Eine persönliche Reflexion als „neue“ Supervisorin in Übergängen

„Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug.“
Hilde Domin

Übergänge – welche Bilder entstehen bei mir im Kopf? Sind es Türen zum Durchgehen, von einem Raum in den anderen? Oder eine Brücke, die über den Fluss führt und die Schlucht überwindbar macht? Ist es der Fluss selbst, der immer weiter fließt, Neues aufnimmt, mit sich nimmt, bis er selbst vom Meer aufgenommen wird? Ein Grenzübergang – mit einer Grenzkontrolle: Bin ich zum Übergang berechtigt, habe ich die richtigen Papiere oder muss ich etwas verzollen? Es gibt viele Bilder, die Übergänge symbolisieren und so unterschiedlich, wie die Übergänge im Privaten oder Beruflichen selbst, sind dies meine Bilder, die mir dazu einfallen.

Ende Januar 2023 habe ich meine Supervisionsausbildung am FiS abgeschlossen. Ich hatte bereits vor 15 Jahren eine Coachingausbildung und ein paar Jahre später eine Weiterbildung in Organisationsentwicklung absolviert und bin seit 13 Jahren selbstständig tätig. Mit der Supervisionsausbildung wollte ich meine Beratungskompetenz noch einmal vertiefen und mehr Sicherheit gewinnen. Im Laufe der Ausbildung zur Supervisorin hatte ich das Gefühl, beruflich an einem Punkt angekommen zu sein, der mich erfüllt, an dem ich mich weiterentwickeln kann und der mich fordert. Als ich darum gebeten wurde, einen Beitrag zum FiS-Newsletter zum Thema Übergänge zu schreiben, fragte ich mich: Passt das Thema aktuell zu mir? Auch wenn ich die Supervisionsausbildung gerade beendet habe, bin ich doch schon lange als Beraterin selbstständig tätig. Fühle ich mich im Übergang? So begann ich darüber nachzudenken und mir fielen viele berufliche und auch private Anknüpfungspunkte zum Thema Übergänge auf: im Übergang in den Generationen in meiner Familie, mein beruflicher Übergang als Supervisorin, das Thema Übergänge in meinen Coaching- und Supervisionsfällen.

Im Duden wird als Übergang das Überqueren, Hinübergehen, der Wechsel zu etwas anderem, Neuem, in ein anderes Stadium, definiert. Für einen Übergang zu etwas Neuem muss ich also etwas hinter mir lassen, etwas abschließen oder sogar etwas zerstören. Manchmal gibt es fließende Übergänge, in denen das Alte und das Neue verschwimmen. Dann ist das Abschließen und vielleicht auch das Ankommen schwieriger oder gar nicht bewusst. So ging es mir mit meinem Werden zur Supervisorin. Ich fühlte mich im Fluss, in dem viele Beratungserfahrungen aus dem Coaching und der Organisationsentwicklung mittrugen und trotzdem gab es Stromschnellen und Veränderungen, die sehr herausfordernd waren. Und ich war und bin mit den Fragen beschäftigt, was muss ich hinter mir lassen und wann bin ich angekommen?

