Drei Ingredienzien der Pandemie zu begegnen

Dieses Interview führte Michael Faßnacht (MF) digital mit Gerhard Haneklau (GH), dem Geschäftsführer des Medizinischen Versorgungszentrums MVZ Portal 10, Münster.

MF: Gerhard, du bist als Geschäftsführer des MVZ Portal 10 in Münster für zahlreiche Aufgaben zuständig, unter anderem für die Organisation von Praxisabläufen, die Personalwirtschaft, die Mitarbeiter*innenführung sowie Ansprechpartner für viele Belange der Gesellschafter / Partner des MVZ. Wie groß ist dieses Unternehmen, welche Strukturen gibt es, was sind deine Hauptaufgaben?

GH: Michael, ja, die Tätigkeit als Geschäftsführer eines großen Ärztezentrums in Münster ist mein Haupttätigkeitsfeld. Nebenberuflich arbeite ich noch freiberuflich, mit einem guten Drittel meiner Arbeitszeit, als Supervisor und Trainer für Gruppendynamik in Münster.

Unser Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) wird von sechs niedergelassenen Ärzten, mit dem Schwerpunkt Gastroenterologie betrieben. Als ich vor 16 Jahren meine Aufgabe als Geschäftsführer übernommen habe, war dies noch eine klassische „Zweierpraxis“, in der neben den beiden Inhabern ein weiterer Arzt angestellt und ca. 20 Mitarbeiter*innen beschäftigt waren. Damals war mein Auftrag, neben der Verantwortung für die allgemeinen kaufmännischen und organisatorischen Abläufe im Alltag der Praxis, die strukturelle Weiterentwicklung, die Entwicklung und Pflege von Kooperationen und den strategischen Ausbau der Praxis voranzutreiben.

Nach einem Umzug in einen Neubau vor gut zehn Jahren, sind heute in unserem Zentrum insgesamt 15 Ärzte und ca. 100 Mitarbeiter*innen tätig.

Die Struktur unserer Praxis ist eigentlich leicht zu überblicken: Die sechs Inhaber sind sowohl für das medizinische Konzept wie auch die Gesamtpraxis verantwortlich und stehen persönlich für diese Organisation ein. Medizinisch werden sie von neun angestellten Ärzten an zwei Standorten unterstützt. Bei den strategischen Weiterentwicklungen, den organisatorischen Fragen des Alltags, der Mitarbeiter*innenführung und der Weiterentwicklung der Praxis unterstütze ich die Partner bei der Sondierung und Entwicklung strategischer Ideen und bündle diese. In vielen Situationen, zum Beispiel als Ansprechpartner für die Mitarbeiter*innen, aber auch für unsere externen Kooperationspartner, bin ich auch der Repräsentant der Meinung der Inhaber.

MF: Welche Aufgaben sind durch die Corona-Pandemie zu den bisherigen Aufgaben dazugekommen?

GH: Als ambulant tätige Praxis gehören wir zu den „systemrelevanten Einrichtungen“, die bisher durch die Schließungen im Rahmen der unterschiedlichen Stufen der Lockdowns nicht betroffen waren. Somit haben wir durch die gesamte Zeit der Pandemie in weitestgehend vollem Betrieb gearbeitet. Wenn ich auf die letzten zwölf Monate zurückschaue, würde ich sagen, dass sich die Pandemie für mich in drei Phasen aufteilen lässt:

  • Akute Krise
  • Krisenmodus
  • Krisenmüdigkeit

In der ersten Phase, der „akuten Krise“, war eine wesentliche Aufgabe, die enge Abstimmung der notwendigen Entscheidungen mit den sechs Inhabern und mir (eine große Aufgabe!). Die Auswertung sich ständig ändernder neuer Informationen, Mutmaßungen, Befürchtungen, Ängste, medizinischer Erkenntnisse/Annahmen und neuer Vorschriften und Gesetze stellten eine enorme Herausforderung dar. So war die Versorgung mit Schutzmasken und -kleidung, Desinfektionsmitteln, Plexiglasscheiben und vielen anderen „Kleinigkeiten“ ein erster wichtiger Schritt. Bereits sehr früh ist es uns gelungen hier die Standards aufzubauen und umzusetzen, die durch die gesamte Zeit der Pandemie ihre Gültigkeit und Notwendigkeit behalten haben.

