Allmählich, mit 67 Jahren, beende ich meine berufliche Tätigkeit. In meinem Ausbildungskurs, dem ersten des FIS, gehörte ich zu den jüngsten Teilnehmer*innen. Nun arbeite ich seit 35 Jahren als selbstständiger Supervisor. Meine angestellte Tätigkeit als Sozialarbeiter hatte ich Ende der achtziger Jahre aufgegeben. Mit meiner Lebensgefährtin und späteren Ehefrau, Inge Kähling, eröffnete ich damals eine Gemeinschaftspraxis. Im Gegensatz zu ihr, die bis weit über ihr achtzigstes Lebensjahr hinaus arbeitete, soll für mich spätestens mit Siebzig Schluss sein. Zurzeit nehme ich nur noch gelegentlich neue Aufträge an, zumeist von Institutionen, mit denen ich bereits zusammengearbeitet habe.

Auch schon als junger Supervisor tat ich mich schwer mit Trends und neuen Verfahren. Im Rückblick sehe ich meine Stärken darin, mich in Menschen in ihrer jeweiligen Berufssituation einfühlen zu können, einrichtungsbezogene Zusammenhänge schnell zu erfassen und eine klare, zugewandte Haltung einzunehmen. Als Erzieher, später Sozialarbeiter, hatte ich eine skeptische Haltung Institutionen mit steilen Hierarchien gegenüber, die sicher auch daher rührt, dass mein Vater siebzehn Jahre als Arbeiter in einer Fabrik tätig war. Indem ich mir und meiner Geschichte auf der Spur blieb, auch Autoritäten gegenüber, oder Leuten, die sich dafür hielten, fand dieses Thema in der Entwicklung meiner Professionalität eine besondere, reflexive Aufmerksamkeit. Ein weiteres Thema, das mich im Zusammenhang mit der Entwicklung meiner Berufsrolle beschäftigte: Da ich mit drei Brüdern aufgewachsen bin und meine Mutter nie berufstätig war, fiel mir das tiefere Verständnis für Frauen im Beruf, in einem immer noch herrschenden Patriarchat grundsätzlich eine andere Situation als die von Männern, zu Anfang meiner beruflichen Tätigkeit schwer. Dies änderte sich, nachdem ich dieses Thema als ein zu bearbeitendes erkannt hatte, dem ich mich in besonderer Weise widmete. Sie kennen das: Es gilt, zwischen Identifikation und Einfühlung zu unterscheiden und einen Weg zwischen Zu-dicht-dran und Zu-weit-weg zu finden.

Heute geht es in meinem Berufsleben um andere Balancen. Es fällt mir zunehmend schwer, wie dies floskelhaft bezeichnet wird, mit der Zeit zu gehen. Erschwert wird dies zudem durch meine fast schon ablehnend zu nennende Haltung Technik gegenüber. Die kleineren Zusammenhänge bei deren Anwendung verbuche ich unter dem Thema der persönlichen Bearbeitung von Affekten. Aber die Globalen haben es umso mehr in sich. Wir erleben deren zerstörerische Kraft zurzeit in Kriegen in der Ukraine oder im Jemen.

Eigentlich belegt dieses Beispiel, dass es weniger um die Technik als solche, als mehr um ihre Anwendung geht. Aber die sprichwörtliche Gelegenheit macht Diebe, und Menschen konnten in keinem Zeitalter, begonnen bei der Erfindung des Rads, dieser Versuchung der destruktiven Anwendung widerstehen. So sind Menschen allzu oft ethisch überfordert, Möglichkeiten und Grenzen der Anwendung auszuloten, beziehungsweise sie verleugnen die Gefahr, welche von ihnen ausgehen kann. Es geht also nicht darum, Technik zu verteufeln, oder das Thema auf deren Anwendung zu reduzieren, sondern, dass Menschen ihre diesbezügliche Einstellung und Haltung reflektieren. Der Versuch, per Anordnung oder Gesetz die Möglichkeiten technischer Nutzung einzugrenzen, scheitert allzu oft. Im digitalen Zeitalter sind die Anwender immer die Schnelleren. Wenn die Gelegenheit droht, uns zu Dieben zu machen, sollte es doch zuerst einmal nicht darum gehen, ob und wie die Diebe bestraft werden sollen, sondern darum, über die Umstände, die dazu führen, nachzudenken. Das Typische der Konsumgesellschaft besteht darin, das Produkt herzustellen und zu verkaufen. Die Verantwortung für Ursachen und Folgeerscheinungen werden ignoriert, verleugnet, vertuscht, auf fragwürdige Weise delegiert. Als Supervisor, der auf dieses Thema eingeht, oder es in bestimmten Zusammenhängen anspricht, wirke ich oft, hauptsächlich auf junge Menschen, die mit dieser Technik aufgewachsen sind, anachronistisch oder werde kaum verstanden, zumal der Blick nicht einem Phänomen, sondern größeren Zusammenhängen, Abhängigkeiten und Gegenabhängigkeiten gilt. Ich muss immer wieder neu situativ entscheiden, ob ich diese thematischen Zusammenhänge als Selbstreflexion oder Gegenübertragungsphänomen bearbeite oder eine Möglichkeit nutze, diese anzusprechen.