Wir hatten in unserer Supervisionsausbildung besonders herausfordernde Zeiten erlebt. Gerade im Herbst 2019 begonnen, sollten wir in den folgenden Monaten mit Akquise beginnen und dann kam der Corona-Lockdown. Wir waren – so wie die ganze Gesellschaft – mit den Einschränkungen, Veränderungen im Homeoffice, manche mit Kinderbetreuung und Homeschooling und dem Erlernen von neuen, technischen Tools für Videokonferenzen sowie unseren Sorgen und Unsicherheiten beschäftigt. Dazu kam dann auch der neue Beginn, als Supervisorin erste Beratungen anzubieten. Mich zu trauen, Supervision anzubieten und mich als Supervisorin zu präsentieren, wo ich mich doch noch nicht als Supervisorin empfand, war trotz meiner Erfahrung als Coach wieder neu, aufregend und mit der Frage verbunden, kann ich das (schon)? Im Bild meines Übergangs als Fluss tauchten hier einige der Stromschnellen auf. Das fühlte sich sehr turbulent an. Supervision online anzubieten war nicht nur für uns als neue Supervisor*innen neu, sondern auch für das ganze Feld, auch für die Supervisand*innen. In diesem Übergang, im wellenbewegten, schnell fließenden Fluss, hatten wir gute Ufer und Rahmungen durch unsere Ausbildungsleitung, die Lehrsupervisor*innen und später die Arbeit in unseren Balintgruppen. Auch besonders in der Weiterbildungsgruppe und in der kleineren Studiengruppen konnten wir uns gegenseitig sehr gut unterstützen. Jede*r kam im eigenen Tempo voran. Dadurch wuchsen wir in der Gruppe eng zusammen und hatten Hilfe bei diesem Übergang im Rahmen der Ausbildung. Das klare Ziel, die Ausbildung zu durchlaufen, alle Anforderungen dafür zu erfüllen, wie z. B. die geforderten Supervisionsprozesse und Lerndiagnosen dazu, und Supervisor*in zu werden, waren auf der einen Seite herausfordernd und gaben auf der anderen Seite viel Orientierung und Stabilität. Mit dem Abschluss der Ausbildung und dem Abschlusskolloquium im Januar war das geschafft. Ich war erleichtert und habe mich sehr gefreut, weil über die Ausbildungszeit hinweg in mir ein Selbstbewusstsein entstanden ist, nicht nur Supervisorin werden zu wollen, sondern nun auch zu sein. Die gemeinsame Abschlussfeier gab uns Raum, die Freude miteinander zu teilen, zurückzublicken und diesen Abschnitt abzuschließen.

Dann stand für mich die Frage, wie geht es nun weiter? Nun gibt es kein vorgegebenes Ziel, keinen Rahmen, der mich begleitet. Allerdings habe ich die Freiheit, dies selbst zu gestalten. Es war also ein Übergang geschafft, die Ausbildung beendet, angekommen als Supervisorin, und das Ankommen war gleichzeitig der Abschied und Beginn eines neuen Übergangs und weiterer Schritte im Lernen und dem Wunsch, mehr Verstehen zu ermöglichen.

Neben meinen beruflichen Veränderungen beschäftigen mich die Übergänge in den Generationen in meiner Familie besonders stark: der anstehende Übergang meiner Tochter, die nächstes Jahr Abitur macht, der Einstieg meines Sohnes ins Berufsleben, ich als Frau Anfang 50 und auch besonders das Älterwerden meiner Eltern und die fortschreitende Demenz meines Vaters.

Es ist nicht ein Übergang, der mich beschäftigt, sondern viele Prozesse laufen parallel und sind unterschiedlich weit fortgeschritten. Auch sind es unterschiedliche Rollen, die ich dabei einnehme.

Der Ethnologe Arnold van Gennep hat sich mit Übergangsriten beschäftigt und beschreibt für Übergänge drei Phasen: die Ablösungsphase, in der wir uns von Altem trennen, es abschließen; die Zwischen- oder Umwandlungsphase, in der wir uns zwischen dem Neuen und dem Alten befinden, einer Phase die oft Unsicherheit birgt und Mut zum Weitergehen erfordert, sowie die Wiederangliederungsphase, in der wir uns im „Neuen“ einfinden und ankommen. Van Gennep beschreibt, dass Übergangsriten die Schritte von Ablösen und Wiederangliedern erleichtern und bewusst machen. (van Gennep, Arnold: Übergangsriten; Frankfurt/New York, 1999)

Ein besonderes Spannungsfeld wird aus meiner Sicht in der Zwischenphase greifbar, der Abschied vom Alten und die damit verbundene Trauer ist noch spürbar und das Neue noch unklar und unsicher. Dieses Spannungsfeld kann sehr unterschiedlich sein: Die Spannung kann aktivieren, beleben und motivieren, vorankommen zu wollen. Sie kann aber auch zu stark werden, zu Hochspannung führen und nicht mehr aushaltbar sein, wenn vielleicht kein Ausweg gesehen wird und uns das Neue erschreckend erscheint. In meinem weiteren Übergang als Supervisorin fühle ich mich in einer belebenden Spannung, habe Lust am Knüpfen von neuen Kontakten und Netzwerken. Und das Neue – wie geht es nun weiter – empfinde ich als Freiheit, die ich mit Ruhe selbst gestalten kann.