Einhergehend mit diesen rein strukturell und organisatorischen Dingen galt es zeitnah eine Kommunikationsstruktur und -kultur aufzubauen, die sowohl einen schnellen und (daten-)sicheren Informationsfluss an alle Mitarbeiter*innen gewährleistete und gleichzeitig den persönlichen Verunsicherungen und Sorgen der Mitarbeitenden möglichst gerecht wurde.

In der zweiten Phase, dem „Krisenmodus“, diese setzte so nach meiner Schätzung nach dem ersten Lockdown Ende Sommer 2020 ein, galt es nun, die in der ersten Phase entwickelten Maßnahmen zu etablieren, zu stabilisieren, zur Selbstverständlichkeit zu führen und aus dem Provisorium in eine stabile Organisationsform weiterzuentwickeln. Die für das Gesundheitssystem geltenden und immer wieder aktualisierten Vorschriften und Gesetze mussten hierbei berücksichtigt, umgesetzt und durch notfalls zu schaffende „Workarounds“ sichergestellt werden. Gleichzeitig war auch zu beobachten, dass die Mitarbeiter*innen ebenfalls zu einer Art Normalität zurückfanden. Persönliche Interessen, auch durch die pandemiebedingten familiären Notwendigkeiten bedingt, mussten nun verstärkt wieder in den Blick genommen und in die Praxisorganisation integriert werden. So sei hier zum Beispiel die Betreuung von Kindern im familiären Kontext durch geschlossene Kitas und Schulen genannt, die für die Familien unserer Mitarbeiter*innen, eine neue, zusätzliche Belastung bedeuteten. Dies stellte die Mitarbeiter*innen, die für die Dienstplanung Verantwortung tragen, vor neue Herausforderungen. Hier mussten wir von der Praxisleitung Orientierungspunkte setzen, Maßnahmen entwickeln und mit Lücken leben lernen.

In der jetzt laufenden dritten Phase, der „Krisenmüdigkeit“, bleiben die organisatorischen und strukturellen Aufgaben mit denen der vorherigen Phasen vergleichbar, jedoch wird nun bei allen Beteiligten Erschöpfung, Müdigkeit und manchmal auch Verzweiflung deutlich spürbar. Ähnlich wie bei einem Langstreckenlauf, bei dem einem am Ende die Füße, Waden, Muskeln, eigentlich der ganze Körper weh tut und die psychische Kraft am Ende ist, verändert sich in dieser Phase aus meiner Sicht für die Verantwortlichen noch einmal neu die Aufgabe in ganz besonderer Weise. Es geht nicht mehr nur darum die Abläufe zu aktualisieren und stabilisieren, sondern es geht nun auch darum Verständnis für die belastete Situation zu zeigen und gemeinsam mit den Verantwortlichen und allen Mitarbeiter*innen nach Wegen des „Aushaltens“, „Durchhaltens“ und den je eigenen individuellen Entlastungsmöglichkeiten zu suchen. Hier kann es nicht um Durchhalteparolen gehen, sondern es bedarf des Vorlebens eines erschöpften, aber entschlossenen Weitergehens in dieser Krise. Nach meiner Einschätzung und meinem eigenen Erleben zeigt sich hier deutlich, wie weit eine Führungskraft die Kraft hat, sich selbst den persönlichen Konsequenzen und Herausforderungen zu stellen, diese zu reflektieren und daraus Kraft für weitere glaubhafte Perspektiven der Bewältigung zu entwickeln.

MF: Welche Maßnahmen hast du ergriffen oder initiiert, um den Praxisbetrieb des MVZ zu gewährleisten, wen hast du einbezogen?

GH: Zunächst ist es wichtig zu sagen, dass ich nichts allein gemacht habe. Auf der Ebene der Hauptverantwortlichen in der Praxis haben wir stets geschlossen gehandelt und dies konnten wir auch mit unseren verantwortlichen Mitarbeiter*innen und dem gesamten Team umsetzen. Das, was in den vergangenen Monaten gelungen ist, ist das „Werk“ wirklich aller in unserer Praxis tätigen Personen.

Für die Maßnahmen, die du ansprichst, habe ich versucht auf verschiedenen Ebenen jeweils einzelne Aspekte zu fokussieren. Diese einzelnen Aspekte können nur einen kleinen Eindruck geben, wie das Gesamträderwerk unserer Maßnahmen aussah.

Auf der Ebene der Partner
Bei unserer letzten gemeinsamen Sitzung, die wir in Präsenz durchgeführt haben, war eine unserer wesentlichen Maßnahmen, unseren Entscheidungsmodus innerhalb dieser Siebener-Runde zu verändern.

Wir haben Schwerpunktthemen, zum Beispiel medizinische Fragen, Hygienefragen, Arbeitsschutzvorschriften, Patientensteuerung etc. definiert und hierfür jeweils eine/n bzw. zwei Verantwortliche/n festgelegt. Diese Personen erhielten für den entsprechenden Bereich unmittelbare Entscheidungsbefugnis und konnten so adäquates schnelles Handeln sicherstellen. In der ersten Phase der Krise sollte uns Entschlossenheit und Umsetzungsstärke unterstützen. Die Verantwortlichen für die einzelnen Bereiche konnten sich sicher sein, dass sie bei Rückfragen auf jede Person auf der Partnerebene zurückgreifen konnten und alle Entscheidungen mitgetragen werden.

Auf der Ebene des medizinischen Personals
Für die medizinisch relevanten Fragestellungen und notwendigen Entscheidungen wurde ein sicherer Weg festgelegt, wie diese Entscheidungen zeitnah und zuverlässig das gesamte medizinische Personal erreichen. Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Gefahrenabwehr durch eigene Infektionen wurden zeitnah umgesetzt und ein Rückkopplungs-Mechanismus installiert, der dafür sorgte, dass Rückmeldung aus der Ebene des medizinischen Personals unmittelbar wieder Berücksichtigung finden konnte.

Auf der Ebene des Verwaltungspersonals
Auf dieser Ebene war es wichtig, zunächst die notwendigen Alltagsgeschäfte weiter durchzuführen, erweitert um die Materialbeschaffung und die stets aktuelle Abklärung rechtlicher Bedingungen. Hier war eine besondere Maßnahme, wichtige Informationen an die jeweils zuständigen Verantwortlichen weiterzuleiten und diese zu koppeln, damit eine möglichste große Transparenz aller wichtigen Informationen für die Verantwortlichen gegeben war.

Auf der Ebene der Patient*innen
Mit Blick auf unsere PatientInnen war es für uns alle wichtig, hier alle möglichen Informationen möglichst transparent weiterzugeben, Verständnis für die Verunsicherung zu entwickeln und zu zeigen. Gleichzeitig haben wir entschieden, die eigenverantwortete Entscheidung der Patient*innen zu fördern. Die Abwägung der weiteren Behandlung bzw. Diagnostik in unserem Hause zu möglichen Gefahren der Pandemie, haben wir nach eigener Abwägung und Weitergabe aller möglichen Informationen an unsere Patient*innen, diesen selbst überlassen und Ihnen einen absoluten Entscheidungs- und Handlungsfreiraum gegeben. Dies wiederum hatte intern die Konsequenz, dass wir kurzfristig Termine absagen mussten, um Organisationen und Störungen im Praxisalltag auffangen und kompensieren zu können. Gerade in der ersten Phase der Pandemie war es notwendig klare Regeln für Patient*innen innerhalb der Praxis zu formulieren und für deren Umsetzung Sorge zu tragen. Zum Beispiel das verpflichtende Tragen von Masken und die Reduktion von Personen in der Praxis, sodass Begleitpersonen die Praxis nicht mehr betreten durften. Ein wesentlicher Aspekt der Reduktion von Patient*innen in der Praxis war auch die Umstellung auf Telefon-/Videosprechstunden.

Auf der Ebene der Zulieferer
In Bezug auf unsere Lieferanten veränderte sich gerade im Bereich der Beschaffung von Materialien und Desinfektionsmitteln unsere Strategie zu 100 %. Zum einen galt es, schwer zu beschaffende Dinge, wie FFP 2-Masken, in so großer Menge wie möglich in dem Augenblick zu organisieren, in dem sie verfügbar waren und gleichzeitig mit den Lieferanten stabilisierende Lieferkonzepte zu entwickeln, um die zu erwartende längere Pandemiephase abzusichern, gleichzeitig aber auch keine zu großen Investitionen in die Zukunft zu riskieren.

MF: Welche Reaktionen gab es auf Seiten der Mitarbeiter*innen in Bezug auf die Corona-Krise?

GH: Befürchtungen
Am Anfang war für niemanden von uns absehbar, wie weit die Pandemie und die von der Regierung zu erwartenden Maßnahmen auch unseren Alltag betreffen würden. In den entsprechenden Fachverbänden und den für uns zuständigen Körperschaften des öffentlichen Rechts waren die Signale sehr unterschiedlich. Alle Beteiligten waren aber geprägt von der Zuversicht, dass das Gesundheitssystem, sowohl während der Pandemie wie auch nach der Pandemie, eine Rolle spielen würde, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so stabil sein würden, dass Arbeitsplätze nicht nachhaltig bedroht sein würden.

