Gute Frage! Meine Entscheidung, als Supervisorin nicht online (Video) zu arbeiten, habe ich nicht nur im stillen Kämmerlein getroffen, sondern in vielen Gesprächen mit Kolleg*innen reflektiert. Mit dem Ergebnis, dass ich etwas dazu schreiben soll. Ich versuch’s.
Zunächst zu meiner persönlichen Situation: Nach 30 Jahren Freiberuflichkeit in Vollzeit und parallel 15 Jahren Ehrenamt in der DGSv (1992–2007) habe ich 2019 als Bezieherin von Rente die supervisorische Arbeit auf Teilzeit reduziert, meine Praxisräume verkleinert, das Büro zu Hause eingerichtet, öffentliche Arbeit zurückgefahren und eine neue Balance zwischen Arbeit, Freizeit, Gesundheit, Interesse an Politik und dem Leben mit der Familie gefunden.
Zur Fortsetzung meiner professionellen Arbeit unter neuen Bedingungen gehört selbstverständlich die regelmäßige Qualitätssicherung (Balintgruppe, kollegialer Austausch, Feldforschung), zu der auch der Umgang mit dem Prozess der Digitalisierung gehört.
Ich habe vor 20 Jahren einen Artikel in der DGSv-Zeitung geschrieben ‚Der Kunde ist König‘. Es ging darum, wie der Einzug des Computers in die Gesellschaft und Arbeitswelt den Siegeszug des Kapitalismus begleitet, das Denken und die Strukturen durch die Ökonomisierung aller Lebensbereiche verändert, usw. Ich habe dafür geworben, sich diesem Prozess nicht zu verweigern, sondern ihn im Bewusstsein und der Reflexionsfähigkeit unserer Profession als Herausforderung anzunehmen und zu gestalten.
Aus meiner heutigen Sicht haben wir den schmalen Pfad zwischen Anpassung/Erfolg und kritischer Distanz/Identität ganz gut gefunden. Aktuell stehen wir als gesamte Gesellschaft vor der großen Herausforderung, existentielle Krisen zu bewältigen und mit Hilfe der technischen Entwicklungen eine sozial-ökologische-ökonomische Transformation zu schaffen.
Die Auswirkungen in den Arbeitsfeldern von Supervisor*innen sind persönlich wie strukturell akut spürbar, manchmal als Krise, Überforderung, Not, manchmal als Hoffnung, Aufbruch und Erneuerung. Auf jeden Fall mit viel Veränderung und Verunsicherung. In allen Altersgruppen.
Ich persönlich habe mich in den vergangenen 20 Jahren bemüht, den Anschluss an die technische Entwicklung mit der EDV und dem Internet zu schaffen und zu halten. Learning by doing, froh um die Männer in meinem Umfeld, die dazu mehr Lust und Kompetenz hatten und haben. So sind mir EDV-gestützte Datenverwaltung, Buchführung, Steuererklärung, Online-Banking selbstverständlich geworden. Die Kommunikation ohne Smartphone ist nicht mehr vorstellbar und das Zeitunglesen, mal-schnell-was-nachgucken mit dem Tablet in der Nähe ist zum Alltag geworden. Die Entwicklung geht immer und schneller weiter und meine Bereitschaft, Lust und Fähigkeit, mich immer wieder auf etwas Neues einzustellen, schwindet mit zunehmendem Alter.
Das Wissen um die Gefahren der Digitalisierung ist auch mit der Zeit gewachsen und führt zu einem latenten Gefühl von Kontrollverlust und Sorge (auch im Kontakt mit jugendlichen Enkelkindern). Schon unsere erwachsenen Kinder spüren das Gefühl, ‚nicht mehr mitzukommen‘. Wo geht das hin? Wie geht die Balance zwischen Anschluss, selbstbestimmtem Verhalten und Grenzen? Die technisch möglichen Einstellungen und Neuheiten, angeblich sicherere Wege überfordern mich oder sind mir lästig. Auch Jüngere suchen nach Wegen, sich dem Sog der digitalen Welt zu entziehen und die Kontrolle über das eigene Leben und die Lebensqualität nicht zu verlieren (oder wiederzugewinnen).
So bin ich ‚gut aufgestellt‘ in das Jahr 2020 gestartet. Und dann kam Corona. Ausgebremst, auf Null gestellt, Krise, Rückzug. Die Reaktionen im persönlichen und im politischen Umfeld, die eigenen Reaktionen auf Verbote, Erklärungen, unterschiedliche Verhaltensmuster – verstörend. Ich habe mit viel Wut auf die Ungewissheiten in der Politik und Wissenschaft reagiert, mich über Freiheitseinschränkungen aufgeregt. Bis mir die Dimension dieser Krise aufgegangen ist und ich die Chancen gefühlt habe, die in dieser Herausforderung stecken, wo – wie unter dem Brennglas – alle Defizite sichtbar werden (Pflege, Krankenhausfinanzierung, Vorsorge, Schulen, Lieferketten, Verkehr, Ausbeutung, Ungerechtigkeit, Flucht usw.). Eine kurze Phase war ich voll Hoffnung, dass das zu radikaler Erneuerung und anderen Werten und politischen Entscheidungen führen könnte. Nun geht alles doch wieder langsamer, mit all den Widersprüchen und Widerständen. Aber die Hoffnung aufzugeben, ist auch keine Option.
Im (telefonischen) Kontakt mit Kolleg*innen wurde mir klar, wie schnell sich die Videokommunikation auch in unserer Branche durchsetzt. Von einigen aus dem wirtschaftlichen Druck heraus schnell als Angebot entwickelt, von anderen auf Nachfrage von Supervisand*innen bereitgestellt, Kolleg*innen, die schon vorher fit waren mit weit entfernten Kunden z.B., wieder andere, die in Arbeitsgruppen eingebunden den Kontakt nicht abreißen lassen wollten und sich auf das Online-Format eingelassen haben.
Ich hatte überhaupt keine Lust und heftigen Widerstand!
Ich musste mich also auseinandersetzen, mit meiner Abwehr, mit den Anforderungen der Community, die ja von der ‚konstruktiven Konkurrenz‘ lebt und meiner privilegierten Lebenssituation, als Rentnerin auch den Rückzug wählen zu können. ‚Dafür bin ich zu alt‘ – das hat mir aber nicht gefallen.
Es hat eine Weile gedauert, bis ich verstehen und akzeptieren konnte, dass ich zwar gut, gerne und auch lange telefonieren kann (bei Bedarf auch beruflich), dass ich aber nicht vor meinem Laptop sitzen und sichtbaren Kontakt haben will. Mir ist das sehr unangenehm, zu nah und gleichzeitig zu distanziert. Ich kann mich nicht verbinden, fühle mich isoliert, abgeschnitten von meiner Wahrnehmung und bin durch die Technik erheblich abgelenkt. Ich kann mich weniger bewegen, kriege Rückenschmerzen und langweile mich schnell.
Auch privat ist das nicht anders, ich kann auch mit den Enkelkindern auf diesem Weg keinen Kontakt herstellen. Es gibt viele Menschen, die das auch so empfinden, auch unter den Kindern und Erwachsenen. Was auch immer dahinter steckt, es ist wichtig, das zur Kenntnis zu nehmen und nicht zu entwerten. Einem Kind, das sich tapfer zu Hause vor den Bildschirm setzt und die Kamera einschaltet, eine schlechte Note zu geben, weil es sich nicht genug einbringt, ist unsensibel und unfair. Das gibt es auch in Teams.
Kollegialer Rat, das sei alles ganz einfach, nur Gewöhnung/Routine, muss man lernen usw. ist nicht an mir vorbeigegangen. Ich wollte ja auch nicht im Trotz hängenbleiben. So habe ich einen guten Bildschirm (und die passende Beleuchtung) gekauft, habe ZOOM installiert und ausprobiert. Private Kontakte zu zweit, das geht (telefonieren finde ich besser). Ich habe auch den Gewinn kennengelernt, per Videoschaltung an Veranstaltungen teilzunehmen, als Zuschauerin. Das gefällt mir. Mich einzubringen oder auch mit mehreren zu kommunizieren, das kann ich nicht.
Ich habe also entschieden, dazu zu stehen und nicht online zu arbeiten.
Das hat zu anderen Perspektiven geführt.
Meine Supervisand*innen haben nicht nach Onlineberatung gefragt. Einzelne sind im Lockdown persönlich in die Praxis gekommen oder haben telefoniert. Einige Teams haben ausgesetzt. Inzwischen laufen alle Gruppen wieder und die unterschiedlichen Erfahrungen mit Corona und den Folgen sind Thema. Da gab es den Abteilungsleiter einer Behörde, der sich mit Beginn des Lockdowns zu Hause hinter dem Bildschirm ‚versteckt‘ hat und die ‚Teambesprechungen‘ mit ZOOM super fand, weil er endlich ohne Widerspruch lange reden konnte. Eine vielfach erzählte Erfahrung, dass Mitarbeiter*innen in Online-Kontakten weniger kritische Bemerkungen oder Fragen einbringen, sondern sich eher die zu Wort melden, die sich zeigen wollen und auf Zustimmung des Chefs hoffen.
Oder die Supervisandin, die mit Beginn des Lockdowns in den Personalrat gewählt wurde und 1,5 Jahre die anderen Mitglieder nur am Bildschirm sah. Sie hat heftige Konfliktdynamik zwischen den Personen/Rollen wahrgenommen, die nicht besprechbar waren. Ich bin sehr gespannt, ob diese Themen ‚nachgeholt‘ werden, bzw. wie sich diese Gruppe mit einem solchen Start entwickelt. Es gibt auch Berichte, dass Teams fragen, was denn auf der Tagesordnung für Sitzungen steht, um dann zu entscheiden, ob sie sich präsent oder digital treffen.
Bei Neuanfragen für Supervision würde ich klar sagen, ich mache keine Onlineberatung. Nicht, weil ich das doof finde, ablehne, entwerte, sondern weil ich es nicht mache. Eine Balintgruppe im Rahmen einer SV-Ausbildung habe ich ablehnen müssen, weil ich mir diese Arbeit online nicht vorstellen kann. Im regionalen DGSv-Netzwerk musste ich mich ausklinken, so lange die Kolleg*innen sich online getroffen haben. An zwei Lehrsupervisior*innen-Treffen habe ich nicht teilgenommen.
Die DGSv hat sich für das Verbandsforum sofort auf das Videoformat als Notlösung eingestellt. Verselbständigt sich das jetzt, weil es gut ankommt und weil es für einen bundesweiten Verband durchaus Vorteile hat? Werden Mitglieder die Vorteile präsenter Veranstaltungen schätzen und nutzen? Ich registriere die vielen Ausbildungsangebote für den professionellen, sicheren Umgang mit diesem Format.
Vor 20 Jahren wäre ich da sicher mitgegangen, vielleicht hätte ich über eine längere Fortbildung und Erfahrung meine Abwehr verändern können?
Mit fast 70 Jahren muss ich das nicht mehr.
Großeltern begleiten die Enkelkinder anders als die Eltern. Und ich genieße es, nicht mehr in leitender Verantwortung für die Transformationsprozesse zu stehen und auch nicht mehr den Erziehungsauftrag für die nachfolgende Generation verantwortlich zu tragen.
Und diese Freiheit führt zu anderen Perspektiven.
Es macht mir Freude und gelingt mir gut, technikaffine jüngere Menschen zu beraten, wenn sie verstehen wollen, warum Präsenztreffen so anders sind und ob es sich lohnt, die Wege dafür in Kauf zu nehmen. Mit ihnen zu entdecken, wie die Wahrnehmung sich ändert, wie Beziehungen sich entwickeln, wie sich Rollen, Macht und Normen gestalten. Um dann zu überlegen, für was welche Formate gut sind. Damit nicht die Fahrtkosten oder Arbeitszeiten alleine über die Form des Treffens entscheiden.
Ich begleite seit einiger Zeit das Leitungsteam eines Familienunternehmens im Nachfolgerprozess. Vor 2 Jahren hatte ich denen u.a. die Suche nach einem ‚jungen technikaffinen Mitarbeiter für die Verwaltung‘ empfohlen, der auch gefunden und fachlich gut eingearbeitet wurde. Jetzt nimmt der Digitalisierungsprozess im Unternehmen an Fahrt auf und das Machtgefüge verändert sich sehr. Mir macht es Freude, diesen Prozess bislang ohne Brüche zwischen alt-jung, analog-digital integrierend begleitet zu haben.
Ältere gelten als weniger technikaffin und viele, vor allem Frauen, fühlen sich abhängig von den Jüngeren oder den technikfitteren Männern. Auf der anderen Seite gelten Jüngere als technikfit, halten alle Probleme für technisch lösbar und lassen sich unkritisch auf die immer schneller werdende technische Entwicklung ein.
Diese einseitigen Zuschreibungen entsprechen zwar einem Teil der Realität, bergen aber viel Konfliktpotential, wenn auf der einen Seite Scham, Rückzug und Verweigerung das Verhalten bestimmt und auf der anderen Seite die Idealisierung und (Erlösungs-) Euphorie verteidigt wird und Probleme und Krisen nicht analysiert und verstanden werden.
Konfliktvermeidung in Teams ist nicht ungewöhnlich und sollte in Supervisionen nicht nur auf der persönlichen Beziehungsebene bearbeitet werden, sondern eben auch im Zusammenhang mit den gesellschaftlich relevanten Prozessen und ihrer Wirkung in der Person und Rolle. Das gilt genauso für den Umgang mit Diversität, Rassismus, Demokratiegegnern usw. Es geht immer um den Respekt dem anderen Gegenüber, um Zuhören, Wahrnehmen, Verstehen- und dann erst um Lösungen. Vor allem das Ernstnehmen und Anerkennen von Gefühlen (auch wenn man sie nicht versteht oder teilt) ist die Voraussetzung für Zusammenarbeit und demokratische Prozesse.
