Gedankensplitter und offene Fragen an Online-Supervision

Abschlussreflexion zur Zusatzqualifizierungsreihe Online-Supervision

SV ist in ihrem Kern kommunikatives Geschehen. So erscheint es mir in der Beschäftigung mit der o.g. Frage relevant, die spezifischen kommunikativen Bedingungen und deren Einflüsse auf die dazugehörigen interaktiven und intraindividuellen Prozesse von virtuellen Arbeitskontexten in der Supervision zu erkunden.1

  • Rechtfertigen bzw. erfordern die bestehenden Kommunikationsunterschiede es, von einer andersartigen, einer eigenständigen und in ihrer Wirkweise und in ihren Effekten noch recht unerkannten Beratungsart ‚online-Supervision‘ zu sprechen? Eine neue Art, die wir in der Anwendungspraxis zukünftig untersuchen, reflektieren und erforschen müssen, um sie bestimmen zu können?

oder

  • Begründen die strukturellen Unterschiede im kommunikativen Prozess von online-Supervision die Auffassung, das sei ‚nur‘ ein alternativer Vertriebsweg zur Präsenzarbeit, es handele sich ‚nur‘ um ein anderes setting oder man habe es ‚nur‘ mit einem anderen Format zu tun? Hierbei impliziert das ‚nur‘ jeweils, dass sich die innewohnenden Prozesse sowie die zu erreichenden Wirkungen gegenüber den aus analogen Arbeitskontexten nicht unterscheiden, auf jeden Fall gleichwertig seien. Oder ist gar, wir Jahn & Nolten (2020, S. 2)2 konstatieren „‚Online-Coaching‘ [ist] wie das Flipchart, der Stuhlkreis oder die Aufstellungsfiguren ein Beratungswerkzeug unter anderen“?

Welche kommunikativen Bedingungen kann ich erkennen bzw. erscheinen mir bedeutsam?

1) der nicht geteilte (physikalische) Raum

Dieses Kernmerkmal jeder online bzw. – allgemeiner – jeder medienvermittelten Begegnung zieht es nach sich, dass ein gemeinsamer ‚Raum‘, in dem die Kommunikation stattfindet irgendwie, d.h. mit technischen Mitteln erschaffen werden muss. Dieser ‚Raum‘ ist virtuell die Menschen, die ihn erschaffen sind echt.

Virtuell ist eine Sache dann, wenn diese Sache nicht in der Form existiert, in der sie zu existieren scheint aber in ihrem Wesen oder ihrer Wirkung einer in dieser Form existierenden Sache gleicht3 ‚In a nutshell‘: etwas virtuelles erscheint echt, ist es aber nicht. Für mich als Beteiligte an einer Kommunikation, in einem virtuellen Raum bedeutet das, ich muss diesen ‚Raum‘ in mir erschaffen und diesen ‚Raum‘ vom physikalischen Raum, in dem ich mich befinde unterscheiden muss. Die Kommunikation wird dadurch sehr voraussetzungsreich. Mittels Technik und über vielfältige Regelungen, Instruktionen und Absprachen wird der Rahmen geschaffen, der den physikalischen Raum und seine bekannten Gesetzmäßigkeiten und Funktionsweisen ersetzt.

Als Supervisorin greife ich unter anderem auf folgende Elemente zurück, um diesen Raum zu erschaffen:

