Eindrücke aus Prozessen in der Queeren/Diversity Bewegung im Blick auf den von Margrit Brückner beschriebenen Weg der Frauenbewegung

In letzter Zeit beschäftigt mich das Thema „Wiederholungen“ immer öfter. Nicht nur im Blick auf neue Mode- oder Einrichtungstrends, sondern auch im Blick auf gesellschaftliche Themen und Veränderungsprozesse.
Häufig denke ich: „Kenne ich, so ähnlich habe ich auch schon gedacht und gestritten“. Ich erinnere mich an meine Studienzeit, meine Aktivitäten im Asta und in der Frauenbewegung.

Dieser Hang zur Rückschau ist natürlich schnell durch mein Lebensalter zu erklären. Ich spüre deutlich den Übergang in eine Lebensphase, in der Rückblicke zunehmend eine Rolle spielen.

So erging es mir auch bei der Recherche für diesen Newsletter zum Thema „Übergänge“. – Schnell entdeckte ich, dass „Übergänge“ bereits 2005 das Thema im „Forum Supervision“, dem Vorläufer des jetzigen Newsletters des FiS, waren. Und damit nicht genug, ich fand darin einen Beitrag, dessen Themen mich aktuell in einigen Supervisions- und Beratungsprozessen beschäftigen.

Ich freue mich sehr, dass Margrit Brückner ihr Einverständnis für eine Wiederveröffentlichung ihres Beitrages „Der erfolgreich bittere Weg vom alternativen Projekt zur sozialen Institution – Übergänge am Beispiel der Frauen- und Mädchenprojekte“ gegeben hat. Meine Seitenangaben zu Zitaten beziehen sich auf diese Veröffentlichung. (Forum Supervision 2005, Heft 25)

Im Folgenden möchte ich einige meiner Wahrnehmungen in der Entwicklung der aktuellen Queeren Community schildern, zu denen es aus meiner Sicht neben den inhaltlichen Unterschieden auch Parallelen und Schnittstellen gibt. Inkludiert sind unter dem großen Thema „Diversitiy“ dabei auch Themen der ethnischen Zugehörigkeit/PoC (People of Color).

Mein Erfahrungshintergrund sind Team- und Einzelsupervisionen sowie fachliche Beratungen in jungen start ups aus unterschiedlichen Berufsfeldern (u.a. Marketing, Gastronomie, IT). In allen Bereichen haben die Themen „Diversity/Gender“ und der Anspruch an den „korrekten“ Umgang mit dieser Thematik eine besondere Bedeutung und bestimmen die Inhalte der Beratungsarbeit maßgeblich.

Ich habe jedoch nicht wie Margrit Brückner über ein Netzwerk Zugang zur Entwicklung der gesamten Bewegung, sondern erlebe nur kurze Einblicke durch Themenbezüge in einzelnen Prozessen, auf die ich mich hier beziehe.

Ich werde von KollegInnnen manchmal gefragt, wie es zu meiner Arbeit in den eher jugendlich geprägten Gruppen gekommen ist. Zwei Aspekte haben eine Rolle gespielt. Zum einen wurde ich häufig für fachliche Beratungen über meine Expertise in den Bereichen Betriebswissenschaft/Organisationsentwicklung angefragt. Supervisorische Themen rückten erst im Laufe des Prozesses in den Fokus und konnten (sehr zögerlich) in Teilen zugelassen werden. Zum anderen konnte ich bei Ausschreibungen meine Erfahrungen in der feministischen Bewegung und aktuell auch die eigene Betroffenheit durch Ageism (Altersdiskriminierung) einbringen.

Mit meinen persönlichen Erfahrungen in Bezug auf „Ageism“ könnte ich bei der Frage nach meinem Zugang zur Szene bereits Diskriminierungstendenzen vermuten, zum einen mir gegenüber: „Ist sie trotz ihres Alters kompetent in diesem Bereich?“ oder auch gegenüber der Community: „Schließt die ältere Menschen aus?“.

Meine Sensibilisierung für diese auf den ersten Blick doch sehr kleinen und unbedeutend scheinenden Zuschreibungen habe ich über den Kontakt mit Akteuren der Diversitiy/Queeren Community entwickelt. Und gleichzeitig frage ich mich, ob diese Frage nicht genau so gestellt werden darf und soll, – ich halte sie für offen und berechtigt und habe sie immer gern beantwortet. Ich beobachte bei mir also durchaus ambivalente Einschätzungen im Blick auf den Umgang mit dem Thema Diversity.

Zur weiteren Einführung möchte ich zunächst einige Hinweise zum Hintergrund der Queeren Community geben, die nach meiner Wahrnehmung auch in ihrer Namensgebung sehr divers ist. Häufig begegnet man dem Begriff „Queer“ oder anfangs LGBT, später LGBTIQ Community, die lesbische, schwule, bisexuelle, trans, inter und queere Personen umfasst. Ein * oder + wird als Platzhalter für weitere geschlechtliche Identitäten teilweise angehängt. (weitere Begriffsklärungen z.B. unter www.queer-lexikon.net) Eine Erweiterung von LGBT lautet inzwischen LGBTQQIP2SAA und steht im Englischen für Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Queer, Questioning, Intersex, Pansexual, Two-Spirit, Asexual, Aromantic. Einen ersten Eindruck zu wesentlichen Inhalten der Bewegung gibt die Doku „Hass gegen Queer“ in der ARD Mediathek.

Unter www.zukunftsinstitut.de wird die Entwicklung der Community als Megatrend beschrieben: „Der Gender Shift ist zu einem richtungsweisenden Megatrend geworden, der gigantische Auswirkungen auf Kultur, Politik und Wirtschaft hat und haben wird – langfristig und weltweit. Geschlechterrollen werden aufgebrochen und verlieren an Bedeutung. Und damit auch an Verbindlichkeit.“ (Die Zukunft der Geschlechterrollen in Wirtschaft und Gesellschaft / Cornelia Kelber, Anja Kirig, Verena Muntschick, Frankfurt 2022)

Zur Vereinfachung verwende ich im Folgenden den Begriff der Queeren Community.
„Queer ist ein Oberbegriff für all die sexuellen und geschlechtlichen Identitäten, die von der heterosexuellen Norm abweichen. Und Schutzräume, in denen sie diese ausleben können, eröffnen sich für diese Minderheiten vor allem in Queeren Zentren. Sie treffen dort Gleichgesinnte, unterhalten sich über ihr ‚Coming-out‘ – ohne Diskriminierung und Gewalt fürchten zu müssen. Häufig gibt es spezielle Beratungsangebote.“ (Lukas Armbrust, FAZ 15.09.2020)

Hier gibt es erste Anknüpfungspunkte an die Ursprünge der Frauenbewegung der 70iger Jahre. Es geht in beiden Bewegungen um den Wunsch, Raum und Zeit für den Austausch mit Gleichgesinnten/Betroffenen zu haben und sich von den Strukturen und gesellschaftlichen Gruppen abzugrenzen und zu schützen, in denen Diskriminierungen und Gewalt erfahren wurden. Dabei wird die Atmosphäre von einem ganz besonderen Gefühl getragen. – Man spürt deutlich die befreiende Freude der neu gewonnenen Gemeinschaft, Margrit Brückner spricht von „euphorischen Zügen“ (S.30).

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, das ist bestimmt auch in der Queeren Community spürbar: Die Queere Bewegung stellt dabei „Pride“ – den Stolz auf die Einzigartigkeit jedes Menschen in seiner geschlechtlichen Ausrichtung in den Mittelpunkt. Er wird gelebt und gefeiert und stellt sich den Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen entgegen.
Dabei kommt es jedoch inzwischen zu teilweise schwierigen Entwicklungen, die ich auch in einem meiner Prozesse erlebte, in dem es zu heftigen Ausgrenzungen gegenüber Teammitgliedern kam, die sich nicht der Community zugehörig fühlten.

Im Zeit Magazin vom 16.6.2017 beschreibt Peter Rehberg den Beginn dieser Entwicklung sehr deutlich: „…queer wird nun als absolute alternative Anständigkeit eingefordert. Auf Veranstaltungen wie den Queeren Hochschultagen in Berlin oder den bundesweiten alternativen CSDs wacht eine Sprachpolizei darüber, dass Gender und Sexualität auch korrekt in Frage gestellt werden. Ein strenger Blick scannt Aussagen und Aussehen der linken Szene, die im Zweifelsfall im Sinne eines „awareness“-Trainings korrigiert werden müssen. Fehlverhalten wird durch Denunziation oder Ausschluss abgestraft. So wurde der Auftritt der Punkband Feine Sahne Fischfilet im linken Zentrum Bielefeld unterbrochen, weil der verschwitzte Drummer seinen Oberkörper entblößt hatte. Diese allzu selbstverständliche Zurschaustellung purer Männlichkeit war ja wohl ein Akt patriarchaler Gewalt, oder? Aus einer radikalen sexualpolitischen Kritik ist eine moralische Kontrolle geworden.“

Dieses Phänomen der „moralischen Kontrolle“ erlebte ich deutlich in dem oben erwähnten Teamkonflikt. Es gab bei Mitgliedern mit und ohne queerem Hintergrund eine unausgesprochene und auch unaussprechbare Form der Angst, unsensibel oder gar diskriminierend zu agieren und es entstand eine neue informelle Hierarchie. Mein Eindruck war, dass unverarbeitete Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen bei einigen Teammitgliedern zu ausgeprägten Übertragungen und Wiederholungen führten. Nach außen zeigte sich ein Bild, in dem überspitzt formuliert Diskriminierte zu Diskriminierenden wurden. Die Heftigkeit und Vehemenz der Verurteilungen und Angriffe gegenüber vermeintlich Unsensiblen oder Diskriminierenden ließen mich große unbewusste Anteile vermuten.
Auffällig war, dass diejenigen mit dem „queersten“ Hintergrund, also die Personen, die vordergründig am weitesten von cis-geschlechtlichen Personen (cis Menschen leben das Geschlecht, das ihnen nach der Geburt zugeordnet wurde) entfernt sind, vorrangig und von dem gesamten Team in ihrem Machtanspruch respektiert, über „Fehlverhalten“ richteten. Diese Gruppe war auch federführend in den Forderungen nach einer Abschaffung von Hierarchien. Die Forderungen gingen so weit, dass von cis-Personen der Verzicht auf Privilegien, u.a. in Form von Arbeitsstellen, gefordert wurde. Der Verteilungskonflikt wurde über die Genderthematik ausgetragen. Dabei rückten berufliche Themen immer mehr in den Hintergrund. Der Arbeitszusammenhang wurde als Ort gesehen, in dem die Forderungen der Queeren Community durchgesetzt werden sollten.

Margrit Brückner beschreibt in ihrem Beitrag – in Ansätzen – vergleichbare Phänomene im Bereich informeller Hierarchien. „Das jeweilige Plenum aller Beteiligten und Interessierten war der offizielle Ort aller Entscheidungen, inoffiziell gab er kleine – bewunderte und beneidete – Kerngruppen, die grundlegende Aufgaben übernahmen und notwendige Entscheidungen fällten.“ (S.30)
Im Weiteren erläutert sie die Notwendigkeit, diese Phase zu reflektieren und zu überwinden und spricht in diesem Zusammenhang von der „Akzeptanz der eigenen aggressiven Potenz …“ (S.33).
Diese notwendige Akzeptanz war für mich auch ein Ansatz in der supervisorischen Arbeit mit dem beschriebenen Team, die zeitlich nur sehr begrenzt war: es ging mir um vorsichtige Versuche, die Themen Macht/Ohnmacht, Täter/Opfer, Angst/Scham, Zugehörigkeit/Ausgrenzung und die unterschiedlichen Formen ihrer Wahrnehmbarkeit (z.B. laute Anklagen, kontinuierliches ängstliches Schweigen) anzusprechen und allen Teammitgliedern einen Zugang zu Reflektion und neuen Perspektiven zu eröffnen. Mein Eindruck dabei war, dass es an kleinen Punkten vielleicht zu Bewegungen kam, überwiegend in Form von heftigen Widerständen und Abwehrmechanismen, die möglicherweise außerhalb des Prozesses bei einzelnen zu weiterer Auseinandersetzung geführt haben. Zu einer wirklichen Wende kam es in diesem Team jedoch leider nicht. Das Team wurde immer arbeitsunfähiger und über die zeitliche Befristung vieler Stellen löste sich das Unternehmen schließlich auf.

Während ich in diesem Team den Konflikt zwischen einigen Mitgliedern der Queeren Community und moderaten/nicht Mitgliedern erlebt habe, beschreibt Margrit Brückner Konflikte innerhalb der gesamten Frauenbewegung, die sich z.B. in Netzwerken zeigten.
Es gibt in beiden Zusammenhängen Schnittstellen, denn es geht um den Umgang mit „Idealen und Utopien“ und um ein Gelingen der notwendigen Differenzierungen und Abgrenzungen. Margrit Brückner beschreibt den „Kampf zweier Linien: zahlenmäßig abnehmende, orthodoxe Anhängerinnen basisdemokratischer Strukturen, die sich weitgehend das Feindbild Staat und Wohlfahrtsverbände erhalten haben und eine zunehmende Zahl Modernisiererinnen.“ (S.35)

