teams auf den Akutstationen oft im Vordergrund und damit auch in Konkurrenz zur klassischen Fallarbeit.
Spannungsfeld 3: Therapeutischer Auftrag oder gesellschaftlicher Lückenbüßer
Ein drittes Thema, das in den Supervisionssitzungen immer wieder angesprochen wird, betrifft den gesellschaftlichen Auftrag der Psychiatrie. Mitarbeitende schildern, dass einzelne Menschen nur noch auf der Station sind, weil sich kein geeignetes gemeindepsychiatrisches Wohn- und Betreuungsangebot für sie finden lässt. Angehörige, die froh sind, Menschen mit ausgeprägten psychiatrischen Symptomen mal eine Weile los zu sein, reagieren mit Unverständnis auf die Entscheidung, einen Unterbringungsbeschluss aufzuheben, weil keine Selbst- oder Fremdgefährdung mehr vorliegt und der Patient selbst entscheiden kann, ob er seine Behandlung fortsetzen oder abbrechen will. Regelmäßig vor Weihnachten ist ein Anstieg der Zuweisungen von betagten Menschen mit Demenz zu beobachten, unabhängig davon, ob sie aus Pflegeeinrichtungen oder aus dem familiären Umfeld kommen. Ob es obdachlose und verwahrloste Menschen sind, die wegen einer schweren Alkoholintoxikation vom Rettungsdienst gebracht werden, ob es Menschen sind, die von der Polizei wegen gewaltsamer Übergriffe auf Familienangehörige eingewiesen werden – bei den Mitarbeitenden insbesondere der Akutstationen entsteht der Eindruck, Lückenbüßer für jede Art von gesellschaftlichem Versagen zu sein und von den Institutionen der Gesundheits- und Sozialversorgung diejenige zu sein, die im Zweifel jedes Problem löst.
Die 24/7-Präsenz und der regionsbezogene Versorgungsauftrag untermauern den Auftrag der Gesellschaft an die psychiatrischen Kliniken, jederzeit ein verlässlicher Anlaufpunkt für Menschen in Krisen zu sein. Diese unabdingbare Funktion ist zweifellos eine soziale Errungenschaft einer auf den Grundsätzen von Humanität und Demokratie basierenden Gesellschaft, deren Wert nicht hoch genug einzuschätzen ist.
Gleichzeitig ist sie aber auch ein Spiegel von gesellschaftlichen Versäumnissen, vom Rückgang intakter Familienstrukturen, von Tendenzen von Individualisierung und Vereinsamung, eines Bildungssystems, das neben (immer noch zu wenigen) hochqualifizierten Fachkräften auch jede Menge Verlierer „produziert“ und nicht zuletzt vom weitgehenden Fehlen wirksamer Präventionsansätze, die über Ratschläge zur persönlichen gesunden Lebensführung hinausgehen.
Mit diesem Spannungsfeld sind die Beschäftigten auf psychiatrischen Stationen unmittelbar konfrontiert. Jeder zeitgemäße Therapieansatz psychiatrischer Erkrankungen berücksichtigt neben den individuellen auch systemische Dispositionen, Ressourcen und Interventionen. Therapeuten und Pflegefachkräfte, Sozialpädagogen und Mediziner erleben im Berufsalltag häufig Situationen, in denen sie dem therapeutischen Auftrag mit einer nachhaltigen Perspektive, für die ihnen sich anvertrauenden oder anvertrauten Menschen nicht oder ungenügend nachkommen können. Das Management von Krisen steht im Vordergrund, und es sind häufig Krisen, die mit der psychiatrischen Erkrankung nur mittelbar im Zusammenhang stehen. Oft geht es um ganz basale Notwendigkeiten, ein Dach über dem Kopf, eine ausreichende Ernährung, saubere Kleidung, eine geschützte, suchtmittel- und gewaltfreie Umgebung, kurz um wesentliche Aspekte von Menschenwürde.
In der Supervision wird häufig das Bild transportiert, dass die Psychiatrie „am Ende der Versorgungskette“ stehe und für das ausdifferenzierte System aus Beratungsstellen, niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten, Wohneinrichtungen, Tagesstrukturangeboten einen „Notnagel“ biete, wenn Menschen nicht mehr für das jeweilige Angebot „passen“. Gleichzeitig wird es immer schwieriger, zu entlassende Patienten in solche Angebote zu vermitteln, weil es zu wenig Plätze oder keine geeigneten Settings gibt. Paradoxerweise wiederholt sich diese Logik auch innerhalb der psychiatrischen Klinik, nämlich wenn Mitarbeitende von Akutstationen berichten, dass Patienten von Stationen mit differenzierten Angebotsprofilen sofort verlegt werden, wenn sie dort Probleme machen und eine Rückverlegung oft schwierig ist, weil die Plätze dann von „passenden“ Patienten belegt sind.