  1. Anerkennen, was ist: der Raum für unsere Kommunikation muss erschaffen werden und trägt andere Merkmale als ein echter Raum und es ist zunächst offen, wie unsere Kommunikation sich darin entfalten wird. Ich gebe dazu:
    • Hinweise auf bewährte Grundsätze aus der f2f-Begegnung: gemeinsam im Raum sein und bleiben; sich ausreden lassen; sich respektvoll, offen und so klar wie möglich mitteilen; mit der Aufmerksamkeit beim Arbeitsprozess sein; Störungen und Unterbrechungen wie Seitengespräche, Handyklingeln vermeiden / ausschalten.
    • Hinweise auf markante Unterschiede zwischen f2f- und online Begegnungen: Blickkontakt nicht möglich evtl. für die Kontaktaufnahme/ Herstellung von Nähe kompensierbar durch ‚Sprechermodus‘ oder ‚Video pinnen‘; Irritation durch das Eigenbild → ggf. ausschalten; explizites Beenden von Redebeiträgen; nur eine Tonspur → Redebeiträge nonverbal ankündigen sowie Zustimmungs- und Bestätigungs- oder auch Irritationsgeräusche nonverbal ausdrücken; die eigene Bildschirmansicht ist nicht die der anderen, z.B. Reihenfolge der Bildkacheln und Abbildungsgröße und damit Erkennbarkeit von Präsentationen etc.
    • Ich stelle eine Auflistung möglicher technischer Störfaktoren (Internetausfall, Verbindungsprobleme im Bild/Ton, Probleme beim Einloggen in den virtuellen Raum; link zu den Tools funktioniert nicht; Mitarbeit in den Tools nicht möglich etc.). zusammen und skizziere bzw. bereite vor mögliche Abhilfen und Alternativen.
    • In der Abschlussrunde lade ich zur Reflexion des Inhalts / der Themen, des Arbeits- und Gruppenprozesses und des technischen Rahmens ein.
  1. Ich mache (v.a. mit Gruppen, die ich zum ersten Mal in auf einer Videoplattform treffe) eine Raumführung, d.h. ich stelle die technischen Kommunikations- und Arbeitsmöglichkeiten vor und lade dabei dazu ein, diese zu testen.
  2. Ich biete eine Vorabtreffen im Videokonferenzraum an und öffne diesen deutlich vor Veranstaltungsbeginn
  3. Ich weise auf die Relevanz von guten Lichtverhältnissen und einer ruhigen Umgebung hin und auf die Wichtigkeit vor Beginn der Sitzung zu entscheiden, was man von dem physikalischen Raum zeigen möchte.

Die technische Erschaffung des Raumes bringt es mit sich, dass bei jeder online-Begegnung ein unabhängiger (i.S.v. nicht steuerbar, nicht in Kooperation und Verhandlungen einbeziehbar, nicht nach menschlichen / sozialen Regeln operierend) und wirkmächtiger player mit am Tisch sitzt: die Technik (d.h. das Internet, die Hardware, die Software, die rechtlichen Datenschutzbestimmungen).

Dieser player ermöglicht oder verunmöglicht die Begegnung und die Kommunikation, entzieht sich in seinem Funktionieren dem triadischen Kontrakt zwischen SVor*in, SVand*innen und Leitung, ist in jedem Fall einflussreich und auf keinen Fall kooperativ – also unberechenbar.
Das ist für mich vergleichbar mit der Situation, wenn in Supervisionsprozesse nicht in die direkte und offene Kommunikation einbeziehbare Personen in der Organisation (z.B. Kollegen aus Nachbarabteilungen, stakeholder des Unternehmens, die Öffentlichkeit uvm.) hineinwirken oder wenn nicht ausgesprochene Aufträge oder Geheimnisse mitlaufen.

Um mich dem nicht einhegbaren player gegenüber zu behaupten oder zu positionieren arbeite ich nur dann mit den Kommunikationsplattformen und -tools, die ich nicht kenne, wenn dort technischer support durch die Auftrag gebende Organisation sicher gestellt ist und ich im Vorfeld meine ‚Raum‘-Anforderungen besprechen / einfordern kann. Dabei bin ich gegenüber den räumlichen Bedingungen, die ich bei Präsenzveranstaltungen akzeptiere strenger und weniger kompromissbereit, weil ich um die unerlässliche Anforderung weiß, überhaupt erst einmal einen ‚Raum‘ zu erschaffen.

