Ambivalente Erfahrungen in einem neuen Setting
„Wir können ja auch zoomen“ höre ich zu Beginn der Pandemie und auch aktuell wieder aus verschiedenen Prozessen – „Zum Glück“ denke ich, weil es keine Alternative gibt, – aber sonst? Um es kurz zu machen: Den durchaus vorhandenen positiven Aspekten des online Settings stehen aus meiner Sicht doch einige fundamentale Defizite gegenüber. Das lässt sich natürlich aus unterschiedlichen Perspektiven mit unterschiedlichen Ergebnissen betrachten. Bei meinen Einschätzungen spielt bestimmt auch mein Lebensalter eine Rolle, ich bin kein „digital native“ – das darf bei diesem subjektiven Erfahrungsbericht gerne mitbedacht werden.
Ich möchte die häufig gepriesenen Vorteile der örtlichen Ungebundenheit und zeitlichen Flexibilität des online Arbeitens hier nicht noch einmal aufgreifen und beginne einmal ganz von vorne mit meinen Erfahrungen im Laufe der vergangenen zwei Jahre.
In „Phase I“ zu Beginn der Pandemie standen technische Aspekte im Vordergrund. Ich habe alles gegeben, um auch in diesem Setting die Rolle der Supervisorin, und damit das Rollengefälle in der Beziehung, zu halten: Zoom, microsoft teams, gotomeeting, skype, – all die accounts, Kennworte, Kosten, die Steuerung von Mikrophon und Kamera, Hintergrund, Filter, blendende Brillengläser, Sprecher- und Gruppenansicht, Bildschirmfreigabe, Licht und Schatten im Raum, Chatfunktion und nicht zu vergessen der Datenschutz, – es gab Einiges zu Experimentieren und es hat einige Zeit gebraucht, bis ich die Materie so durchdrungen hatte, dass ich auch Supervisanden telefonisch bei technischen Problemen helfen konnte. Diese technische Sicherheit war für meinen Einstieg in die Arbeit eine wichtige Basis.
Mein Setting: blendfreies Licht von vorne, Blick auf Kamerahöhe, ich nehme mind. 1/4 des Bildes ein, sitze etwas nach rechts versetzt, im Hintergrund sehen die Supervisanden einen Teil meines Praxisraumes, eine Pflanze links und rechts ein Regal mit Blick auf meine Flyer, – außen an der Tür ein „Achtung Zoom“ Schild für die Mitbewohner, – und damit bin ich startklar. Ich habe auch mit headset experimentiert, – fühlte mich aber nicht wirklich wohl damit.
Mit diesem Hintergrundwissen kann ich natürlich sehr schnell Rückschlüsse auf das Setting der Supervisanden ziehen: Die Jüngeren arbeiten oft ganz selbstverständlich mit headset und spielen gern mit Sonderfunktionen wie z.B. hochgeladenen Hintergrundbildern. Das kann ein New Yorker Großraumbüro mit Blick auf die Skyline sein oder ein persönliches Urlaubsfoto unter Palmen oder die beliebte Bibliothek mit wandhohen Bücherregalen. Manche Supervisanden haben keine Scheu, im Hintergrund die unaufgeräumte Küche oder ein noch nicht gemachtes Bett zu präsentieren. Manch einer hängt mit der Nase in der Kamera oder sitzt so weit vom Bildschirm entfernt, dass die Mimik nicht mehr zu erkennen ist, – oft ist der Hintergrund dann eine kahle weiße Wand. – Und ganz gleich, wie sich die Bilder auf meinem Bildschirm öffnen, – sie sagen mir eine Menge. Es ist ähnlich und doch ganz anders als in einer Präsenzsituation, in der ich z.B. in ein Team komme oder Supervisanden in meinen Praxisräumen begrüße. Jedes Detail gibt Hinweise, – online beschränken sie sich jedoch auf das kleine Bildschirmfenster.
In der Anfangsphase hatte das gemeinsame Meistern der technischen Schwierigkeiten natürlich auch spielerische Elemente und sorgte für viel Zusammenhalt. Es wurde gelacht und die gemeinsam ertragene Unsicherheit im Blick auf die Technik und die gesamte Lebenssituation hat die Teilnehmenden der Videositzungen auf einer neuen Ebene zusammengebracht. Das entlastete, solidarisierte und gab Hoffnung. Hilfreich war dabei auch, dass ich online nur mit den Teams und Einzelsupervisanden gearbeitet habe, mit denen ich bereits in Präsenz begonnen hatte. Auf eine Akquise im online Bereich habe ich bewusst verzichtet.
Für mich begann die zweite Phase, als die Technik routiniert lief und unser Lebensalltag von Ermüdung und einer Art Starre geprägt war. Die meisten wünschten sich einfach nur dorthin zurück, wo wir vor der Pandemie standen. In dieser Phase wurde für mich immer deutlicher, welche Aspekte online Sitzungen schwierig machen.
Es beginnt mit der Akustik. Es fehlen all die kleinen Töne, die Kommunikation ganz wesentlich ausmachen, – ein tiefes Atmen, ein leises Stöhnen, ein zustimmendes Gemurmel, ein kleines Auflachen. Die Versuche der online Anbieter, diese kleinen Töne durch emojis oder chat Beiträge zu ersetzen, können aus meiner Sicht nur wenig erreichen.
Um die Stimmung der Teilnehmenden wahrzunehmen, bin ich auf den Kanal des eindimensionalen Bildschirmfensters angewiesen. Dafür brauche ich eine andere, allein visuell ausgerichtete Aufmerksamkeit. Die fällt in der Einzelsupervision wesentlich leichter, ich habe nur ein „Fenster“ im Blick, in dem die Mimik des Gegenübers leichter zu lesen ist. Bei einem Team mit mehr als sechs Personen werden die Portraits auf dem Bild schon sehr klein und sind nur noch schwer zu deuten. Ich habe vor allem in Teamsupervisionen gemerkt, dass ich meine Mimik unbewusst verstärke, um deutlichere Signale an die Teilnehmenden zu geben. Und – wenig überraschend – kommen sie dann auch deutlicher zurück. Außerdem habe ich mit klarer Mimik versucht, einen aus meiner Sicht ganz zentralen Punkt auszugleichen: der fehlende direkte Augenkontakt. Nur wenn ich in das tote, kleine schwarze Auge der Kamera blicke, fühlt sich das Gegenüber angeschaut, ohne dass jedoch tatsächlich ein Blickkontakt stattfindet. Selbst wenn auch mein Gegenüber in die Kamera schaut, sehen wir uns nicht an, es gibt keinen Austausch über die Augen. Dieses wichtige Kommunikationselement kann online nicht hergestellt werden. Auf mich wirkt die Situation ein wenig so, als würde von zwei Seiten ferngesehen, als liefen zwei Einbahnstraßen nebeneinander und aneinander vorbei.
Auch Emotionen empfinde ich online meist deutlich gedämpfter, sie kommen wesentlich zäher über den Bildschirm. Ich habe das Gefühl, ich muss als online Supervisorin alles verstärken, noch deutlicher nachzeichnen, vom einen zum anderen tragen. Gedanken und Gefühle stehen nicht „im Raum“, sondern verlieren auf ihrem Weg durch das Netz an Bedeutung. Die zarten Pflänzchen neuer Gedanken, neu entdeckter Eigenanteile, oder neuer Bereitschaft auf Konfliktpartner zuzugehen, wachsen aus meiner Sicht online wesentlich mühsamer, verkümmern manchmal sogar, bevor sie wahrgenommen werden können.
Auf der anderen Seite, – um auch positiven Erfahrungen einen Raum zu geben – habe ich in einer Einzelsupervision erlebt, dass der Supervisand in einer sehr intensiven Phase die online Situation gar nicht mehr richtig wahrnahm. Er vergaß fast den Bildschirm, die Kamera und auch die Supervisorin auf der anderen Seite. In den eigenen privaten Räumen öffnete er sich plötzlich so, wie ich es mir in Präsenz kaum hätte vorstellen können. In diesem Zusammenhang wirkte die online Situation wie ein willkommener Schutz, der mehr möglich machte. Ich bin auf der anderen Seite sehr still geworden und habe nur leise versucht, das Gesagte zu unterstützen. Zum Ende sind wir wieder in der gemeinsamen online Welt und in größerer Distanz angekommen. Diese Distanz und der daraus resultierende Schutz erstreckten sich auch auf das Ende und den Abschied aus der Sitzung. In der darauffolgenden Sitzung konnte die Situation noch einmal besprochen werden. In diesem Zusammenhang habe ich die veränderte Sicht auf das Thema „Nähe und Distanz“ in der online Arbeit deutlich wahrgenommen.
Das Ende der Sitzungen ist auch nach fast zwei Jahren für mich das Schwierigste in der online Arbeit. Nach den Abschiedsworten, netten Wünschen und „Wir sehen uns dann zur nächsten Sitzung am…“ ist man mit einem Klick aus der Situation heraus und zurückgeworfen in die offline Welt. Ich verlasse immer sofort fluchtartig den Raum, kann die Stille und das unvermittelte Verschwinden der Gesprächspartner nur schwer aushalten. Der Wechsel ist für mich einfach entschieden zu abrupt und zu schnell. Das ist natürlich auch der Einstieg, – der hat aber den spannenden Reiz, von einem Moment auf den anderen mit Menschen in Kontakt zu treten, mit denen ich dann gemeinsam diese besondere Situation des Austausches gestalte. – Das Ende „mit einem Klick“ muss ich immer wieder alleine meistern.
Wenn ich nach einem ersten Resümee meiner Erfahrungen im online Bereich suche, sehe ich zwei Aspekte: Ich spüre meine Vorbehalte auf der einen Seite, die vielleicht von meinem Widerstand gegen das „Neue“ geprägt sind. Es ist mühsam, sich den Umgang mit den neuen online tools zu erarbeiten, es ist herausfordernd, neue Wahrnehmungs- und Interventionsformen zu finden und die Besonderheiten der neuen Kommunikationskanäle bewusst wahrzunehmen und in die Arbeit zu integrieren. Ich kämpfe mit meiner Bereitschaft, mich zu öffnen, Chancen zu sehen und zu erproben. Vielleicht gibt es ja tatsächlich spannende Perspektiven. Das braucht aber aus meiner Sicht noch Zeit.
ABER, auf der anderen Seite stehen für mich die ganz zentralen Aspekte, sich „schneller, leichter und flexibler“ zu begegnen. Es geht um Entschleunigung und den langsamen Aufbau von Beziehung, es geht um mehrdimensionale Perspektiven, die in den Raum gestellt und diskutiert werden können. – Dieser Raum ist für mich tatsächlich am liebsten ein Raum mit vier Wänden und nicht der eindimensionale Bildschirm. Ich arbeite am liebsten im Stuhlkreis, nicht an Tischen. Auch das ist für mich ein Hinweis, dass ich den ganzen Menschen wahrnehmen möchte, ohne Hindernisse, ohne dass etwas dazwischensteht.
Ist das auch online möglich? – Und wenn ja, wie könnte das gehen? Wie können diese Zusammenhänge auch online Bedeutung bekommen? Ich denke nicht, dass alle Erfahrungen, die ich in Präsenz sammeln konnte, „eins zu eins“ für das online Setting gelten. Ich suche nach neuen Formen und Ansätzen, die noch nicht gefunden sind. Was meine ich damit?
Ich möchte den Gedanken aus einem anderen beruflichen Blickwinkel verdeutlichen. Ich arbeite in der Kulturbranche und habe in der Pandemie die Erfahrung gemacht, dass die einfache online Übertragung eines kulturellen Events die Menschen kaum erreicht. Wenn wir eine Kamera vor die Bühne stellen und der Zuschauerraum leer bleibt, will das kaum jemand am Bildschirm verfolgen. Das Ergebnis kann noch nicht einmal so gut sein wie eine Fernsehübertragung mit mehreren Kameraeinstellungen, Regie usw. Alle Versuche der Kulturbranche, die in diese Richtung gingen, sind schon zu Beginn der Pandemie schnell wieder eingeschlafen.
Wenn man aber nicht nur die „Kamera draufhält“, sondern mit online Formaten experimentiert, kann es ganz faszinierende Ergebnisse geben. Ich erinnere mich an einen online Event, in dem sehr überzeugend mit den Möglichkeiten der virtuellen Welt agiert wurde.
Die Veranstaltung wurde per Zoom durchgeführt. Die 2000 Zuschauer*innen hatten sich vorab angemeldet und erhielten einen online Zugang. Der Abend begann mit dem Interview des sehr namhaften Musikers, dem auch das Publikum vor den Bildschirmen Fragen stellen konnte. So entstand eine ganz neue, dichte Gemeinschaft von Publikum und Künstler unmittelbar vor dem Konzert. Dann erlebten die Zuschauer*innen bzw. die Teilnehmenden der Zoomkonferenz den Musiker direkt im Anschluss im Konzert. Und zwar nicht in seinem Wohnzimmer oder im Konzertsaal, sondern an einem Ort, den er für seine Musik gewählt hatte. Er spielte live in der Natur und nach einiger Zeit ging im Hintergrund die Sonne unter. Seine Musik begleitete das Naturschauspiel und es schien, als sei er in direktem Dialog mit der Natur. Auch bei den Zuschauer*innen zuhause an den Monitoren wurde es vor den Fenstern parallel dämmrig und dann dunkel, vielleicht sahen einige ebenfalls die Sonne untergehen. Es entstand ein sehr intimer und intensiver Austausch zwischen allen Beteiligten. Nach dem Konzert gab es ein moderiertes Gespräch. Die Zuschauer*innen gaben dem Künstler Rückmeldung zu ihren Eindrücken und zufällig zusammengestellte Konzertbesucher tauschten sich in „breakout sessions“ über das Erlebte aus. Im klassischen Konzertformat wäre der Künstler zu Beginn auf die Bühne getreten und nach dem Konzert wieder hinter dem Vorhang verschwunden. Diese Trennung zwischen Publikum und Künstler wurde online aufgehoben und brachte so Nähe und Distanz in einen neuen Zusammenhang. Das kulturelle Erleben war bei diesem online Event bestimmt ebenso intensiv wie ein Konzertabend im Theater, – nur eben ganz anders.
Wie lassen sich diese Erfahrungen auf supervisorische Arbeit übertragen? – Ich habe leider noch keine Ideen für neue Wege, möchte nur möglichen Potenzialen Raum geben. Vielleicht lassen sich auch in der Supervision neue Herangehensweisen und Perspektiven für gelungene online Arbeit entwickeln. Möglicherweise gibt es innovative Ideen aus den Reihen der jüngeren Generation.
Ich versuche zunächst einmal offen für neue Wege zu bleiben und weiterhin Erfahrungen in der online Supervision zu sammeln, – aber um ehrlich zu sein, am liebsten immer nur dann, wenn Präsenztreffen aus welchen Gründen auch immer nicht möglich sind.
Ulrike Wachsmund
Ulrike Wachsmund studierte Dipl.-Pädagogik, ist seit 1994 Geschäftsführerin des Kultur- und Veranstaltungszentrums Stroetmanns Fabrik/EMS-Halle und des Verkehrsvereins Emsdetten e. V.. Sie leitet ein Team von 16 Mitarbeiter*innen und 30 Minijobber*innen und ist Vorsitzende der Prüfungskommission Veranstaltungskaufleute an der IHK Nordwestfalen. Ihre Supervisionsausbildung beim FIS begann sie 2017 und legt ihren Schwerpunkt seitdem auf Team- und Leitungsprozesse im Bereich Kultur, Bildung, Soziales und Gastronomie. — wachsmund@gmx.de — www.stroetmannsfabrik.de — www.vvemsdetten.de — www.supervision-wachsmund.de