Zur Bedeutung des Onboardings für die Einzelperson und die Organisation.

Die Frage nach dem guten Start in eine neue berufliche Tätigkeit dürfte in vielen Supervisions- und Coachingprozessen Thema sein. Sowohl die Personen, die sich in eine neue berufliche Situation begeben wie auch diejenigen, die als Führungskraft für die Prozesse der Einführung und Einarbeitung verantwortlich sind, haben in der Regel ein Interesse, den Beginn der Kooperation gut zu gestalten.

Auch die Organisation, die Menschen neu einstellt, hat ein Interesse, dass diese Prozesse professionell und effektiv verlaufen, denn vom Gelingen dieser Prozesse hängt viel ab. Der gegenwärtige Arbeitsmarkt verstärkt die Aufmerksamkeit auf die Gestaltung des Anfangs, da die verfügbaren Arbeitskräfte häufig rar sind und große Auswahl haben, in welcher Organisation sie ihre Arbeitskraft investieren wollen.

Eigentlich beginnt alles schon mit der Ausschreibung einer Position und dem sich daran anschließenden Bewerbungsprocedere. Diesen Schritt möchte ich in diesem Artikel allerdings nur als bereits sehr bedeutsam benennen, startet damit doch die wechselseitige Anpassungsleistung. Hier liegt der Schwerpunkt meiner Überlegungen auf der Frage „Was passiert, nachdem ein Arbeitsvertrag geschlossen ist?“ und welche Einflussfaktoren spielen in den Prozessen der Einarbeitung, des Onboardings, der Inkulturation eine Rolle und welche Dynamiken sind dabei im Spiel.

Bereits die genannten verschiedenen Begriffe für die Startphase machen deutlich, dass es sich lohnt, die verschiedenen Ebenen eines solchen Beginns zu unterscheiden. Aus meiner Sicht handelt es sich nicht um synonym verwendbare Begriffe, sondern um verschiedene Dimensionen, in denen wechselseitige Anpassungsprozesse erforderlich sind.

Ebenso gibt es verschiedene Startpositionen:

  • Es kann um den Eintritt in eine bislang unbekannte Organisation (erste Stelle nach einer Ausbildung, Stellenwechsel aus Gründen von Veränderungen in den Lebensvollzügen, Neuorientierung …) gehen.
  • Es kann eine Positionsveränderung innerhalb einer Organisation (z. B. Versetzung, Wechsel in eine Führungsaufgabe (Hofbauer 2021,109ff) oder Eröffnung eines neuen Standorts) betreffen.
  • Es kann um den Wiedereintritt in eine schon bekannte Organisation (Moser 2018, 116ff) gehen (z. B. nach Elternzeit, Erkrankung oder Sabbatjahr).

Diese verschiedenen Startpositionen werden sich auf die geforderten Anpassungsprozesse auswirken, die zu bewerkstelligen sind. Die Anpassungsprozesse wiederum werden auf Seiten der neuen Mitarbeiter*in beeinflusst von Persönlichkeit, Biografie, Vorerfahrungen, Werten, Interessen usw. und auf Seiten der Organisation von Bedarfen, Erwartungen, Ressourcen, Tradition, Kultur usw.

Viele Starts sind zusätzlich mit der Aufgabe verbunden, sich in vorhandene Subsysteme, Teams, Abteilungen Fachgruppen, Arbeitsgemeinschaften etc. einzufädeln und die Mechanismen der jeweiligen Systeme kennenzulernen und zu verstehen. Dies wird Bedarfe in der Teamentwicklung haben und Themen für die Teamsupervision setzen.

Diese ersten Überlegungen mögen verdeutlichen, dass der Start in eine neue berufliche Tätigkeit ein sehr herausfordernder Prozess ist, der allen Beteiligten Umsicht, Engagement, Achtsamkeit und Verantwortung abverlangt. Es ist ein dialektischer Prozess, der sich durch Informationsaustausch, Kommunikation und Interaktion ereignet, in dem es Hol- und Bringschulden gibt und der in einem transparenten zeitlichen Rahmen (z.B. innerhalb der Probezeit) erfolgen muss.

Als Supervisor*innen oder Coaches werden wir es mit allen Akteur*innen in solchen Anpassungsprozessen zu tun haben können:

  • Wir können die neue Mitarbeiter*in in diesem Prozess begleiten,
  • wir können die Organisationsvertreter*in, die für den Einarbeitungsprozess verantwortlich ist, beraten,
  • wir können den Auftrag bekommen, mit Personalverantwortlichen entsprechende Konzepte zu entwickeln,
  • wir können zu Kriseninterventionen gerufen werden oder
  • Einladungen, Konfliktsituationen zu moderieren, erhalten.

Immer wird es darum gehen, miteinander und manchmal mit unserer Hilfe zu versuchen, konstruktive Entwicklungen auf den Weg zu bringen, die es ermöglichen, den Wunsch „Gekommen, um zu bleiben“ Realität werden zu lassen.

Ein guter Start braucht Wertschätzung

Jeder Neubeginn von Arbeitsbeziehungen ist gut beraten, wenn er mit einem Grundkapital an Vertrauensvorschuss ausgestattet ist. Dieses Kapital fällt nicht vom Himmel und ist auch keine blauäugige Gutmenschenmentalität, sondern begründet sich aus dem bis dahin miteinander erlebten Bewerbungsverfahren. Die gegenseitige Wertschätzung als Personen mit einem arbeitsbezogenen gegenseitigen Interesse zur Kooperation ist eine gute Startrampe. Dazu gehört Respekt vor den testierten Kompetenzen, Zutrauen zu den mitgebrachten Erfahrungen, Vertrauen in die miteinander getroffenen Abmachungen und vertraglichen Vereinbarungen sowie Wahrnehmen der wechselseitig formulierten Erwartungen.

Zur Wertschätzung gehört auch eine angemessene Praxis der Einarbeitung. Wie diese im Einzelnen gestaltet wird, ist von den konkreten Rahmenbedingungen abhängig und muss von jeder Organisation passend zu den Gegebenheiten konzipiert werden. Kühl (2023, 248f)) macht darauf aufmerksam, dass Wertschätzung dann besonders wirksam in Organisationen ist, wenn sie an markanten Prozessstellen zur Wirkung kommt und nicht inflationär im Gießkannenprinzip erfolgt. Die Startsituation zählt sicher zu diesen markanten Prozessstellen. Wogegen Respekt voreinander nach meiner Auffassung als Teil der individuellen Haltung zu den dauerhaften Elementen des Umgangs miteinander zählt.

Gibt es eine Willkommenskultur?

Wenn wir zu einer Party eingeladen werden, haben wir in der Regel bestimmte Erwartungen: Wir erwarten, dass die Party am angekündigten Termin stattfindet, wir freuen uns, wenn wir von den Gastgeber*innen freundlich empfangen und begrüßt werden. Es ist schön zu sehen, dass es Vorbereitungen gibt, die deutlich machen, dass die Gäste willkommen sind. Vielleicht wird man einigen anderen vorgestellt, bevor man dann auf eigene Faust mit den anderen in einen Kontakt tritt.

Ähnlich könnte das Ankommen in einer neuen Tätigkeit gestaltet sein* Man hat einen Starttermin, man wird erwartet, es gibt eine einführende Person, die erste Orientierung gibt und man bekommt „einen Platz am Tisch“. Leider ist die Realität in Organisationen nicht selten richtig anders: Am Starttermin ist in der Organisation unbekannt, dass man gerade heute kommt, die vorgesehene Ansprechpartner*in ist krank und niemand hat über eine Ersatzperson nachgedacht. Der Arbeitsplatz ist nicht vorbereitet und für erste Informationen zur Orientierung hat leider wegen des großen Arbeitsdrucks niemand Zeit.

Aus den negativen Beispielen (die nicht an den Haaren herbeigezogen oder selten sind) wird deutlich, dass es eine Organisationsaufgabe ist, eine funktionierende Routine für den Start von neuen Mitarbeiter*innen zu entwickeln und dafür Sorge zu tragen, dass diese Routine (auch unter erschwerten Bedingungen, die in Organisationen oft Realität sind) funktioniert. Ich denke es braucht keine große Fantasie, um sich vorstellen zu können, wie die emotionale Wirkung auf eine neue Person ist, die unter so unglücklichen Bedingungen starten muss.