In Bezug auf die grundlegenden Dimensionen des gruppendynamischen Raumes (Zugehörigkeit, Macht/Einfluss, Intimität/Nähe) erweist sich der ‚player mit nicht einhegbarer Wirkmacht‘ als in besonderer Weise relevant.

ad Zugehörigkeit:
Wenn einzelne Teilnehmende der Konferenz aufgrund technischer Unregelmäßigkeiten nicht einmal oder nur mit eingeschränkten Möglichkeiten (z.B. nur Ton, ohne Audio) mitmachen können steht deren Zugehörigkeit in Frage. Und zumeist ist diese Problem der Gruppe durch die Gruppe nicht zu beheben bzw. oft nicht kompensierbar. Es entsteht so neben dem Arbeitsthema ein herausforderndes Gruppenthema.

ad Macht/Einfluss:
Wenn Teilnehmende aufgrund fehlender oder geringerer digitaler Anwendungskompetenzen am Beitreten zur Konferenz scheitern oder mit der Bedienung der verschiedenen Zusatztools große Mühe haben hat dies zudem deutliche Auswirkungen auf die Macht-/Einflussverhältnisse in der Gruppe und zwar ohne dass dies in der Gruppe bearbeitbar/lösbar ist. Der Gruppenprozess wird wie durch eine Hypothek belastet und verkompliziert.

Auch in online-Supervisionen gilt ja, dass die Gruppe so schnell ist, wie ihr langsamstes Mitglied. Für die Verwendung von technischen Zusatztools leite ich daraus ab, dass ich diese sehr sparsam einsetze und mich an dem Mitglied, das die deutlichste Unsicherheit oder das deutlichste Unbehagen in Bezug auf ‚die Technik‘ zeigt orientiere.

Auftraggebende und Teilnehmer*innen darauf hinzuweisen und ggf. meine fachliche Einschätzung zu treffen, ob diese Erschwernisse für die betreffende Gruppe und deren Prozess zu einer Kontraindikation von online-Supervision führen betrachte ich als meine Aufgabe.

ad Intimität/Nähe (siehe dazu auch unter Kanalreduktion- Blickkontakt):
In Videokonferenzen bleibt regelmäßig der überwiegende Teil der Person durch einerseits die zumeist sitzende Position und andererseits die Begrenztheit des technisch üblichen Bildausschnitts auf dem Video / Bildschirm verborgen. Die Wahrnehmung der ganzkörperlichen Erscheinung fehlt und wo uns Menschen Informationen zu z.B. unserem Gegenüber fehlen, da ist unser Gehirn damit beschäftigt nach Hinweisen zu suchen und unsere Phantasie füllt bereitwillig die unvermeidlichen Informationslücken.

Gegenüber der f2f-Kommunikation eröffnet der virtuelle Raum zudem den Beteiligten zahlreiche Möglichkeiten sich zu ganz oder teilweise zu verbergen (z.B. Video ausschalten, Filter einschalten, Konferenz verlassen, Nebenaktivitäten, die außerhalb des Videoausschnitts erledigt werden uvm.). Demgegenüber existiert in f2f-Begegnungen eine unausweichliche Notwendigkeit, sich dem / den anderen gegenüber körperlich zu positionieren in dem Wissen, dabei fortlaufend ganz(heitlich) und umfassend wahrgenommen zu werden.