Es scheint mir leichter zu sein, die manifesten Dinge für einen Übergang zu betrachten und nach der Checkliste zu suchen, was alles zu bedenken und zu erledigen ist. Zum Beispiel für meine nächsten Schritte als Supervisorin: die Einteilung meiner Arbeitszeit. Wann kann ich Supervision anbieten? Welche Zeiten reserviere ich für meine anderen Arbeitsfelder? Wie und wie intensiv gestalte ich meine weitere Akquise oder den Kontakt in neuen Netzwerken, den Austausch in einer Intervisionsgruppe und die Begleitung durch Kontrollsupervision?

Die greifbaren Punkte geben die Möglichkeit, das Unsichere gerade in der Zwischen- und Umwandlungsphase zu stabilisieren, etwas zum Festhalten zu schaffen. Denn die emotionalen Herausforderungen, die damit verbunden sind, können viel Unsicherheit mit sich bringen: manchmal Trauer um das Alte, Angst vor dem Neuen, Hilflosigkeit durch die Ungewissheit, das Neue noch nicht zu kennen.

Das ist mir gerade auch in einer Teamsupervision begegnet. Ein Teammitglied eröffnete die Supervisionssitzung mit der Information, dass er am Ende des nächsten Monats die Organisation verlassen und eine neue Stelle antreten wird. Das Team wusste darüber Bescheid. Es wurde für die Supervisionssitzung gewünscht, daran zu arbeiten, wie die Einarbeitung einer/eines neuen Kolleg*in gestaltet werden kann. Welche Checkliste gibt es für den Einstieg, mit wem sollte es Gespräche geben und wie kann die Einarbeitung auf mehrere Teammitglieder verteilt werden. Mein Nachfragen, welche Gefühle der Ausstieg verursacht und wie das Teamgefüge sich verändern kann, wird nur zögerlich und kurz aufgenommen. Es erscheint beruhigend, sich an etwas Greifbarem, wie einer Checkliste, festzuhalten. Das Reden über die emotionalen Auswirkungen wird verdrängt.

Mein Resümee im Nachdenken über Übergänge

Ich finde es hilfreich, ein eigenes Bild für den Übergang zu finden und dadurch Assoziationen und Nachdenken zu ermöglichen: An welcher Stelle bzw. welcher Phase des Übergangs befinde ich mich gerade? Wie ist das Tempo und kann ich das Tempo (mit)bestimmen? Was kann ich gestalten und was ist vorgegeben? In welcher Rolle befinde ich mich? Welche Rituale für den Abschied und/ oder das Ankommen kann ich schaffen? Wie gelingt es, neben den Checklisten und Eckpfeilern für die Zwischen- und Umwandlungsphase, auch den Raum für Emotionen zu schaffen?

Im Übergang sein braucht Mut – Mut, um sich die Unsicherheiten und Spannungen anzuschauen, darüber zu reden und sich darauf einzulassen. Und das Bewusstmachen dessen, was ich hinter mir lasse und wovon ich mich verabschiede, wie auch das Gestalten des Ankommens, um zurückzublicken und das Geschaffte zu würdigen.

Es braucht den Mut und Optimismus, um den Fuß in die Luft zu setzen und auszuprobieren, ob sie trägt.

„Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug“

Corinna Korb

Ich bin Diplom Betriebswirtin (FH), Supervisorin (DGSv), Coach, Organisationsentwicklerin und politische Bildnerin und habe Berufserfahrung im Bereich Kulturmanagement, Sponsoring und Stiftungsmanagement. Seit 2001 berate ich Organisationen und zivilgesellschaftliche Projekte im Bereich von Demokratieförderung im Auftrag verschiedener Bundesprogramme. 2010 habe ich gemeinsam mit meinem Kollegen Parts – Gesellschaft für soziale Praxis und Projekte mbH gegründet www.parts-berlin.de

„Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug“