5. Auflage 2021, Hamburg

Freund*innen haben mir das Buch geschenkt. Es war gerade 2 Monate her, dass eine Frau gestorben war, die ich über zwei Jahre bis zu ihrem Sterben begleitet habe. Es schien fast so, als hätten sie es mit einem kurzen Zögern übergeben. Und tatsächlich habe ich mich gefragt, in welcher Situation verschenkt man das Buch oder in welcher wird es gelesen?

Ungelesen ist es hin und her gereist, und kurz vor dem Jahreswechsel habe ich es mir vorgenommen und in der ersten Woche des neuen Jahres beendet.

Die Journalistin Gabriele von Arnim beschreibt die 10 Jahre, die sie ihren durch 2 Schlaganfälle körperlich eingeschränkten und pflegebedürftigen Mann gepflegt und begleitet hat.

Am Anfang fragte ich immer wieder, wann denn die Geschichte wirklich anfängt, und fühlte mich zunehmend erinnert. Das Verleugnen, die Hilflosigkeit, die Unruhe, der Ärger und schließlich das Gefühl, verlassen zu werden. Es ist kaum vorstellbar und auszuhalten, wie eng die Beziehung zwischen Menschen in dieser Situation wird.

Der zunehmende körperliche Verfall, die große Abhängigkeit von Pflegepersonal und Ärzt*innen, die auch an ihre fachlichen und häufig menschlichen Grenzen kommen, all das findet in einer eigenen Welt statt.

Gute Ratschläge, die Unsicherheit der anderen auszuhalten und schließlich erst im Nachhinein zu merken, was guttat und -tut, was nicht, stellt das eigene Empfinden auf eine harte Probe.

Beeindruckt hat mich die zunehmende Beschreibung der persönlichen Entwicklung und die „überführenden“ Fragen nach dem eigenen und persönlichen Interesse.

Auch der Blick auf die hilfreichen und unterstützenden Menschen, die eher unspektakulären Hilfen. Mit dem Begriff „Ambivalenz“ lassen sich die Gefühle nicht beschreiben, der permanente Wechsel von Gefühlen und Situationen, Wünschen und Hoffnungen, Leid und Trauer. Die Situation ist unfassbar und wohl erst im Nachhinein zu verstehen.

„Wir brauchen Geschichten, um zu leben. Wir brauchen Geschichten, um das Leben zu verstehen.“ (S. 231) So ist auch dieses Buch zu verstehen, mit den vielen kleinen Geschichten und den literarischen Einfügungen an so vielen Stellen.

Gabriele von Arnim hat durch ihr Buch eine Geschichte erzählt, die viele Themen beschreibt, die immer wieder so auch von anderen erlebt werden (können). Das Buch konfrontiert mit den eigenen, verdrängten Traumata, die uns dazu führen, uns all der Hilflosigkeit und Bedürftigkeit im Gegenüber von schwindenden Kräften und dem nahen Tod zu stellen.

Eine Erkenntnis ist, dass ein Mensch „nicht krank war und genesen, sondern krank war und krank bleiben würde“ (85). Es wird also nicht mehr gut, sondern anders. Eine (scheinbar simple) Erkenntnis reiht sich an die nächste und trotzdem ist es besonders. Die vielen sehr intimen Einblicke in eine Beziehung und deren Entwicklung mit der Situation fordern sehr. Manchmal war es mir zu nah, dann wieder machte es ungeduldig. Trotzdem empfinde ich Respekt.

„Würde heißt annehmen, was einem abverlangt wird, ohne seine Haltung dabei zu verlieren.“ (S. 84)

Nach dem Tod des Mannes bleibt es der Autorin überlassen, wie sie überlebt. Eine weitere große Herausforderung des Lebens: wie lebt man selbst, mit Dankbarkeit, Freude über das Schöne und die eigene Zukunft – und das, was man selbst braucht.

Auf dem Buchumschlag steht ein Zitat, dem ich mich anschließen kann, von Sten Nadolny: „Ein unglaubliches Buch. Eine heilende Zumutung.“ Sie braucht aber Mut!

Monika Maaßen

Gabriele von Arnim: Das Leben ist ein vorübergehender Zustand