Der Brennpunkt „Naher Osten“ im Teilbereich „israelisch-palästinensischer Konflikt“

Die Konflikte im Nahen Osten beschäftigen die Weltöffentlichkeit schon lange. Die Ereignisse im Oktober letzten Jahres haben die Region wieder ganz besonders in den Blickpunkt gestellt, und das sehr kontrovers. Deutschland hat eine andere Position als Irland, neben proisraelischen Solidaritätsbekundungen gibt es propalästinensische Protestversammlungen.

Im Gewirr der Affekte und Argumente wollte ich mir ein eigenes Bild machen. Ich las mehrere Bücher dazu. Zwei davon möchte ich Ihnen empfehlen:

  • Muriel Asseburg: Palästina und die Palästinenser – Eine Geschichte von der Nakba bis zur Gegenwart. C.H.Beck, 4. Auflage 2023, 1. Auflage 2021.
  • Ralf Balke: Israel. Geschichte Politik Kultur. C.H.Beck, 5. Auflage 2013, 1. Auflage 2000.

Beide Bücher sind vor den Oktobergeschehnissen 2023 erschienen, verarbeiten also nicht mehr, was in dieser Zeit und danach passiert ist. Dadurch halfen mir die beiden Bücher, den aktuellen Konflikt in seiner Entstehungsgeschichte zu verankern und damit ein wenig Distanz zu den doch sehr von Gefühlen aufgeladenen Argumenten der Konfliktparteien und ihrer Anhänger zu bekommen.

Das Buch von R. Balke bringt einen kurzen Abriss der Geschichte in dem Weltteil, der einstmals „Kanaan“ hieß: die Funde der vorgeschichtlichen Zeit; die Besiedlung durch nomadischen Stämme, die sich später zu dem „Volk Israel“ zusammenfanden; die jüdischen Königreiche bis zu dem Siedlungsverbot durch die Römer.

Genauer werden dann die Ereignisse im 18. und 19. Jahrhundert geschildert: die Kämpfe zwischen dem Sultan am Bosporus und den ägyptischen Paschas, die Interessen der europäischen Mächte in dieser Region und die Auswirkungen auf die Zeit nach dem 1. Weltkrieg.

Die schlimmen Progromerfahrungen vor allem der Juden im russischen Großreich und im Verbund damit der politische Zionismus, für den der Name Theodor Herzls steht, lösten eine Einwanderungswelle in das Land der Väter, ins „gelobte Land“, aus.

Diese Ansiedlungen machten den ansässigen Menschen Angst. Die arabischen Bewohner und Bewohnerinnen erlebten die jüdische Bevölkerungsgruppe, den Jischuw, in „ihrem“ Land als Eindringling, der ihnen mit Hilfe osmanischer und britischer Gesetze das Land wegnimmt. Sowohl Kauf oder „Aneignung“ von Land, als auch das Verbot, jüdisches Land an Araber wieder zu verkaufen, erhöhten das Misstrauen.

Die Ablehnung der bodenständigen Bevölkerung machte wiederum auch den jüdischen Neubewohnern Angst. Obendrein glaubte ein Teil der jüdischen Volksgruppe in diesem Landstrich, auf Grund seiner Geschichte und der Zusage ihres Gottes ein Recht zu haben, dort zu leben, und nahm die tatsächlich dort lebenden Menschen nur bedingt wahr. Herr Balke weist dabei deutlich auf Praktiken der jüdischen Dachorganisationen hin, die über die Rechte der ansässigen Bewohner durchaus hinweg gingen.

Der Zusammenbruch des osmanischen Reiches rief die europäischen Großmächte verstärkt auf den Plan. Als Mandatsträger des Völkerbunds fand Großbritannien bei der jüdischen Bevölkerungsgruppe in diesem Gebiet seine Machtinteressen eher aufgehoben als bei den ansässigen Gruppen und deren Stammesführern.

Diese Spannung entlud sich schon vor dem Zweiten Weltkrieg in dauernden partisanenartigen Anschlägen. Die Erfahrungen des Holocaust verstärkten den Wunsch des Jischuw nach sicherem Leben, das nur in einem eigenen Staat verlässlich gegeben erschien. Da einem UNO-Beschluss zur Zweistaatenlösung von der arabischen Seite keine Zustimmung gezeigt wurde, kam es 1948 zum Unabhängigkeitskrieg.

Die Geschichte seit diesem Ereignis 1948 wird dann in beiden Büchern geschildert.

Beide Bücher erzählen die gleichen Fakten. Sie schildern die Geschehnisse mit den Begründungen der jeweiligen Seite, machen die Geschehnisse über Beschreibungen jeweils handelnder Personen anschaulich. Die Seite, die die Sicht des Buches bestimmt, wird durchaus auch kritisch hinterfragt. Zusammen ergeben die Bücher dadurch ein sehr differenziertes Bild der „unendlichen Geschichte“ des jüdisch/israelisch–arabisch/palästinensischen Konflikts.

Die gegenseitige Angst, verjagt zu werden, wird fühlbar. Es wird einsichtig, wie gegenseitige Ablehnung und einseitiges Handeln zu Gewaltanwendung führt – die vielen Attentate, die vielen Kriege, die 1. und die 2. Intifada.

Gut wird verstehbar, wie im Verlauf der Ereignisse das Bewusstsein einer eigenen palästinensischen Identität entstanden ist, das es so im osmanischen Reich nicht gegeben hatte.

Die immer wieder vorsichtigen Versuche, zu einem friedlichen Miteinander zu kommen (Sadat und Begin in Camp David, die Verträge von Oslo, Initiativen auf lokaler Ebene), aber auch das spektakuläre Scheitern dieser Bemühungen (das Blutbad in den Flüchtlingslagern in Beirut, die Ermordung des Premiers Rabin) haben sich eindrücklich eingeprägt. Sehr deutlich auch, wie beide Seiten nach dem Tod Rabins und Arafats Hinhaltetaktiken angewandt haben, um die jeweiligen Ansätze nicht mit Leben füllen und die strittigen Punkte angehen zu müssen.

Ich habe auch verstanden, dass die ursprünglich vielleicht ganz gute Lösung zweier getrennter Staaten sich ins Gegenteil verkehrt hat. Israel schafft im besetzten Gebiet Fakten, die eine Zweiteilung so gut wie unmöglich machen, die Palästinenser schaffen in ihrem Bereich keine tragfähigen demokratischen Strukturen.

Und ein gemeinsamer Staat für beide Gruppen wird derzeit von keiner Seite gewollt.

Nach den Ereignissen, die mit dem blutigen Überfall der Hamas im letzten Oktober begonnen haben, erscheint eine Lösung weiter weg zu sein als je zuvor. Das Gefühl der Ohnmacht bleibt.

 

Bruno Gittinger

Muriel Asseburg: Palästina und die Palästinenser | Ralf Balke: Israel