Über die Anwendung von Technik in Supervisionen als Internet-, Telefonsupervision oder Zoomen wurden im Newsletter und anderen Fachorganen kontroverse Beiträge veröffentlicht. Zusammengefasst gilt für mich: Die Anwendung von Technik fällt mir mit zunehmendem Alter schwerer, zugegeben, auch auf Grund meiner Widerstände.

In diesem Zusammenhang möchte ich das Thema „Technik und Sprache“ nicht unerwähnt lassen. Sprache wird zunehmend entdifferenziert, um sie programmierbar zu machen und einer sogenannten künstlichen Intelligenz anzupassen (nicht umgekehrt). Sie wird umgedeutet, um sie stromlinienförmig politischen Interessen als Manipulations-, Beschwichtigungs- oder Legitimationsinstrument zu unterwerfen. Eine Abschiebung bleibt eine Abschiebung, auch wenn sie scheinbar freundlich Rückführung genannt wird. Ankerzentren oder Rettungsschirme klingen nach Poesie, tatsächlich handelt es sich um ein Herrschaftsinstrument, das sich einer perfiden Verschleierungstaktik bedient. Sprache als Aufklärung und Differenzierung, wie wir sie als supervisorische Haltung verstehen, geht den umgekehrten Weg. Sie sucht nach kreativen Möglichkeiten, Sachverhalte zu beschreiben, Gedanken und Empfindungen auszudrücken und stellt damit auch eine Verbindung zwischen dem Individuellen und dem Gemeinsamen oder gesellschaftlich Codierten her. Sprache, die nur eine vorgenormte, vermeintliche Korrektheit reproduziert, verkümmert und entwickelt sich nicht weiter, pfercht das Individuum und seine sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten in eine vorgenormte Sichtweise ein. Die Gedanken werden unfrei.

Damit sind wir wieder näher bei der Supervision und konkreten Supervisionsprozessen. Eine Grundfrage beschäftigt mich zunehmend: Ist das, was wir als Kultur bezeichnen, Teil der Natur, oder steht diese ihr gegenüber? Sie kann nicht Beides sein, jedenfalls nicht zugleich. Technik allein wird nicht genügen, die Klimakatastrophe zu verhindern. Sie kann allenfalls zur Reduzierung derselben beitragen, was allerdings auch bezweifelt werden kann, da sie bisher in ihren Auswirkungen eher das Problem vergrößerte. Die Erkenntnis des Irrglaubens an ihr Alleinstellungsmerkmal wird Zeit kosten, die wir inzwischen kaum noch haben, um etwas für das Leben auf der Erde zu tun. Als Supervisor*innen wissen wir zwischen einer Kompromissbildung als psychischer Abwehr und einem Kompromiss als Teil einer Lösungsfindung in demokratischen Prozessen zu unterscheiden.

Steht die Kultur der Natur gegenüber, ergibt sich daraus eine Dualität mit destruktiven Folgen. Der Versuch, sich die Erde untertan zu machen, kann nur misslingen, wie uns im Anblick der Klimakatastrophe allzu deutlich wird. Kultur als Teil der Natur zu betrachten, bedeutet, unser ethisches und rechtliches Bewusstsein grundsätzlich in Frage zu stellen, zum Beispiel, anderen Lebewesen dieselben, einklagbaren Rechte zuzubilligen wie Menschen. Wie es eine andere Ökologie braucht, um nicht bei Placeboeffekten stehen zu bleiben, braucht es ein anderes Denken, welches den Menschen als Teil der Natur begreift. Umwelt möchte ich dies nicht nennen, denn dies, was wir gewohnt sind, so zu bezeichnen, ist die eigentliche Welt.

Mit zunehmendem Alter gestatte ich mir, über solch grundsätzliche Fragen nachzudenken, auch weil Fragen von Existenzsicherung in meinem Berufsleben nicht mehr eine solch zentrale Rolle spielen. Im Laufe meiner beruflichen Tätigkeit entwickelte sich Supervision zunehmend vom Teil einer Aufklärungskultur weg und hin zum Geschäftsmodell. Dies muss ich inzwischen als einen unausweichlichen Prozess in einer von einem völlig radikalisierten Kapitalismus geprägten Demokratie konstatieren, der auch vor Rechtsbrüchen in großem Stil (siehe Betrugsskandale in Autokonzernen) nicht halt macht. Internationale Handelsabkommen tragen dazu bei, ein alternatives Rechtssystem zu etablieren, das jeder Gleichheit vor dem Gesetz spottet. Die EU verstößt permanent gegen internationales Recht, indem sie flüchtenden Menschen auf dem Mittelmeer Nothilfe verweigert.

Nach dieser Exkursion komme ich zurück auf konkrete Supervisionsprozesse. Oft wundern sich Supervisand*innen darüber, dass ich sie danach frage, wie sie ihre Arbeitssituation erleben, statt ihnen ein neues Modell zur Ressourceneinsparung anzubieten. So banal die Frage erscheint, sind sie zu Beginn eines Supervisionsprozessen mit dieser Frage überfordert, oder auch skeptisch, ob diese Frage wirklich ernst gemeint sei oder sich dahinter nicht ein neues Inputverfahren meinerseits verbirgt. Vor allem Leitungskräfte auf mittlerer Ebene neigen nicht selten dazu, weiterhin an ein solches Inputverfahren zu glauben. Irgendwann würde die Auflösung schon kommen, und ich würde ihnen sagen, wie sie es machen sollen. Allein schon, sich fragend, (noch) nicht wissend als Leiter eines Settings zu zeigen, wirkt häufig befremdend. Zudem folgt alsbald die Forderung nach Lösungen, und im sozialen Bereich vor allem nach Verhaltensalternativen. Diese verweigere ich selbstverständlich nicht, werbe aber um ein alternatives Verständnis vor der Lösungssuche. In Teams, die unter permanentem Handlungsdruck stehen, zum Beispiel in der Pflege, der Vorschulerziehung oder in der Schule, erweist sich dieses Ansinnen, nicht sofort Handlungsalternativen anzubieten, als besondere Herausforderung. Viele Teams zeigen sich auch erleichtert, nicht schon wieder mit der Einführung eines neuen Verfahrens beglückt zu werden. Einige Teams sind auf Grund dieser unterschiedlichen Grundhaltung heillos zerstritten. Dies erlebe ich in der Supervision mit Leitungskräften, die meist auf neue Managementverfahren und Ablaufprinzipien aus sind, welche sie an ihre Teams weitergeben können, weniger.

Ich muss zugeben, dass ich in Teams mit überwiegend jüngeren Mitarbeiter*innen einige Mal mit meinem Anliegen, über aktuelle Probleme (der Bewältigung des Berufsalltags) zu sprechen, nicht verstanden wurde. Sie waren es einfach nicht gewohnt, ihr Handeln zu reflektieren, sondern erwarteten immer wieder Vorschläge, was als Nächstes zu tun sei. Der permanente Input durch Führungs- und Beratungspersonen ist zur Gewohnheit geworden. Corona hat diese Tendenz durch alltägliche Ansprachen, was (als Nächstes) zu tun sei, weiter gefördert. Zudem kann festgestellt werden, dass, je höher der Handlungsdruck, um so mehr sind Teams von Spaltungen oder Fluktuation bedroht, beziehungsweise die Basics der Arbeit werden vernachlässigt.

