Empfehlung: ARD Mediathek Wissen

TV-Dokus können mich i.d.R. wenig begeistern. – Ich bin meist nach kurzer Zeit wieder „raus“, weil es mir zu schnell oder zu langsam geht, weil mir der Blick auf komplexe Themen zu einfach dargestellt oder auch zu detailliert geschildert erscheint. – Kurz: Ich bin eine schwierige Zuschauerin.

Ganz anders ging es mir mit dem ersten Teil der Serie „Mein Körper – meine Energie“, die in der ARD-Mediathek noch bis 2028 verfügbar ist. Ich war von Anfang bis Ende vom Thema und der vielschichtigen Umsetzung gefesselt.

Die Doku geht der Frage nach, wie wir physisch und psychisch Krisen (Übergänge) durchlaufen und stellt dabei die Frage nach der „Energie“ aus unterschiedlichen Perspektiven in den Mittelpunkt (Motivation, Überbelastung, Resilienz, physische Erkrankungen, Bewältigungsstrategien).

Zwei Herangehensweisen werden aus meiner Sicht dabei ganz wunderbar verwoben.
Auf der einen Seite nähert sich die Dokumentation dem Thema sehr lebensnah und portraitiert emphatisch Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen in ihrem Umgang mit dem Thema „Energieverlust“. Auf der anderen Seite lernen wir WissenschaftlerInnen aus hochaktuellen Forschungsbereichen (Psychologie, Neurophilosophie, Neurobiologie, Biopsychologie, Endrokrinologie, Gehirnforschung u.a.) kennen, die ihre Ansätze sehr gut nachvollziehbar vorstellen und erläutern. Man spürt die Freude und die Faszination für ihre Arbeit und besonders gefällt mir, dass auch Themen eingebracht werden, die noch nicht belegt oder zu Ende gedacht sind. Ich fühle mich als Zuschauerin mitgenommen. Ergänzt werden die Beiträge durch grafische Visualisierungen, die zurückhaltend in die Dokumentation eingebettet sind. Alle Darstellungsformen überlappen sich und sind so miteinander verbunden, dass ich mit meiner Aufmerksamkeit immer ganz dabei bin.
Sehr wohltuend empfinde ich, dass es nicht „Erklärende Gelehrte“ und „Hilfsbedürftige Betroffene“ gibt, sondern dass alle Akteure auf Augenhöhe in ihrem Umgang und ihren Lösungsansätzen dargestellt werden.

Besonders berührt hat mich die Geschichte einer jungen erfolgreichen Konzertpianistin, die durch die Pandemie ausgebremst in eine existentielle Krise fällt und die einen neuen dauerhaften „zweiten“ Lebensinhalt im Backen findet. Ihre Musik begleitet uns durch die Doku und gibt ihr an vielen Stellen einen zusätzlichen kulturellen Wert.

Bestimmt gibt es zahlreiche individuelle und auch supervisorische Anknüpfungspunkte in der Dokumentation, die Bedeutung für unterschiedliche berufliche und persönliche Lebensthemen haben. Für mich war es die Darstellung von Körperfunktionen bei ständiger Überbelastung. Nach langjährigem Dauerstress zeigt sich, dass körperliche Funktionen, die zurück in die Entspannung führen, nicht mehr richtig funktionieren können, ähnlich einem Gummiband, das an Elastizität verloren hat, weil es ständig auf zu hoher Spannung gehalten wurde.

Diese und viele weitere Zusammenhänge werden jedoch nicht in bedrohliche Szenarien gebracht. Unterschiedliche Perspektiven und ein großes Spektrum an individuellen Umgangs- und Bewältigungsformen haben ebenso viel Raum. Das Portrait einer Journalistin, die an einer schweren physischen Erkrankung leidet, die ihr kaum Lebensenergie lässt, hat große Kraft und fordert zu der Auseinandersetzung mit dem Thema heraus.

Als Supervisorin hat mir an der Doku vor allem gefallen, dass es neben all den Hinweisen auf Hormone, Transmitter, Gene, Stoffwechselprozesse und mess- und steuerbare Körperfunktionen ganz viel Raum für all das gibt, was wir durch eigene Auseinandersetzung, Reflexion und persönliche Wachstumsprozesse selbst beeinflussen, steuern und gestalten können. Dabei begleitet Supervision und ich bin nicht zuletzt durch diese Dokumentation sehr neugierig auf weitere Forschungsergebnisse der Psychologie und der Neurowissenschaften, die Schnittstellen von Körper und Geist beleuchten. Hier liegt für mich die besondere Qualität dieses TV-Beitrages von Roland Schenke.

Ulrike Wachsmund

„Mein Körper – meine Energie“