Szenen aus digitalem und präsentem Arbeiten

Im zweiten Halbjahr 2021 waren und sind Veranstaltungen in Präsenz wieder möglich. Trotzdem ist jede Planung von der Frage begleitet, ob das Format auch weiterhin digital umgesetzt werden kann. Es werden Entscheidungen getroffen, welche Teile möglich sind, welche nicht. Wieder müssen wir mit viel Flexibilität arbeiten. So wird gleich zu Beginn einer Fortbildung vereinbart, dass alle Module auch digital oder verkürzt durchgeführt werden können. Ausgenommen wird das geplante gruppendynamische Training.

Die ständige Herausforderung für Kursleitungen oder Trainer*innen, zweigleisig zu denken und alle Eventualitäten zu bedenken, macht müde. Die Verhandlungen mit Tagungsorten und Häusern, die Verträge mit Kündigungsfristen im Blick zu halten, erfordern mehr zeitlichen und finanziellen Aufwand.

Die ersten Veranstaltungen mit 20 oder 30 Teilnehmer*innen waren eine Herausforderung. Die Räume riesig, die jeweiligen Anforderungen, Masken zu tragen, Abstand zu halten, zu lüften etc., fordern Zeit und Organisation.

Viele waren zum ersten Mal wieder in großen Gruppen. Einige befanden und befinden sich noch im Homeoffice, und Arbeitgeber verordnen Tests, wenn jemand am Training teilgenommen hat. Es gab viel Irritation zwischen den Teilnehmenden: Wieviel Nähe ist möglich, was ist im informellen Teil erlaubt? Viele zogen sich in den freien Zeiten zurück, weil die „Dosis Menschen“ sie schlicht zu sehr forderte.

Alle wollten und wollen teilnehmen, aber die starken Herausforderungen der vergangenen Monate und die erneute Orientierung in Gruppen lässt viel Regressives entstehen. Ein Symptom ist die verstärkte Auseinandersetzung mit „der Leitung“. Durch die starke Struktur der Zoom-Konferenzen und die Vorgaben bricht nun das Bedürfnis nach Mitwirkung und Klärung hervor.

In einem Training entstand ein heftiger Konflikt. Eine Teilnehmerin konfrontierte die Trainer*in mit Aussagen, die sie als abwertend empfunden hatte. Immer neue, lange zurückliegende Begebenheiten in Richtung Leitung wurden fast wie eine Abrechnung präsentiert. Mit viel Zeit und Energie wurde eine Entspannung erreicht. Mit Abstand ließ sich in der Reflektion herausarbeiten, was eine Teilnehmerin so zusammenfasste: „An wen hätte ich denn in den letzten Monaten meinen Ärger über die Reglementierungen und Bevormundung richten sollen?“

Tatsächlich kann ich nach mehreren Trainings oder Kursabschnitten sagen, die Freiheit der Präsenz lässt die Konflikte wieder deutlicher werden und sie brechen an einigen Stellen – manchmal unerwartet – hervor. Zwar überwiegt die Freude, aber der Ärger über vielleicht Verpasstes und lange Unmögliches ist stark. Mein Interesse, die Zusammenarbeit und die Erfahrungen der vergangenen Monate zu reflektieren und evtl. Erkenntnisse mit Teilnehmer*innen herauszuarbeiten, weicht hinter den akuten und aktuellen Prozessen zurück.

Nachdenklich machte mich die Aussage einer Teilnehmerin, die in ihrer Organisation zuständig für digitale Bildung ist, dass die Zeit der Reflektion Zeitverschwendung sei, weil die Entwicklung schon viel weiter fortgeschritten sei. Diejenigen, die Formate entwickeln, setzten vieles „einfach“ um und diejenigen, die damit arbeiten können, seien im Vorteil.

Wer nicht gelernt hat, sich selbst zu organisieren und selbständig zu arbeiten, bleibt auf der Strecke. Eine Erfahrung, die sich in Schulen gezeigt hat. Viele Kinder fühlen sich abgehängt. Mitarbeiter*innen können nicht mehr darauf hoffen, dass die Organisation sie einführt oder Weiterbildungen zur Verfügung stellt. Nur diejenigen, die sich die Inhalte und Techniken selbst aneignen, kommen zurecht.

Als Supervisorin habe ich gelernt, zu reflektieren, innezuhalten. In gruppendynamischen Settings sind Reflektionen erforderlich. Aber bedeutet dies, dass wir mit dem Nachdenken abgehängt sind und die Prozesse an anderer Stelle schon weiter sind?

Bei der Arbeit mit digitalen Konferenzen bin ich bemüht, Erfahrungsräume zu ermöglichen. Ich gestalte das Setting, bin mit Absprachen zum Rahmen beschäftigt und versuche, z.B. durch Gruppenarbeiten und Rollenspiele, Erfahrungen zu ermöglichen. Manchmal frage ich mich, ob diese in Präsenzveranstaltungen bewährten Methoden noch angemessen sind.