Die Digitalisierung hat Auswirkungen auf das Zusammenleben, auf Beziehungen, auf das Lernen, das Verstehen und vieles davon ist noch nicht absehbar. Unser Gefühl für Raum, Ort, Zeit und Orientierung verändert sich fundamental. Ein Prozess, der nicht aufzuhalten ist, der sich durch Corona beschleunigt hat, der aber nicht zwangsläufig geschieht, sondern gestaltet wird. Welche Interessen und Ziele diese Prozesse (im Großen wie im Kleinen) wie beeinflussen und gestalten, werden wir und die nachfolgenden Generationen erleben.
Ein sehr empfehlenswertes und ermutigendes Buch zu dieser Entwicklung: ‚Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens‘ von Richard David Precht.
Ein kritischer, differenzierender Blick auf die Entwicklungen entspricht meinem Supervisionsverständnis und das bringe ich gerne noch eine Weile weiter ein.
In den ‚Positionen‘, dem Diskursbeitrag der DGSv 2/2021 (Dr. Uwe Böning), wird von Coaching-Plattformen berichtet und nach Gefahr und Verheißung gefragt. Ich hoffe sehr, dass die DGSv als Verband und vor allem die jüngeren Supervisor*innen sich von dieser Entwicklung distanzieren.
Dabei geht es nicht um die Verteufelung, und die Distanzierung bedeutet nicht, sich auf früher zu beziehen, wo das mit der Supervision alles anders, besser … war.
Ich denke, es geht nun um die Beschreibung von Supervision in einer Zeit der Digitalisierung, der Videokommunikation, nach Corona mit all den Erfahrungen, die Menschen in der Arbeitswelt gemacht haben. Mit der Effizienz und den Mangelerfahrungen von Homeoffices, mit der Entschleunigung und der Entdeckung neuer Lebensqualität, mit unsäglichen Arbeitsbedingungen vieler systemrelevanter Arbeitsbereiche, mit Erfahrungen in der Teamdynamik, mit den Vorgesetzten, mit Strukturen und Veränderung und der damit verbundenen Verunsicherung und Experimentierfreude.
Wie werden diese Erfahrungen reflektiert und verarbeitet, Konflikte und Beziehungen geklärt, gemeinsam um Wege und Lösungen gerungen, wie werden Spaltungen bearbeitet?
In der Supervision geht es um das Verstehen von Dynamik. Und dafür braucht man ‚alle Sinne‘, körperliche Präsenz, die Wahrnehmung als Gruppe, Intuition, Gefühle und Resonanz. Das gilt auch für Teamsitzungen mit den o.g. Zielen.
Für die Vermittlung und den Austausch von Informationen, für Ansagen, Erklärungen ist die videogestützte Kommunikation effektiv und ein Gewinn.
Für die Zusammenarbeit, die Beteiligung, die Vereinbarung, die Konfliktklärung, für Sicherheit und Vertrauen, den Umgang mit Nähe und Distanz in Beziehungen, für Verstehen und Respekt ist die körperliche Präsenz dringend erforderlich.
Ich hatte Supervisionen mit Teams, die sich ein ganzes Jahr nicht getroffen haben und die dann sagten: ‚wie schön, sich wieder zu fühlen‘. In einem Raum sitzen, in der Supervision am liebsten in der Runde ohne Tische, Zeit haben, macht Begegnung möglich, die nicht identisch ist mit Bildschirmkontakt.
Ich hoffe sehr, dass Organisationen diese Art der Supervision weiter schätzen und anfragen und dass nicht zum Standard wird, was in den Coaching-Plattformen als Beratung verkauft wird.
Die Aufgabe des Verbandes sehe ich darin, diese Supervision als humanistische, wertebasierte Beratung zu vertreten, ihren Nutzen in der gegenwärtigen Gesellschaft zu begründen und in einer unabhängigen, geschützten, differenzierten Weise Berater*innen zu vermitteln und sich von dem sog. freien Markt zu distanzieren.
Monika Möller
Monika Möller, Greven, ich bin seit 1988 selbständig als Supervisorin, war vorher hauptberuflich in der Erwachsenenbildung tätig. Ich wohne und arbeite in Greven. Von 1992–2007 Ehrenamt und Vorstandsarbeit in der DGSv.