In der Arbeit mit den Teams geht es häufig darum, gerade vor diesem Hintergrund den Blick für den Wert der eigenen Arbeit und die in vielen Situationen sich bietenden Chancen für die Patienten nicht zu verlieren und gerade auch die gelungenen Schritte, und seien sie scheinbar noch so klein, zu wertschätzen. Die Stärkung des Selbstwirksamkeitserlebens in der Berufsrolle und als Behandlungsteam ist m. E. ein zentrales Ziel von Supervision in der Psychiatrie, um Zynismus, Gleichgültigkeit und Entsolidarisierung vorzubeugen und damit Kopf und Sinne freizumachen für die „eigentliche“, nämlich die klassische Fallarbeit.
Fazit
Es wird deutlich, dass die Arbeit in psychiatrischen Kliniken dem medizinisch-therapeutischen Auftrag, „eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern oder im Anschluss an Krankenhausbehandlung den dabei erzielten Behandlungserfolg zu sichern oder zu festigen“ nachzukommen, in einem von Spannungsfeldern und Dilemmata geprägten und damit voraussetzungsvollen Kontext stattfindet. Weit mehr als in der somatischen Medizin muss um diese Voraussetzungen immer wieder und in jedem Einzelfall gerungen werden. Dies betrifft das Commitment des Patienten zu den Zielen, Methoden und Bedingungen der Behandlung, die Legitimation, Motivation und die Qualifikation der Beschäftigten, die Interessen von Angehörigen und der Gesellschaft, das Ausloten von Möglichkeiten und Grenzen des Versorgungsauftrags u. v. a. m. Damit wird deutlich, dass die Schaffung der Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behandlung in der psychiatrischen Klinik ein immanenter Teil dieser Behandlung selbst ist. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass so gesehen, Behandlung auch immer Verhandlung bedeutet.
Ich habe anfangs davon gesprochen, dass regelmäßige und halbwegs störungsfreie Supervision mit stabiler Teilnahme in psychiatrischen Kliniken keinesfalls selbstverständlich ist, immer wieder „erkämpft“ werden muss. Insoweit spiegelt sich das Ringen um wichtige Voraussetzungen für eine wirksame und erfolgreiche Behandlung als Teil der Behandlung selbst auch in der Supervision. Anders als in klassischen Supervisionsprozessen, die sich durch Kontinuität der Teilnahme, Verlässlichkeit, Klarheit und Verbindlichkeit der Arbeitsweise auszeichnen, sieht sich der Supervisor, der zu einer Sitzung in die psychiatrische Klinik kommt, häufig mit wechselnden Gesichtern, Supervisionsanfängern, Fehlen von Entscheidungsträgern und Störungen durch nicht aufschiebbare Erfordernisse des Alltagsgeschäftes konfrontiert und muss mithin immer wieder von vorn anfangen.
Anders als die psychiatrische Klinik und oft auch ihre Patienten jedoch hat der Supervisor die Wahl. Wer sich dafür entscheidet, kann sicher sein, sich auf ein anspruchsvolles, herausforderndes, gesellschaftlich bedeutsames und existenzielles Arbeitsfeld zu begeben, das – und dies sage ich wiederum aus ganz eigener Erfahrung – neben allem Zweifeln, Defizit- und Insuffizienzgefühlen auch beglückende Momente bereithält.
Bernhard Koelber
Betriebswirt Krankenhauswirtschaft (VWA), Fachkrankenpfleger Psychiatrie, Trainer für Gruppendynamik (DGGO*) seit 2001 Leiter Unternehmensentwicklung im Pfalzklinikum mit den Schwerpunkten Qualitätsmanagement, Personal- und Organisationsentwicklung und Unternehmenskommunikation, seit 2019 stellv. Projektleiter Modellvorhaben nach §64b SGB V, weitere Schwerpunkte Kompetenzmanagement, Führungskräfteentwicklung, Change Management u.a., darüber hinaus freiberufliche Erfahrung als Trainer, Organisationsberater und Supervisor *Deutsche Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsdynamik e.V.