Die Nähe zu Patient*innen und fremden Menschen ist aber Bestandteil der Tätigkeit in einem Ärztezentrum. Die Gefahr einer möglichen Infektion bei der Arbeit und die Frage, ob die eingeleiteten Schutzmaßnahmen ausreichen, waren daher stets Gegenstand von Befürchtungen bei den Mitarbeiter*innen. Diese Sorgen wurden flankiert von den Sorgen um die eigene Familie, die berufliche Zukunft der Lebenspartner*innen, die natürlich nicht alle im Gesundheitssystem tätig sind und die grundsätzlich gefühlte Bedrohung durch die Pandemie.

Unerwartete Reaktionen
Unerwartete Reaktion kann ich nicht beschreiben. Ich bin sehr dankbar, dass alle gerade in der ersten Zeit mitgezogen haben, eigene Gedanken eingebracht haben und gleichzeitig damit leben konnten, wenn wir andere Entscheidungen treffen mussten. Gerade in der ersten Phase der Pandemie hat mich beeindruckt, wie geschlossen alle Mitarbeiter*innen Anordnungen gefolgt sind, selbst wenn diese mit Zweifel und dem Hinweis, dass morgen schon wieder alles ganz anders sein könne, kommuniziert wurden. Das „Fahren auf Sicht“ war dank der offenen Kommunikation auch unserer eigenen Unsicherheiten gut möglich. Ich habe es als erleichternd erlebt, dass meine eigene Unsicherheit, ob eingeleitete Maßnahmen am nächsten Tag noch Bestand haben können, nicht zu einer Verwirrung bei den Mitarbeiter*innen geführt hat, sondern eher zu dem Vertrauen, dass wir bemüht sind, die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen und bereit sind, diese im Bedarfsfall am nächsten Tag auch wieder zu korrigieren und zu optimieren.

Neues Verhalten
Auch hier würde ich sagen, kann ich kein besonderes neues Verhalten beschreiben. Etwas zynisch würde ich sagen, manchmal wünschte ich mir, dass die „Folgsamkeit“ und Bereitschaft sich einzubringen, so wie in der ersten Phase der Pandemie erlebt, bleiben würde. Jetzt aber im Ernst, ich bin dankbar dafür, dass alle mitgezogen haben, die Bereitschaft signalisiert haben geschlossen zu handeln und gleichzeitig nicht aufgegeben haben eigene Ideen und Verbesserungsvorschläge einzubringen. Sicherlich war die Bereitschaft neu auch unangenehme Anweisungen kurzfristig umzusetzen in dem Vertrauen darauf, dass sie zur Stabilisierung in der Krise beitragen.

MF: Welche Kommunikationsmöglichkeiten wurden genutzt, um Entscheidungen bezüglich Corona-Verhalten zu transportieren (z. B. Betriebsversammlung, Teammeetings, Zoom, Mails, Telefon, Besprechungen …)?

GH: Selbst verständlich haben wir von Anfang an und nahezu bis heute alle persönlichen Teambesprechungen, Gruppentreffen und reale Begegnungen in größeren Gruppen ausgesetzt. Mit den Mitarbeiter*innen haben wir im Wesentlichen über E-Mails und die Organisationsgruppen kommuniziert. So wurden gerade wesentliche Anpassungen und Veränderungen jeweils in Einzelgesprächen vermittelt und so in die Arbeitsteams weitergegeben. Die regelmäßigen Besprechungen mit den Inhabern der Praxis finden bis heute nur in Form von Videokonferenzen statt. Individuelle Themen werden in Kleinstgruppen mit großen Abständen und Masken bei realen Begegnungen durchgeführt.

Deutlich spürbar wird nun in der dritten Phase der Pandemie, dass es dringend Zeit wird, wieder persönliche Besprechungen und Teamrunden zu machen. Es wird eine spannende Frage sein, wann dies dank der Impfungen wieder möglich sein wird und wie die Rahmenbedingungen dazu sein können. Aus meiner Wahrnehmung heraus wird es zusehends schwieriger, die Geschlossenheit der Mitarbeiter*innen zu erhalten, um gerade in der Phase der Erschöpfung weiterhin stark zusammenarbeiten zu können. Mehr und mehr fehlt die persönliche Verbindung und das Erleben des gemeinschaftlich Verbindenden. Dies gilt ganz besonders für mich als Geschäftsführer, da mein Kontakt zu den Mitarbeiterinnen in der Regel wesentlich über Teambesprechungen und Kleingruppenbesprechungen stattfindet.