Im virtuellen Raum fehlt also gegenüber der Präsenzbegegnung die „unhintergehbare interpersonelle raumzeitliche Verbundenheits- und Bindungserfahrung“ (Geißler, 2020)4. Dass wir während virtueller Begegnungen kein Oxytocin ausschütten passt dazu: diese Begegnungen erscheinen nur wie echte Begegnungen (s.o. zu Eigenschaft ‚virtuell‘) und ein Teil von uns, unser Hormonsystem lässt sich offensichtlich von den verschiedenen Sinneseindrücken nicht in die Irre führen. Die fehlende oder marginalisierte Verbundenheit zwischen den Teilnehmenden hat Auswirkungen auf die Beziehungsgestaltung: Die virtuelle Begegnung entbindet die Beteiligten davon, die Beziehung fortlaufend aktiv zu gestalten die eigenen Beiträge zu verantworten weil es möglich ist, ‚im geschaffenen Raum aufzutauchen, ohne eingetreten zu sein‘. Im echten, dem nicht virtuellen Raum ist ja Jede/jeder mit sich allein. Im Videokonferenzraum der online-Supervision lässt sich zudem nicht direkt wahrnehmen / erfahren, ob und wie umfänglich der ‚Raum‘ vor Einblick und Mithören geschützt ist, man muss das den Anderen glauben, sich darauf verlassen. Den virtuellen Raum als Schutzraum, als vertraulichen Raum zu inszenieren ist von nicht ausräumbaren Zweifeln begleitet. Dieses lassen sich mittels gut überlegter Hinweise zum Datenschutz und dem Verbot sowie technischer Verhinderung von Aufzeichnungen den ich selbstverständlich DGSVO-konform sicherstelle nur einhegen, nicht restlos ausräumen. Die Folgen daraus zeigen sich erst im Verlauf der Sitzung oder des gesamten Beratungsprozesses. Ob diese dann überhaupt bemerkt und verstanden werden? Natürlich vereinbare ich in der Praxis sowas wie online-(N)Etikette vereinbaren (handy leise/aus, Email- u.a. Programme schließen, Tür zu, Video an uvm.) Natürlich lege ich Wert auf den Anfang: in Ruhe einzutreten, dabei von mir und von schon anwesenden Anderen begrüßt zu werden (ich kündige jeweils an, wen ich jetzt einlasse) ist nützlich, small talk auch und wenn ich mit vielen Teilnehmenden arbeite ermöglich ich auch schon zu Beginn den Austausch in kleiner Gruppen über sog. break-out Räume, denen ich die eintretenden Teilnehmer*innen nach der Begrüßung zuordne. Diese Variante kündige ich vor der Sitzung jeweils an, lasse aber auch jeder Teilnehmer*in die Möglichkeit, im Plenum bei mir zu verbleiben. Wenn die Sitzung (pünktlich!) beginnt inszeniere ich eine Runde des Ankommens, seltener mittels technischer Zusatztool wie der ‚Karte der Befindlichkeiten‘, Bildkarten oder des ‚digitalen Stuhlkreises‘, häufiger mit meinen zum sprechenden und in-sich-schauenden Ankommen einladenden, offenen Fragen aus den f2f-Supervisionen. Bei allem dem geht mir die bewährte gruppen- und psychodynamische Daumenregel: ‚Wo viel Struktur ist, da ist wenig Prozess‘ im Kopf herum. Und vor diesem Hintergrund hege ich Zweifel, wie viel Team oder Gruppe in online-Supervisonen mit Teams/Gruppen drin steckt / möglich ist.

2) Kanalreduktion, parallele und unvollständige Kommunikation

In der online-Supervision via Videoplattform stehen den Teilnehmenden gegenüber anderen online-Kommunikationsformen mehr Sinnesmodalitäten zur Verfügung: verbale und para-verbale Informationen werden vermittelt und können aufeinander bezogen verarbeitet werden. Nonverbale Eindrücke aus der olfaktorischen, der thermalen und der taktilen Wahrnehmung fehlen jedoch ganz. Möglicherweise sind diese an sich für die Supervision von
nachrangiger Bedeutung, wenngleich sie zum ganzheitlichen Eindruck einen ‚irgendwie‘-Beitrag leisten und die Auswirkung ihres Fehlens nicht eindeutig feststellbar und bewertbar ist. Die Bewegungskommunikation (Gesten, die Aktivität der Hände), der Unterkörper und die ganzkörperliche Wahrnehmung, d.h. die Haltung, die Positionierung und die Bewegung einer Person im Raum fließen nur reduziert in die Kommunikation ein. Sich in die Augen zu schauen, sich direkt angeschaut zu erleben, die Kommunikation via Blickkontakt ist in einer Videokonferenz nicht möglich, nicht in der Gruppe, nicht in der Dyade. Das ist irritierend weil man sich doch ‚eigentlich‘ sieht – der Augenkontakt ist eben virtuell – und das zieht deutliche Begrenzungen des Kontaktgeschehens nach sich.