Erfreulicherweise gibt es auch viele Beispiele gelungener Willkommenskultur, von denen sich lernen lässt, was eine Organisation tun kann, um einen guten Einstieg zu organisieren. Ein kleines Beispiel aus einem Apothekenunternehmen, das ich seit vielen Jahren begleite, mag zur Illustration dienen:

Neue Mitarbeiter*innen werden am ersten Tag mit einem Blumenstrauß begrüßt, es gibt eine kurze Vorstellungsrunde aller anwesenden Teammitglieder, es liegen mehrere Garnituren Arbeitskleidung in passender Größe bereit. Es gibt ein eingerichtetes Diensthandy und eine Übersicht aller notwendigen individuellen Zugangsdaten für die Schließanlage, die IT-Systeme und die Kassensysteme. Für die ersten Tage ist eine Kolleg*in festgelegt, die die neue Person in die Arbeitssysteme einführt (Kasse, Produktautomat, Labor, BackOffice-Organisation, Dienstplansoftware, Internes Wikipedia …) Dies geschieht durch erläuterndes Vorstellen der Systeme, praktische Erprobung im „Trockenbetrieb“ und kollegiale Begleitung im „Echtbetrieb“. Ebenso wird in den ersten Tagen das Interne Wikipedia als die wichtigste Informationsquelle nach und nach vorgestellt und im praktischen Tun erprobt. Gültige Routinen für das Qualitätsmanagement werden bekannt gemacht. Bedeutsame Jahrestermine (Teamtreffen, Planungsteamsitzungen, Mitarbeiter*innengespräche, Urlaubsplanung, Notdienstplanung …) werden vermittelt. Es wird ebenfalls ein Fahrplan für regelmäßige Gespräche mit der Filialleitung und der Inhaber*in in den ersten sechs Monaten festgelegt. Eine Mentor*in für den Zeitraum der Probezeit wird benannt, für diese Arbeitsbeziehung wird Vertraulichkeit verabredet und ein Zeitbudget in der Arbeitszeit eingeplant.

Diese Vorgehensweise wurde aufgrund der Unzufriedenheit aller Beteiligten über misslungene Startprozesse – wobei interessante Mitarbeiter*innen verloren gegangen sind – in mehreren Sitzungen Teamsupervision entwickelt. Die Teammitglieder benannten dazu ihre eigenen Erwartungen, wie sie sich gewünscht hätten, dass ihr Anfang gewesen sei, und entwickelten daraus Umsetzungsformen. Sie verhandelten mit der Inhaberin die dafür notwendigen Ressourcen für die Entwicklung dieser Routinen: drei Teamsupervisionstermine à 90 Minuten, die Sicherstellung der Personalressourcen für die erste Woche der Einarbeitung und die Sicherstellung der Ressource „Mentor*in“ für den Zeitraum der Probezeit. Dieser Verhandlungsprozess des Teams mit der Inhaberin hatte nebenbei enorme Wirkung in Bezug auf die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und die Teamkohäsion.

Einarbeitung – Onboarding – Integration/Inkulturation

Bei der Vielzahl der häufig im allgemeinen Gebrauch synonym benutzen Begriffe lohnt sich eine Differenzierung, so ist die Verwendung der Begriffe „Einarbeitung“ und „Onboarding“ mehr als nur ein Ersatz eines alten Begriffs durch einen modischen Anglizismus, da sie unterschiedliche Ebenen des Startprozesses anzielen: Während Einarbeitung auf die „Vermittlung von Wissen, Fertigkeiten und Regeln gerichtet ist“ (Moser 2018, 4), sich auf eine relativ kurze Zeit erstreckt und positionsorientiert ist, beinhaltet das Onboarding zusätzlich soziale auf die Organisation gerichtete Elemente, die auch bereits Anteile der Kultur einer Organisation erfahrbar machen und vermitteln. Dazu ein Beispiel aus einem Unternehmen, das Medizinprodukte herstellt:

Bereits im Bewerbungsverfahren werden Interessent*innen darüber informiert, dass dieses Unternehmen in seinem eigenen Selbstverständnis neben den Begriffen Freiheit, Vertrauen, Leistung, den weiteren Begriff „Soziales Engagement“ als unternehmenskonstituierend führt. Dies bedeutet nicht nur, dass regelmäßig ein erheblicher Anteil des Firmengewinns in verschiedene soziale Projekte gespendet wird, sondern, dass es auch die Erwartung an die Mitarbeiter*innen des Unternehmens gibt, sich in einem der bestehenden oder einem selbst gewählten sozialen Projekt zu engagieren. Dies führt dazu, dass bereits im Bewerbungsverfahren Kandidat*innen, die sich dieser Kultur nicht anschließen wollen, aus dem Rennen sind. Durch diese „Vorselektion“ ergibt sich für das Unternehmen ein überdurchschnittlich hoher Prozentsatz von Mitarbeiter*innen, die sich regelmäßig in die bestehenden Projekte einbringen oder eigene Projektideen vorschlagen und dann mit anderen Kolleg*innen verfolgen. Diese Form der Personalauswahl hat zur Folge, dass die Anzahl werteorientierter Mitarbeiter*innen recht hoch ist. In Coachingsitzungen mit den Führungskräften wird die positive Wirkung im Sinne einer erhöhten intrinsischen Motivation von Mitarbeiter*innen regelmäßig berichtet. Mitarbeiter*innen, die sich dieser Kultur des Unternehmens nicht anschließen können, verlassen das Unternehmen in der Regel nach kurzer Zeit und begründen diesen Schritt auch damit, dass sie sich ihr ehrenamtliches Engagement unabhängig von ihrer Arbeit gebenden Organisation aussuchen wollen oder eben auch nicht an einem solchen Engagement interessiert sind. Dies mag als Beispiel dienen, dass die Organisation die Kultur ihrer selbst festlegt und die Mitarbeitenden an dieser Stelle eher in der Notwendigkeit der Anpassung als in der Veränderung der Kultur stehen.

Während also Einarbeitung eher der fachlich-praktischen Erwartung und Anforderung dient, gehen die Prozesse des Onboardings weit darüber hinaus. Onboarding wird so zu einer Brücke zwischen der Startposition des Einzelnen in einer Organisation und dem Zustand, einen integrierten Platz in der Organisation zu finden, also integriert oder inkulturiert zu sein.

Es dürfte auf der Hand liegen, dass dieser Zustand der Zugehörigkeit nicht in den ersten Tagen des Organisationseintritts erfolgen kann, sondern Zeit benötigt. Zusätzlich zum eigenen Interesse, zugehörig zu werden, ist hier die Beziehungsentwicklung und -gestaltung zu den schon vorhandenen Organisationsmitgliedern zu nennen. An dieser Stelle sei an das traditionelle Modell des „Gruppendynamischen Raums“ (Antons 2019, 374 ff) erinnert, in dem die Grundbedürfnisse von Gruppenmitgliedern nach Zugehörigkeit, Status/Macht und Intimität/Beziehungen als die Dynamik von Gruppen und Teams steuernde Einflussgrößen benannt werden. Diese drei Einflussdimensionen wirken sich auch in den Onboarding- und Inkulturationsprozessen neuer Mitarbeiter*innen aus. Wohl den vorgesetzten Führungskräften, die darum wissen und es in ihren Führungskonzepten berücksichtigen. Erst wenn die neue Mitarbeiter*in nach eigenem Empfinden einen für sich passenden Platz entsprechend dieser drei Dimensionen gefunden hat, kann man von einem entwickelten Integrationsprozess reden. Dies dürfte häufig einige Wochen bis Monate andauern. Erfolgt dieser Inkulturationsprozess erfolgreich, gibt es gute Chancen auf eine längerfristige Bindung an eine Organisation mit einer zunehmen Identifikation mit den Zielen der Organisation und einer im Gefolge entstehenden Organisationsloyalität.