MF: Was wurde zum Schutz der MitarbeiterInnen unternommen und wie haben diese darauf reagiert?

GH: Wir haben alle Maßnahmen, die wir absehen und auch realisieren konnten frühestmöglich umgesetzt und für uns im Haus zum Standard erklärt. Je nach Verfügbarkeit haben wir bereits früh angefangen mit FFP2-Masken im Praxisalltag zu arbeiten, höchst risikoreiche Untersuchungen wurden komplett abgesagt und für eine Zeit ausgesetzt. In meinen Gesprächen der vergangenen Monate habe ich deutlich gespürt, dass die Mitarbeiter*innen unser Engagement in Richtung Schutzmaßnahmen stets als fürsorglich und verantwortungsvoll erlebt haben. Die heute geltenden Standards zum Schutz von Mitarbeiter*innen wurden bei uns schon in einer frühen Phase der Pandemie angewandt. Diese gezielte Umsetzung – die zum Teil strenger ist als in Krankenhäusern – vermittelte den Mitarbeiter*innen das Gefühl wahrgenommen und von uns verantwortungsvoll behandelt zu werden.

MF: Gab es Wünsche / Erwartungen / Forderungen der MitarbeiterInnen an dich in deiner Rolle als Geschäftsführer?

GH: Neben den konkret ausgesprochenen Wünschen, bei der Koordinierung von Privat- und Praxisinteressen, lösungsorientiert vorzugehen, hatte ich den Eindruck, dass eine ausgesprochene Erwartung gewesen ist, Orientierung zu geben, Unsicherheiten zu benennen und auszuhalten und möglichst zeitnah aktualisierte Informationen zu Verfügung zu stellen.

MF: Wie wirkt sich die Corona-Pandemie in euerem Unternehmen aus?

Atmosphärisch
Durch den „Krisenmodus“ entwickelte sich ein länger wirksames Zusammengehörigkeitsgefühl. Neben den vorhandenen individuellen Interessen war der Gedanke, „wir schaffen das“ ein verbindendes Element.

Auf der Kommunikationsebene
Die Kommunikationswege wurden kürzer und direkter. Gerade in der ersten Phase der Krise gab es knappe präzise Hinweise, Anweisungen und Ordnungen. Diese wurden in der Regel zeitnah und präzise erfüllt.

Auf der Leitungsebene
Inhaltliche Diskussionen wurden weitestgehend vermieden. Verantwortungsbereiche wurden zugeteilt. In diesen Bereichen konnte jeder schnell und zeitnah Entscheidung treffen. Abstimmungen wurde mit betroffenen Bereichen oder auf kurzen Dienstwegen vorgenommen. Alle anderen in der Leitungsebene wurden lediglich über die getroffenen Entscheidungen zeitnah und knapp informiert. Knotenpunkt und Sammelstelle aller anfallenden Themen war ich als Geschäftsführer.

In Bezug auf Verantwortungsübernahme
Ich habe bei allen Beteiligten in der Praxis eine hohe Bereitschaft zur Eigenverantwortung erlebt. Sofern jemand für etwas verantwortlich benannt war, wurde dies mit hoher Bereitschaft und Disziplin übernommen und umgesetzt.
In vielen Situationen wurden schnell und ohne kritische Rückfragen Aufgaben und Verantwortungen übernommen. Erst in einer späteren Phase der Krise wurden Verantwortungsbereiche diskutiert und unter Umständen neu organisiert. Das Bewusstsein dafür, dass in den ersten Wochen schnelles und präzises Handeln oft vor Eigeninteressen und zusätzlichen Belastungen stand, war hier sehr ausgeprägt und hat mich beeindruckt.

In Bezug auf eigenständiges Handeln
Im Rahmen eines sehr engen, kleinen Handlungsspielraums haben alle gemacht, was getan werden musste. Auch ich selber als Geschäftsführer, hatte den Eindruck, dass mein Handlungsspielraum durch viele Faktoren sehr eingeschränkt war und ich oft nur Vorgaben und notwendige Dinge umsetzen konnte. Der eigene Entscheidungsspielraum war hierbei eher gering.

MF: Die Pandemie dauert nun bereits ein Jahr, wir befinden uns in der 3. Welle, gibt es so etwas wie einen „Entwicklungsprozess des Unternehmens“ mit dieser Krise?