Um mit Watzlawick5 zu sprechen: die Kommunikation ist unvollständig, es mangelt an analogen Modalitäten. Mit analogen Elementen, den subtextlichen Bestandteilen der Kommunikation wird v.a. die Beziehungsebene vermittelt, mit den digitalen Modalitäten die Inhaltsebene. Die Beziehungskommunikation ist also umfänglich eingeschränkt und nicht mit dem f2f-Geschehen vergleichbar mit unvermeidlichen Auswirkungen auf die Gestaltung der Beziehung. Wiederum mit Watzlawick (1969; siehe Fußnote 3) denkend lässt das den Schluss zu, dass die Kommunikation in der online-Supervision via Videokonferenz dazu tendiert und verdammt ist, den Inhaltsaspekt der Angelegenheit in den Vordergrund zu rücken / zu fokussieren. Die Beziehungsdimension tritt in den Hintergrund und gerät aus dem Blick, was auch für das Erleben und die Gestaltung der gruppendynamischen Dimension Intimität/Nähe erhebliche Folgen nach sich zieht. Und wenn in personenbezogener Beratung, wie in Supervision und Coaching Lernen, Entwicklung bzw. Veränderung in und durch Beziehung geschieht, kann diese technisch und virtuell induzierte Sachorientierung nicht ohne einschränkende Auswirkungen auf die Effekte der Supervision als Mittel der Team- oder Personalentwicklung bleiben. Hinzu kommt, dass auch die digitalen Kommunikationselemente nicht in vollem Umfang zur Verfügung stehen: Aufgrund von technisch bedingten Begrenzungen der zur Verfügung stehenden Kommunikationskanäle werden, v.a. in online-Supervisionen mit Gruppen regelmäßig Videokameras deaktiviert und Mikrofone stumm geschaltet. Zudem existiert lediglich eine Tonspur, deshalb ist es erforderlich strikt nacheinander zu sprechen und Neben- / Hintergrundgeräusche auszuschalten. Gemeinsam singen, summen und entsprechend ertönen lässt sich in der Videokonferenz nicht. Die Sequenzialität der verbalen Kommunikationsbeiträge schließt es z.B. aus,

  • einzelne, gleichzeitige para-verbale Äußerungen wahrzunehmen,
  • das ‚Geraune der Gruppe‘ d.h. die Bezogenheit der nonverbalen und der para-verbalen Äußerungen zu den aktuellen Inhalten der verbalen Kommunikation als Gesamtgeschehen wahrzunehmen.

So entsteht kein Gesamteindruck des Interaktionsgeschehens. Das ist eine, insbesondere für Online-Supervision mit Gruppen eine grundlegende Einschränkung. Diese führt dazu, dass z.B. die Entdeckung und Analyse von Spiegelprozessen zwischen der Fall- und Gruppendynamik nicht oder kaum möglich sind.

Wenn in der online-Supervision mit Gruppen die Entscheidung, wer als nächstes spricht nicht mittels analoger Kommunikation (Blickkontakt, kleine Gesten oder para-verbalen Äußerungen) getroffen werden kann, wird dieser Prozess durch Struktur (Regelungen zum turn-taking) ersetzt. Wenn zusätzlich vor jedem Redebeitrag zuerst das Mikrofon einzuschalten ist, zeigt sich in meiner Erfahrung, dass daran regelmäßig erinnert werden muss. Das geht nicht nur auf Kosten von Spontaneität und emotionalem Gehalt sondern führt zu zerstückeltem Kommunikationserleben. Auch, dass ich als Supervisorin ‚Georg unterbrechen muss um Anna zu signalisieren, dass ich ihre Meldung mitgekriegt habe‘ trägt zur Zerstückelung der Kommunikation bei. Wenn Teilnehmende neben der verbalen Mitteilungen, den vereinbarten non-verbalen Zeichen auch den chat als Kommunikationsmedium nutzen, um Einzelnen oder der Gruppe oder der Supervisorin eine Mitteilung zu übermitteln, ergeben sich parallele Kommunikationen, die zu mehr Zerstückelung, was die Notwendigkeit von mehr Meta-Kommunikation nach sich zieht und insgesamt zu Unübersichtlichkeit führen. In Online-Supervisionen mit Gruppen schließe ich durch Voreinstellungen die Nutzung des privaten chat aus.

Im Allgemeinen gilt Metakommunikation als der Königsweg, um die Stolpersteine unvollständiger Kommunikationen zu handhaben. Und für viele der skizzierten, insbesondere durch die Kanalreduktion produzierten Besonderheiten von online-Kommunikation via Videokonferenz liegt es nahe, analoge Informationen ebenso wie begleitende inneren Vorgänge der Beteiligten in explizite , gesprochene oder geschriebene Beiträge zu überführen.:
z.B.