Für ein Unternehmen habe ich digitale Workshops angeboten. Insgesamt war die Rückmeldung gut, aber immer wieder kamen kritische Anmerkungen dazu, dass ich z.B. nicht mit dem Whiteboard arbeite, nicht alle technischen Möglichkeiten ausschöpfe. Ein Verstehen wollen, wie sich prozesshaftes Lernen entwickelt, war eher nachgeordnet.

Es entstehen für mich Fragen, wie z.B.:

Warum kümmert sich jemand der/die teilnimmt nicht darum, einen stabilen Zugang zum Netz oder einen brauchbaren PC zu haben?

Wer kümmert sich um die aktualisierte Fassung des angebotenen digitalen Formats?

Was gehört zu einem angemessenen Blick in die privaten Wände? Z.B. ermöglichte uns eine Führungskraft den Blick in den Partyraum und saß unter einer Sammlung von Whiskyflaschen.

Wieso denken so viele Menschen, dass sie multitaskingfähig wären? Fleißig arbeiten sie an anderen Dingen und sind abgelenkt. So fragen sie bei Aufgabenstellungen immer wieder nach und haben den Stand der Diskussion nicht mitbekommen.

Die Auflistung lässt erkennen, was alles zu verhandeln wäre und ist, wenn das Gegenüber in Verbindung bleibt.

Beobachtbar ist, dass sich anscheinend manche im privaten Bereich sicherer fühlen als in der präsenten Gruppe. Es ist eher möglich, sich zu entziehen und technische Störungen oder Distanz zu erzeugen.

Es geht mehr als gedacht. Aber ist es das, warum ich mich mit Supervision, Coaching und Gruppendynamik beschäftigt habe? Mir gefällt, dass Verlangsamung und Entwicklung ermöglicht werden, beide sind mir sehr wertvoll. Zwar erlebe ich diese noch, aber die Eile und die Anforderung an Flexibilität lassen sich nicht mehr wegdenken.

Wie am Anfang beschrieben, sind die Anbieter*innen und Supervisor*innen ständig in der Spannung, was geht und was anders sein muss, sind abhängig von äußeren Bedingungen wie Tagungshäusern oder kurzfristigen Anordnungen von Organisationen. Die eigene Organisation und Flexibilität werden mehr gefordert.

Im Rahmen der FIS-Supervisionsausbildung finden Treffen mit Lehrsupervisor*innen statt, bei denen Fragen der Organisation, von Veränderungen und Herausforderungen diskutiert werden. Ein erstes dieser Treffen im aktuellen Ausbildungskurs fand digital statt, das zweite konnte in Präsenz durchgeführt werden, und nur wenige waren verhindert. Es war eine besondere Erkenntnis, dass die Lehrsupervisior*innen, die sich mehrheitlich mit ihren Lehrsupervind*innen in Präsenz treffen konnten (während die Kursabschnitte teilweise digital stattfinden mussten), eine noch wichtigere Rolle für die Stabilisierung und Entwicklung der zukünftigen Supervisior*innen einnehmen konnten und mussten, als dies in den früheren Ausbildungen der Fall war.

Ähnlich ist das Erleben im Rahmen der gruppendynamischen Ausbildung „Leiten und Beraten von Gruppen und Teams.“ Das Format der größeren Supervisionsgruppe wurde coronabedingt nicht umgesetzt, auch hier war die Erfahrung der Präsenz ein verbindendes Element, da alle Workshops digital stattfanden.

Zoom-Fatigue wird zunehmend auch von Kolleg*innen beschrieben. Dies verbunden mit der Furcht, wieder in Präsenz mit Teams und Gruppen zu arbeiten. Wir werden diesen Wechsel vermutlich noch lange als Herausforderung erleben. Hoffentlich bleibt genügend Zeit, die Erfahrungen so auszuwerten, dass wir sie für unser zukünftiges Arbeiten nutzen können.

Eine persönliche Anmerkung: Ich bin schon früh mit digitalen Angeboten eingestiegen und habe über meine frühere Tätigkeit einen Zugang zu Beratungen im Netz. Es macht mir tatsächlich Freude, was in digitalen Konferenzen möglich ist. Zudem finde ich es anregend, mit Expert*innen für digitales Arbeiten im Kontakt zu sein und etwas von deren Erfahrungen zu hören und zu lernen. Aber meine Leidenschaft bleibt der persönliche Kontakt, die Supervisionen und Trainings in Präsenz, und ich hoffe, es wird solche Arbeitsformen wieder öfter geben. Zudem bin ich froh über die Angebote von Kolleg*innen, sich mehr mit den Erfahrungen und den Formaten auseinanderzusetzen.

Monika Maaßen: Keine Zeit zur Reflektion?

Dr. Monika Maaßen

Dr. Monika Maaßen, Münster, Mitglied im FiS-Team, Supervisiorin (DGSv), Trainerin für Gruppendynamik und Organisationsberaterin (DGGO), Lehrsupervisorin — maassen@beratung-muenster.de

Monika Maaßen: Keine Zeit zur Reflektion?