Trotz solcher positiven Verläufe sei an dieser Stelle vermerkt, dass dieser Integrationsprozess einigen Gefährdungen ausgesetzt ist. Stimmt die Balance von Arbeitslast und Ausstattung mit Arbeitszeit nicht, ist die Vergütung nicht in Relation zur Arbeitsanforderung, werden zugesicherte Rahmenbedingungen nicht eingehalten, gibt es heftige Diskrepanzen zwischen wohlklingenden Leitbildern und erlebter Alltagspraxis, dann werden sich erhebliche Irritationen einstellen. Gibt es bei diesen Irritationen keine klärenden Veränderungen, die die Diskrepanzen vermindern, dann nutzen die schönsten Onboardingkonzepte nichts. Dies ist die Stelle, an der die Anpassungsleistung der Organisation ins Spiel kommt. Der Onboardingprozess neuer Mitarbeiter*innen ist kostspielig. Erstens dauert es häufig lange, bis von der Stellenausschreibung über das Bewerbungsverfahren und bei Berücksichtigung von Kündigungsfristen die neue Mitarbeiter*in dann in der Probezeit landet. Das kann schnell ein dreiviertel Jahr dauern. In der Zwischenzeit müssen die anstehenden Aufgaben und Verantwortlichkeiten häufig kommissarisch von schon, mit anderen Aufgaben versehenen, Mitarbeiter*innen zusätzlich übernommen oder durch teure Zeitarbeitslösungen gepatcht werden. Stellt sich dann während der Probezeit heraus, dass es nicht miteinander passt, wird das für die Organisation sehr teuer, da die ganzen Prozesse von vorne losgehen müssen. Abgesehen davon, dass es manchmal einfach nicht passt zwischen Person und Organisation, gibt es wohl deutlich häufiger das Phänomen, dass im Einarbeitungs- und Onboardingprozess schlampig oder unsystematisch gearbeitet wurde und sich das dann in einer Trennung auswirkt.

Als Faustregel kann man wohl sagen:
Gute Einarbeitung und sorgfältiges Onboarding schaffen bei neuen Mitarbeiter*innen in der Regel Erfolgserlebnisse, vermeiden Defiziterfahrungen, die schlicht durch mangelnde Information entstehen, und stärken die intrinsische Motivation mit positiven Auswirkungen auf die Arbeitszufriedenheit, meist mit dem Effekt von Leistungssteigerung.

Alle, die mit der Frage beschäftigt sind, wie also geht gutes Onboarding, seien zum einen auf ihre schon vorhandenen Mitarbeiter*innen verwiesen, die oft eine sehr klare Vorstellung davon haben, was dazu hilfreich ist. Natürlich werden in größeren Organisationen die HR-Verantwortlichen entsprechende Konzepte entwickeln können. Kleinere Organisationen finden in der Literatur sehr gute Hinweise (vgl. Moser 2018, 63ff). Wer an Einarbeitungslisten, Checklisten und vielen Praxistipps interessiert ist, findet dies in einer ansprechend gestalteten Publikation aus dem Hause HAUFE (Lemke 2020). Insgesamt ist einigermaßen erstaunlich, dass das Thema Onboarding tatsächlich in der Literatur eher wenig auffindbar ist. Zwar gibt es in den Literaturen zur Personalentwicklung immer mal einige Seiten, die sich auf dieses Thema beziehen, aber als explizites Buchthema gibt es nicht viele Angebote. Das ist angesichts des hohen Kostenfaktors für Organisationen, wenn es schief geht und angesichts des hohen Mehrwerts, wenn es gelingt, verwunderlich.

Teamentwicklung, Supervision und Coaching

Zu guter Letzt sei auf Unterstützungsinstrumente und Unterstützungssettings verwiesen, die zunehmend von Organisationen im Zusammenhang mit Bewerbungsverfahren, Einarbeitung und Onboarding genutzt werden. In meinen eigenen Supervisions- und Coachingprozessen nimmt der Anteil von Prozessen mit Führungskräften, die wegen dieser Fragen Supervision oder Coaching in Anspruch nehmen, deutlich zu. Dies dürfte auch dem hohen Kostendruck geschuldet sein, der entsteht, wenn das Onboarding misslingt. Es ist aber auch der jüngeren Generation von Führungskräften geschuldet, die sich mit diesen Führungsaufgaben neu und intensiver auseinandersetzen, da sie anders als ihre Vorgänger*innen auf den aktuellen Arbeitnehmermarkt reagieren müssen. Während früher eine große Anzahl von Bewerber*innen Schlange um einen Arbeitsplatz standen und die Führungskräfte aus diesem großen Nachfrageangebot auswählen konnten, gibt es heute die Situation, dass Stellenausschreibungen manchmal ohne jede Bewerbung bleiben. Der aktuelle Arbeitnehmermarkt lässt auch Forderungen nach Arbeitszeitmodellen, Vergütungsmodellen und Zusatzleistungen zu, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wären.

Auch die Auswirkungen der Coronapandemie sind deutlich zu spüren. Vermehrtes Arbeiten im Homeoffice wirkt sich stark erschwerend auf Onboardingprozesse aus, da die direkte Begegnung seltener stattfindet. Das informelle System von Organisationen wird geschwächt, das „Nebenbei“ früherer Onboardingprozesse fällt häufig weg. Diese veränderten Rahmenbedingungen werfen neue Fragestellungen für die Teamentwicklung auf und bringen neue Problemstellungen in die Supervisions- und Coachingprozesse.

Für die Berufsfelder Supervision, Coaching, Teamentwicklung, Beratung und Organisationsentwicklung entstehen über die veränderte Marktlage und die gesellschaftlichen Entwicklungen eine Reihe interessanter Herausforderungen, die dazu motivieren „alte“ Verfahrensweisen auf ihre Tauglichkeit zu untersuchen und sie gegebenenfalls zu modifizieren. Auch wird es eine Aufgabe bleiben, gruppendynamische und organisationsdynamische Prozesse aufzuzeigen, die sich getreu dem Eisbergmodell (Antons 2019, 283ff) unter der leicht beobachtbaren Oberfläche in den unübersichtlicheren Gefilden von Interaktionsdynamik und Psychodynamik bewegen, von den vor- und unbewussten Anteilen ganz zu schweigen.
Nach wie vor wird es auch unter den veränderten Rahmenbedingungen notwendig sein, „echtes Feedback“ als Lernangebot zu verstehen und von den in Organisationen so weit verbreiteten „Fake-Feedbacks“, die meist nichts als eine notdürftig maskierte Bewertung sind, wegzukommen. Auch hier liegen interessante Supervisions- und Coachingaufgaben.

Es wird interessant sein, in den kollegialen Supervisionszirkeln, Balintgruppen und Ausbildungsinstituten darüber ins Gespräch und in Austausch zu kommen und den sich daraus stellenden Herausforderungen konzeptionell und als Person zu begegnen.


Literatur

  • Antons Klaus, Ehrensperger Heidi, Milesi Rita. Praxis der Gruppendynamik. Übungen und Modelle. Göttingen, 10. vollständig überarbeitete Auflage 2019.
  • Bröckermann Reiner, Müller-Vorbrüggen Michael (Hrsg.). Handbuch Personalentwicklung. Die Praxis der Personalbildung, Personalförderung und Arbeitsstrukturierung. Stuttgart 2006.
  • Hofbauer Helmut, Kauer Alois. Einstieg in die Führungsrolle. Praxisbuch für die ersten 100 Tage. München 72021.
  • Kühl Stefan. Der ganz formale Wahnsinn. 111 Einsichten in die Welt der Organisationen. München 2023.
  • Lemke Veit (Hrsg.), Birmele Catrin, Bömers Janika, Merklin-Wendle Anja, Pohl Felix. Crashkurs Mitarbeiter Onboarding. Praxiswissen für HR, Coaches und Führungskräfte. Freiburg 2020.
  • Moser Klaus, Souček Roman, Galais Natalie, Roth Colin. Onboarding – Neue Mitarbeiter integrieren. Göttingen 2018.
Gekommen, um zu bleiben?

Michael Faßnacht

(*1955), Dipl.-Psychologe, Dipl.-Theologe, Coach und Supervisor BDP, ausbildungsberechtigter Trainer für Gruppendynamik DGGO, 8 Jahre Vorstandsmitglied der DGGO, seit 2000 freiberuflich in eigener Praxis in Telgte tätig, Gesellschafter des Instituts für Gruppendynamik und Organisationsberatung (igo) Münster. — michaelfassnacht@tfbs.dewww.tfbs.dewww.igo-muenster.de

Gekommen, um zu bleiben?