  • Online-(N)Etikette, Vereinbarungen zum ‚turn-taking‘, Ankündigung von Wortmeldungen, Stummschaltung uvm.
  • Nutzung des chats für Fragen/Anmerkungen
  • begleitendes / explizierendes Sprechen, wenn ich z.B. meine Bildschirm teile und dabei kurzfristig meinen Blick vom Bildschirm weg bewege, Material im chat zur Verfügung stelle, einen link teile, der zu dem Arbeitsmaterial für den nächsten Schritt führt und das alles ggf. flankiert und garniert mit technischen Instruktionen
  • nachfragen oder erklären was das Schweigen zu bedeuten hat. Regelmäßig ist das Schweigen oder die als Schweigen empfundene Verzögerung dem Umstand geschuldet, das Mikrophon nicht zügig aktiviert zu bekommen, oder auch der Unsicherheit wie die Reihenfolge der Wortbeiträge sich ergibt, wenn es sich nicht um eine geregelte ‚Jeder sagt etwas‘-Runde handelt sondern um einen freien Austausch in der Gruppe.
  • Regeleinhaltung, z.B. Wenn ich eine Nebentätigkeit bei einer Teilnehmer*in beobachte, die ich im f2f Geschehen ohne Worte durch Blickkontakt, mit fragendem Gesichtsausdruck oder mit einem Lächeln markieren und so ohne brüskierende Manöver und ohne den Gesprächsfluss zu unterbrechen um Regeleinhaltung bitten würde.
  • der mitfühlende Ausdruck, der sich per Blickkontakt nicht an eine spezifische Person richten lässt, nicht über meine Mimik oder die Zuwendung meines Körpers oder mittels Gesten meiner Hände vermitteln lässt.

Es müssen so viele (zusätzliche) Worte gemacht werden, die mit der eigentlichen Arbeitsaufgabe, für die man zusammengekommen ist nichts zu tun haben, v.a. der Ermöglichung von Kommunikation dienen und an sich für die Erledigung der Aufgabe, für die Zielerreichung nicht verwertbar sind. Die kommunikativen Anforderungen und die Komplexität des Unterfangens steigen, mit unweigerlichen Auswirkungen auf die (Zusammen)Arbeit, den benötigten Energieaufwand und die Qualität der Arbeit ergibt.

Indem ich alledem einen Schritt zurücktrete, sehe ich drei offene Fragenkomplexe in Bezug auf online-Supervisionen (v.a. mit Teams/Gruppen) via Videokonferenztools:

  1. Wie viel Struktur vertragen der Beratungsprozess, der Gruppenprozess und der Arbeitsprozess ohne, dass die üblicherweise erwarteten Zielsetzungen und der Nutzen sich grundlegend verändert oder verloren gehen?
  2. Wie viel Meta- und explizierende Kommunikationen, wie viel zusätzliche Komplexität vertragen die Verständigung und die Aufgabenbearbeitung ohne dass es zu deutlichen Verlusten in der Qualität oder zur Verunmöglichung der Aufgabenerledigung kommt? Mit einigen der Teams / Gruppen habe ich auch in Folgesitzungen so lange daran arbeiten müssen, den gemeinsamen Raum irgendwie zu erschaffen (s.o.), dass für die supervisorischen Anliegen nur wenig Zeit blieb.
  3. Die Liste der Faktoren, die von allen Teilnehmenden in online-Supervisionen via Videokonferenz zusätzliche Mühe und Anstrengung erfordern ist lang. Neben der im Eigentlichen liegenden Anforderung, supervisorische Anliegen zu bearbeiten fallen mir beispielsweise folgende Anforderungen und Anstrengungen ein:
    • Die körperliche Anstrengung der mehr oder weniger Unbeweglichkeit in der physischen Haltung, insbesondere bei ergonomisch dafür ggf. nicht ausgestatteten Arbeitsplätzen. Individuelle Kompensationsmöglichkeiten wie Aufstehen, herumgehen o.Ä. würden enorme Auswirkungen auf die Anwesenheit im virtuellen Raum haben, mit in der Folge möglicher Komplikationen im Arbeits,- Kommunikations- und Beziehungsprozess.
    • Die kognitive Anforderung, Anwenderkompetenz für die vielzähligen technischen tools zu erwerben.
    • Die Regulation von Verunsicherung durch die Anforderung beständig neue technische Werkzeuge zu verstehen, zu nutzen und auftretende Fehler zu beheben.
    • Die kognitive Anforderung, unvollständigen Kommunikationen zu folgen / diese zu verarbeiten.
    • Die Anforderungen der kognitiv-emotionalen Regulation um auseinander zu halten, dass das Körpersystem ‚allein und unverbunden-Sein‘ erlebt (vgl. in virtuellen Treffen wird kein Oxytocin ausgeschüttet), während einige Sinnesorgane die Anwesenheit Anderer und verbale vermittelten Kontakt wahrnehmen.
    • Die Anforderung zur Verarbeitung der vielen erforderlichen Worte und Aushandlungsprozesse zur Erschaffung des gemeinsamen Raumes.
    • Die kognitiv-emotionale Anstrengung zur Integration von zerstückelter und paralleler Kommunikation.
    • Die Anstrengung der inneren Sortier- und Regulationsprozesse für die eigene Phantasietätigkeit bei der Schließung von Informationslücken durch die Unvollständigkeit der Kommunikationen