GH: Was die Abläufe und organisatorischen Veränderungen betrifft, haben wir innerhalb der Praxis, bei den Mitarbeiter*innen und unseren Patient*innen heute eine weitestgehend „neue Normalität“ erreicht.

In der dritten Welle, die ja nun bereits hinter uns liegt, wurden lediglich kleinere Anpassungen aufgrund gesetzlicher Veränderungen durchgeführt. Der Alltagsbetrieb ist, mit den vorgenommenen Anpassungen an die Krise, im Routinebetrieb.

Spezifische Dinge, wie an Covid19-erkrankte Patient*innen, die in den ersten Monaten zusätzliche Krisen- und Eindämmungsmaßnahmen, verbunden mit einem hohen Stresslevel hervorriefen, werden heute relativ souverän gemanagt und abgewickelt. Auch Personalengpässe durch Quarantänemaßnahmen bei unseren Mitarbeiter*innen, werden heute ohne besondere Dramatik fach- und sachgerecht abgewickelt. Um abzusehen, ob sich unsere Praxis innerhalb der Krise in anderen Bereichen entwickelt hat, ist die Situation für mich heute noch zu aktuell. Der strenge Regelungsbedarf ist weiterhin vorhanden und eine Rückkehr zu einer „freieren Normalität“ ist noch in weiter Ferne. Erst wenn hier wieder mehr Freiheit zurückgekehrt ist, lässt sich abschätzen, welche Entwicklungen Bestand haben werden und wie diese einzuschätzen sind.

MF: Was waren für dich schwierige Situationen in diesem Jahr, was hat dich unterstützt, was hat dir an Unterstützung gefehlt?

GH: Die gesamte Zeit war und ist sicherlich an vielen Stellen schwierig und eine große Herausforderung. Dadurch, dass wir durchgehend in der Patientenversorgung tätig waren, gab es besonders viele Herausforderungen. Zeitnah musste ein funktionierendes Sicherheits- und Hygienekonzept entwickelt und umgesetzt werden, welches die Patient*innen und Mitarbeiter*innen bestmöglich schützte, ohne jedoch von Anfang an exakte wissenschaftliche Aussagen zu haben. Als große Entlastung habe ich erlebt, dass wir ein großes Leitungsteam sind, welches eingespielt ist, welches von Vertrauen untereinander geprägt, das, was machbar ist, umsetzt.

MF: Welche Form der Orientierung können Führungskräfte aus deiner Sicht den Mitarbeiter*innen in einer solchen Krisensituation geben?

Am meisten beeindruckt hat mich, dass in Situationen, in denen ich mit Mitarbeiter*innen zu tun hatte, das Eingeständnis meiner eigenen Verunsicherung und Unsicherheit, am meisten Vertrauen geschaffen hat. Allen Beteiligten war zu jedem Zeitpunkt deutlich, dass auch meine klaren Ansagen schon im nächsten Moment widerrufen, geändert oder intensiviert werden können. Diese Tatsache konnte offensichtlich gut akzeptiert werden, da für alle nachvollziehbar war, dass gemeinsames Handeln genauso wichtig ist wie richtiges Handeln. Es musste nicht diskutiert werden, ob konkrete Anweisungen richtig oder falsch sind, es gab niemanden, der wusste, was richtig oder falsch ist. Aber allen war klar, dass stets das Bemühen das Beste zu tun, möglichst große Sicherheit und Schutz zu schaffen, das Bestreben war. So gab es in diesen Situationen keine Grundsatzdebatten, sondern oft hilfreiche Hinweise und Anregungen, die im Bedarfsfall umgehend umgesetzt wurden.

Oft hatte ich den Eindruck, dass alle in ihren Bereichen eine Bestätigung der „Selbstwirksamkeit“ erlebt haben. Neben aller Ohnmacht und Orientierungslosigkeit gab es gleichzeitig das Erleben, mit dem gemeinsamen Tun einen wichtigen Beitrag zum Überstehen der Krise zu leisten.

Gerhard Haneklau: Schnelles Handeln – Transparenz – Kommunikation

Gerhard Haneklau

Kaufmann, seit 16 Jahren Geschäftsführer des MVZ Portal 10, Trainer für Gruppendynamik DGGO, gruppendynamischer Organisationsberater DGGO, Coach und Supervisor DGSv, Gesellschafter des Instituts für Gruppendynamik und Organisationsberatung (IGO) Münster. — info@haneklau.demvz-portal10.dewww.haneklau.de

Gerhard Haneklau: Schnelles Handeln – Transparenz – Kommunikation