An dieser Stelle ließe sich einwenden, in Beratungsprozessen ginge es in erster Linie gar nicht um Ressourceneinsparung, sondern um einen nachhaltigen Umgang mit diesen. Leider ist zu konstatieren, dass die Vokabel „Nachhaltigkeit“ inzwischen mehr und mehr zu einer leeren Worthülse wird. Managementstrategen gehen allzu oft davon aus, dass es immer (noch) Ressourcen gäbe, die ungenutzt brach lägen. Tatsächlich findet schon lange ein schleichender Umbau statt. Als Beispiel nenne ich die Situation von Kindern: In der Nach-Corona-Zeit kommen viele vernachlässigt, oft leider auch traumatisiert, oder auch nur einseitig entwickelt zurück in Kitas und Schulen. Es herrscht ein Mangel an vertrauensvollen Beziehungen. Stattdessen kreisen die Gedanken darum, wie bei knapper Personalsituation kontinuierliche Vorschulpädagogik oder spezielles Fachwissen weiterhin vermittelt werden kann. Die Entwicklung von Urvertrauen und Bildung werden gegeneinander ausgespielt. Eltern, Erzieher*innen und Lehrer*innen tragen die Lasten, welche durch Mangelverwaltung, Einsparnisse und Wohlstandsversprechen verursacht wurden, zuerst natürlich die Kinder selbst.

Der geschilderte Handlungsdruck führt dazu, immer mehr in Handlungsabläufen, statt in Reflexionszusammenhängen zu denken. Dies wird durch Digitalisierung direkt oder indirekt gefördert. Im PC können wir nur einen bestimmten Button drücken, um weiterzukommen. Die einzige alternative Möglichkeit ist die, auszusteigen, das heißt, nicht zum Ziel zu gelangen. Würden wir uns eine solche Debatte – vorbehaltlose Zustimmung oder Nichtteilhabe – mit Menschen gefallen lassen? Digitalisierung erfindet den Obrigkeitsstaat neu. In Frankfurt bekomme ich keinen Termin auf einem Amt, wenn ich keinen PC mit Drucker oder kein Telefon mit entsprechenden technischen Möglichkeiten habe. Vereinbarung wird verstanden als einseitige Terminvergabe. Noch weitreichendere Folgen hat das deutsche Gesundheitssystem, (welches sich weiterhin damit brüstet, im Vergleich zu anderen immer noch besser abzuschneiden): Die Erträge von Kassen und Konzernen stehen an erster Stelle, nicht die Gesundheit von Menschen.

Kurze Exkursion in die oder über Geschichte: Ich glaube schon lange nicht mehr an deren linearen Verlauf. Häufig wird der technische Fortschritt verallgemeinert, beziehungsweise als einer alle Lebensbereiche betreffend verstanden. Anders gesagt würde dieser technische Fortschritt erst den in sozialer oder humaner Hinsicht bewirken. Mein Eindruck ist eher der, dass Geschichte sich kreisförmig bewegt. Zurzeit erleben wir eine Entwicklung weg von Aufklärung. Meinungshoheiten, Polarisierungen, Fake und Verschwörungsmythen sind auf dem Vormarsch. Die Vertreter*innen der erstgenannten sieben aus, was als realistische Prognosen im Trend liegt oder was als Verschwörungstheorie abgeurteilt wird. Dies führt zu Verunsicherungen und Spaltungen. Politisches Handeln wird als unglaubwürdig erlebt, Medien nicht mehr vertraut. Früher hätten sich Influencer bei ihrem Tun möglichst nicht erwischen lassen, heute brüsten sie sich damit. Entscheidend ist nicht mehr, wie eine Information im Netz belegt oder eine These hergeleitet wird, sondern ob die Person oder das Medium dem eigenen oder einem fremden Lager zugerechnet wird. Davon bleiben Supervisionsprozesse nicht unberührt. Ich erlebe zunehmend Teams, die gespalten und/oder zerstritten sind: Die Einen machen Dienst nach Vorschrift, die Anderen kommen mit dem sprichwörtlichen Kopf unter dem Arm zur Arbeit. Aufklärung als Möglichkeit zur Teamentwicklung und Motivationsförderung wurde schon seit Jahren wegrationalisiert. Gefordert wird ein Coaching, das nicht eine Arbeitsfähigkeit, sondern die Gewährung von dokumentier- und berechenbaren Arbeitsabläufen sichert. Sicher mag es Kolleginnen und Kollegen geben, die in ihren Supervisionen niemals solche Extreme erlebt haben. In einer gespaltenen Gesellschaft existieren Nischen, die gepflegt werden. Je autokratischer eine Gesellschaft, desto vehementer werden diese Nischen ausgemerzt, es sei denn, man gehört zu einer elitären Minderheit, welche sich diese leisten kann.

Supervision ist Innehalten, sich Zeit nehmen zum Reflektieren, aber sie ist keine Insel, vor allem keine der Seligen. Teams, mit denen ich lange zusammenarbeite, schätzen es, über ihre konkreten Fragen und Probleme in ihrem Arbeitsalltag zu sprechen. Dies ist in der sozialen Arbeit auch die Reflexion der Probleme, welche sich ihrem Klientel stellen. Allerdings bemächtigt sich die neue Normalsituation, das Schlittern von einer gesellschaftlichen Krise in die nächste, diesen Problemsituationen des Alltags und vergrößert sie damit. Anders gesagt, werden die wenigen persönlichen Ressourcen zur Bearbeitung individueller Probleme von den allgemeinen Krisen oder deren notdürftiger Bearbeitung aufgefressen. Es bleibt nur noch Zeit, das Schlimmste zu verhindern. Dies spiegelt sich selbstverständlich auch in Supervisionen.

Zum Glück gibt es daneben auch noch berufliche Situationen mit Möglichkeiten, zumindest vorübergehend aus dem Leistungslaufrad auszutreten. Nochmals eine Kita als Beispiel: Wenn Personalknappheit herrscht, sind die Erzieher*innen für die Kinder da. Das vorgesehene (Bildungs-) Programm fällt an diesem Tag aus. Die Erkenntnis ist gereift, dass Urvertrauen vor kognitiver Bildung kommt. Leider lebt diese Erkenntnis ebenfalls nur mehr auf Inseln, privat wie beruflich. Mit den Kindern den Alltag zu leben und in Beziehung zu gestalten ist keine selbstverständliche Erkenntnis, allenfalls wird sie einfach als Selbstverständlichkeit erwartet und vorausgesetzt. Zudem ergibt sich allzu oft die Hürde, sich gegen Eltern, Institution und (falsche) Versprechungen aus der Politik durchsetzen zu müssen.

Auch an Hochschulen und Universitäten gilt leider: Was lässt sich implantieren? Statt: Was kann und will sich entfalten? Dazu passend: An der Uni Frankfurt wurde der letzte Lehrstuhl für Psychoanalyse gestrichen.

Das Preisgünstigere sei das Bessere. Es werden kurze Prozesse gemacht. Ich bekomme Auftragsangebote für 3 Supervisionen. Dabei gilt es, in einer Konfliktsituation eine Lösung zu ,implantieren‘. Ich nehme solche Aufträge an, wenn ich mit der Einrichtung Erfahrung habe und mir nach einer Vorinformation zutraue, Lösungswege zu erarbeiten. Selbstverständlich muss ich damit rechnen, dass dieser Konflikt, oder ein anderer, oder einer, der einen anderen Namen trägt, oder an anderer Stelle früher oder später wieder ausbricht. Manchmal gelingt es auch, davon zu überzeugen, dass ein gründlicher Supervisionsprozess zielführender ist und sogar preiswerter. Aber dies sind eher die Ausnahmen von der Regel. Es ist wie mit den Brücken: Wenn nicht von unabhängiger Seite kontrolliert wird, sie nicht regelmäßig gepflegt werden, müssen sie irgendwann abgerissen und neu gebaut werden. Und dann wird‘s richtig teuer.

Ich selbst fühle mich öfter in meiner supervisorischen Arbeit, beziehungsweise der in Institutionen, entfremdet. Ich stelle mich innerlich darauf ein, mich 90 oder 120 Minuten diesem inneren Prozess zu stellen. Dabei bin ich in der privilegierten Situation, mir diese Entfremdung immer wieder bewusst machen zu können. Manchmal frage ich mich, ob mir dieses Bewusstsein zugänglich wäre, wenn ich, sagen wir, dreißig Jahre jünger wäre. Bei den Demos ‚Fridays for Future‘ begegnen mir junge Menschen, die zumeist das Berufsleben noch vor sich, und Ältere, die inzwischen damit abgeschlossen haben.

Es gab einmal für ein Kontraktgespräch zu Beginn einer Supervision das Modell eines gleichseitigen Dreiecks. Zwischen Supervisand*innen, Institutionsvertretung und mir als Supervisor, wurden die Ziele des Supervision ausgehandelt. So habe ich es in meiner Ausbildung gelernt, und so praktiziere ich es, wenn irgend möglich, bis heute. Supervision ist auch ein diffiziles Handwerk. So vertrat es mein Lehrmeister, Gerhard Leuschner, dem ich bis heute für eine fundierte Ausbildung dankbar bin. Diese Vereinbarung geschieht wohlweislich vor Beginn der eigentlichen Supervision. Es handelt sich um ein immer wieder angestrebtes Modell, eine demokratische Verpflichtung. Dies tut der Sache der Aufklärung keinen Abbruch, indem weder grundsätzliche Machtverhältnisse geleugnet, noch ein Deutungszusammenhang vermieden wird. Mit sich breit machenden neoliberalen Machtverhältnissen – um nichts anderes handelt es sich auf einem gelenkten Markt, der perfide als frei bezeichnet wird – erlebe ich ein zunehmendes Ungleichgewicht in den Kontrakten, eine Verschiebung der Achsen. Das Ziel als Abstraktum, eine Art institutionelles Mysterium, scheint an dessen Stelle gesetzt. Freiheit lässt sich nicht wirklich definieren, bleibt immer auch gefühltes Ideal. Diese wurde entidealisiert und durch die sogenannte Freiheit des Marktes, der es schon richten würde, als sei er eine handelnde Person, ersetzt. Es gelingt immer wieder, das Individuum als ein egoistisches zu diffamieren. Eine Bewegung mag noch so altruistisch, umweltbewusst, oder klimafreundlich agieren, man wird deren Vertreter*innen bei einer individuellen Handlung ertappen, die als egoistisch diffamiert werden kann. Da recht simpel nachgewiesen werden kann, dass in einer Ausbeutungsgesellschaft alle direkt oder indirekt beteiligt sind und von ihr profitieren, was nicht verwundern kann, denn der Kapitalismus funktioniert so, können auch alle für die Folgen haftbar gemacht werden, beziehungsweise lässt sich leicht behaupten, das gebeutelte Pflegepersonal wolle auch nur mehr Geld. Ein befreundeter Kollege äußerte die Vermutung, ob nicht wir selbst mit unseren Ideen von Autonomie, Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung in Zusammenhang mit Delegitimierung wichtiger Institutionen (Wissenschaft, Sozialstaat) unbeabsichtigt dem Neoliberalismus Tür und Tor geöffnet haben.

Supervisionsprozesse bleiben von solchen politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen nicht verschont. Sie bilden diese ab. Unter dem Etikett von Supervision wird zunehmend erwartet, dass ich coache, coache, coache.

Ich mache dies nicht mit. Natürlich habe ich gut reden, indem ich nicht mehr darauf angewiesen bin, im institutionellen Glashaus nicht mit Steinen zu werfen. Eine Haltung, wie ich sie oft von älteren Kolleg*innen erlebte, die ihr Arbeitsleben in Institutionen verbracht haben, deren Brot sie aßen, und deren Lieder sie mehr oder weniger laut mitgesungen haben, und die sich dann im Ruhestand selbstständige Supervisor*innen nennen und auf den konzeptionellen Putz hauen, betrachte ich in diesem Zusammenhang inzwischen mit leichtem Spott.

Die Supervision ist ein Geschäftsmodell. Wie könnte sie anders auf einem so gestalteten Markt überleben. Ich erinnere noch die Diskussionen bei Supervisionskongressen in den neunziger Jahren, wenn die Flexibilität auf dem Markt beschworen und der Run auf Profit-Organisationen propagiert wurde. Die Supervisand*innen wurden zu Kund*innen gemacht und sollten zukünftig damit vorlieb nehmen, dass nicht mehr ihr Reflexionsinteresse den Supervisionsprozess prägte, sondern irgendwelche, an fadenscheinigen Ressourcen orientierten Ziele.

In Dreieckskonstellationen verbünden sich Zwei gerne gegen die oder den Dritten. Früher standen zu Supervisor*innen ausgebildete Sozialarbeiter*innen schnell im Verdacht, sich mit ihrem Klientel, den ehemaligen Kolleg*innen gegen die Institutionsvertretung zu verbünden. Nun wendete sich das Blatt, und die DGSv als Berufsorganisation diente sich den Institutionen mit immer wieder neuen ,Verfahren‘ an. Ich blieb in diesen Diskussionen zurückhaltend und der Supervision in sozialen Einrichtungen treu. Dabei legte ich großen Wert darauf, in unterschiedlichen Institutionen und unterschiedlichen Arbeitsfeldern mit Rollenträgern auf allen Ebenen zu arbeiten. Aber der neue Markt machte sich auch in sozialen Arbeitsfeldern zunehmend breit. In einer Altenpflegeeinrichtung, in der ich in den 90er Jahren eine Gruppensupervision machte, wurde der Leiter, ein Sozialarbeiter, durch einen Betriebswirt ersetzt. Als Erstes kürzte der den Etat für Pflegemittel. Dann entließ er die Köchin und ließ das Essen von einer Kantinenfirma bringen. Bei der nächsten Supervision erkannte ich die Folgen der Veränderung am Geruch, sobald ich die Eingangstür öffnete.

Es bildeten sich zunehmend Tendenzen heraus, indem schon die nächsten Vorgesetzten nicht mehr wussten, was ihre Mitarbeiter*innen eigentlich arbeiteten. Leitung wurde ersetzt durch Management und Geschäftsführung. Kontrolle wurde ersetzt durch Controlling. Die Zahlen mussten stimmen. Verantwortung bezog sich zunehmend eben darauf.

Ein Bild, wie es an der Basis einer stationären Pflege aussah, bekam ich, nachdem meine Frau, 2018 verstorben, pflegebedürftig geworden war. Nachdem mir nach einigen Jahren ihre Pflege immer schwerer geworden war, suchte ich eine Kurzzeitpflege in der Nähe unseres Wohnviertels mit der Perspektive, dass sie dort auf Dauer bleiben könnte. Um es kurz zu machen: Die Zustände in diesem Pflegeheim waren so katastrophal, dass ich sie nach zwei Tagen zurück nach Hause holte. Um diesen Prozess in seinen Zusammenhängen zu beschreiben, bedürfte es eines eigenen Aufsatzes. Seitdem habe ich keinen Supervisionsauftrag mehr in der Pflege angenommen.

Allmählich verabschiede ich mich aus der Berufsrolle. Aus der DGSv, zu deren Gründungsmitgliedern ich gehöre, bin ich bereits vor einigen Jahren ausgetreten. Obwohl es in meinem Bericht anders anklingt, arbeite ich nach wie vor gerne in meinem Beruf. Konkrete Situationen, die keine Entwicklung ermöglichen, machen mich oft traurig. Ich kann immer wieder bei der Erarbeitung einer Psycho- und Sozialhygiene helfen, während sich an den institutionellen Verhältnissen kaum etwas ändert. Was mich hingegen verbittert, sind eher die globalen Perspektiven. Es gilt für mich, immer wieder eine innere Balance zu finden mit den Möglichkeiten der Selbstreflexion. Es würde mich beschämen, wenn ich diese in der Berufsrolle nicht mehr einhalten könnte. Persönlich muss ich mich und müssen mich meine Nächsten in der zunehmend schwierigeren Auseinandersetzung darüber ertragen. Im Privatleben gestatte ich mir Nischen, bei dem einen oder anderen selbstverständlichen Trend einfach nicht mehr mitzumachen. Ich werde mich nach wie vor den Möglichkeiten von Sprache widmen, Sachverhalte, Gedanken und Empfindungen möglichst genau auszudrücken. Wahrscheinlich werde ich aber auch irgendwann nicht darum herumkommen, die technischen Möglichkeiten eines Smartphones zu nutzen, um nicht wie Franz K keinen Einlass zu erlangen, oder wenn ich nur meinen Pass verlängern möchte.

Der Ausstieg

Robert Maxeiner

Dipl. Soz.-Päd., seit 1987 freiberuflich als Supervisor tätig, Gründungsmitglied der DGSv. Schriftsteller, zuletzt veröffentlicht: Blick über den Fluss (Roman), Von Menschen, Hunden und Wölfen (Essays)

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