    Auch wenn diese Liste womöglich unvollständig ist erscheint mir das Ausmaß zusätzlicher Anstrengungen enorm. Kein Wunder, dass Online-Supervisionen (nicht nur mich) so strapazieren …

    Also sollten diese Veranstaltungen zeitlich begrenzt und eher kürzer sein, als f2f-
    Supervisionen. Das wiederum konfligiert mit dem Umstand, dass supervisorische
    Reflexions- und Verstehensprozesse Zeit brauchen und nicht so gut zu beschleunigen sind. So wie das Gras auch nicht schneller wächst, wenn man dran zieht. Wie also dieses Dilemma sinnvoll lösen?

Also ende ich meine Abschlussreflexion ähnlich, wie ich mich zum Ende der Qualifizierungsreihe geäußert habe mit dem leicht veränderten 😉 Zitat aus dem Epilog des Brecht Stücks ‚Der gute Mensch von Sezuan‘.

„Verehrte [Leserschaft], jetzt kein Verdruss
[Ich weiß] wohl, das ist kein rechter Schluss.
Vorschwebte mir: die goldene Legende
Unter der Hand nahm sie ein bitteres Ende.
[Ich stehe nur wenig] enttäuscht und seh‘ betroffen,
Den Vorhang zu und alle Fragen offen.
(. . . )
Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach:
Sie selber dächten auf der Stelle nach
Auf welche Weis‘ dem [pragmatisch Ding] man
zu einem guten [Stande] helfen kann.
[Verehrte Leserschaft], los, such Dir selbst den Schluss
[Der wird gefunden werden], muss, muss, muss!“

Ettlingen, Juli 2021


1 Bei meinen Überlegungen habe ich insbesondere Supervision mit Gruppen oder Teams vor meinem geistigen Auge.
2 Jahn, R. & Nolten, A. (2020) Digitalisierung undautonome Lebenspraxis. Positionen #2/2020. Beiträge zur Beratung in der Arbeitswelt. HG: Busse, St., Haubl, R., Kotte, S. & Möller, H.. DGSv
3 vgl. www.wikipedia.org/wiki/Virtualität, abgerufen am 19.07.2021)
4 Geißler, H. (2020). Digitalisierung von Coaching und Coaching-Ausbildungen. Die Corona-Krise als Innovationsbeschleuniger?. In: Coaching-Magazin-Online
5 Watzlawick, P.; Beavin, J.H.; Jackson, D.D. (1969). Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien. Bern:Huber
Birgit Römer-Wolf: „… was es ist“?

Birgit Römer-Wolf

Birgit Römer-Wolf (*1965), Ettlingen, Diplom-Psychologin, Supervisorin (DGSv), systemische Familientherapeutin (SG), Mediatorin und Gruppendynamische Leiterin (DGGO), hauptberuflich tätig als Beraterin in einer psychologischen Beratungsstelle, nebenberuflich tätig als Supervisorin / Coach — www.roemerwolf-supervision.de

Birgit Römer-Wolf: „… was es ist“?