Ich kann nicht wirklich beurteilen, ob ein vergleichbarer „Kampf“ auch aktuell in der gesamten Queeren Community in dieser oder anderer Form ausgetragen wird. Ich nehme aber wahr, dass das Thema der Kritik an jeder Form von Leitung und Hierarchie einen besonderen Stellenwert einnimmt. Autonomie, Basisdemokratie und Selbstbestimmung werden von der Community als die eindeutig „richtigen“ Wege deklariert, schon allein dadurch, dass sie gegensätzlich zu den tradierten Strukturen gesehen werden, die für die erlittenen Diskriminierungen verantwortlich zu machen sind. In der neu gefundenen Gemeinschaft scheint alles leicht, sicher und „richtig“, alles Konflikthafte wird den „anderen“ zugeschrieben.
Bei Margrit Brückner lesen wir Vergleichbares: „In die basisdemokratisch geprägten Leitvorstellungen der Frauenprojekte flossen alle Wünsche nach einem besseren Leben ein: Selbstorganisation ohne Leitung und Hierarchie, selbstbestimmtes Arbeiten, Gleichheit, gemeinsame Betroffenheit (Steinert/Straub, 1988). Eine egalitäre Haltung, selbsttätiges Engagement und eigenverantwortliche Übernahme aller anstehenden Aufgaben wurden bei allen Frauen vorausgesetzt; verhaltensregulierende, verbindliche Organisationsstrukturen schienen überflüssig und wurden kaum thematisiert.“ (S.30)

In einer weiteren Organisation erlebe ich, dass alles vermieden wird, was in irgendeinen Konflikt, oder gar in eine Form von Kampf, führen könnte. Das Team, das sich mit seinen Projekten zum Teil auch an die Queere Community richtet, in dem sich aber kein Teammitglied als zugehörig erklärte, arbeitete nur formell mit einer Leitung. Im Arbeitsalltag gab es viel Zeit, um basisdemokratisch die Strategie der Organisation zu steuern und auch kleine Fragen der Arbeitsorganisation auszudiskutieren.
In einer Jahresplanung, in der verschiedene Projektvorschläge ausgewählt werden sollten, wurden in einem gefühlt „vorauseilendem Gehorsam“ durchgehend alle Projektideen ohne Ausnahme für gut befunden. Es kam keine Diskussion auf, sorgfältig formulierte Wertschätzungen jedes einzelnen Projektes standen gleichförmig nebeneinander. Die Situation schien mir fast leblos und starr. Es gab keine Atmosphäre der Angst, sondern eher ein entspanntes, sich gegenseitig bestärkendes Gefühl von „wir machen alles richtig, sind auf der Seite der Guten“.
Jeder Projektvorschlag wurde in seiner Individualität bestärkt, es gab nur selten äußerst vorsichtige kleinste Anmerkungen, die vom Rest der Gruppe sofort als mögliche Ansätze von Diskriminierungen infrage gestellt wurden.
Ich erlebte mich in diesem Team in manchen Momenten ein wenig wie das Kind in dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Das Kind ruft einfach heraus „Der Kaiser hat ja gar nichts an“ und endlich dürfen alle zulassen, was sie schon die ganze Zeit gesehen haben. Meine Nachfragen zur Einschätzung der unterschiedlichen Projekte lösten bei einigen Teammitgliedern ähnlich spürbare Erleichterungen aus: „Darf man also doch wertend denken oder sogar Kritisches aussprechen?“ steht ungesagt spürbar im Raum. Einige richten sich in ihrem Stuhl auf, lächeln vorsichtig und es kommt zu kleinen Abwägungen und vorsichtigen unterschiedlichen Bewertungen mit viel Absicherungen und Umwegen „das soll nicht heißen, obwohl natürlich auch, damit will ich ja nicht sagen, dass …“ usw.
Schließlich einigte sich das Team darauf, alle Projekte in notwendigerweise reduzierter Form (in immerhin unterschiedlichen Abstufungen) durchzuführen. Alle waren erleichtert und mit dem Verlauf der Sitzung und dem Ergebnis zufrieden.

Dieses Team hatte sich, wie aktuell viele Organisationen und Unternehmen (siehe z.B. www.charta-der-vielfalt.de), mit dem Thema Diversity auseinandergesetzt, eine Vielfaltsanalyse durchgeführt, an einem awareness Training teilgenommen und daraus Aktionspläne für mehr Diversität aufgestellt. Ich war für eine inhaltliche Konzeptentwicklung angefragt worden und schon im ersten Telefonat wurde erklärt, dass das Team bereits sehr aktiv im Bereich awareness sei, Teamfragen und Konflikte also kein Thema wären.
Mein Eindruck war hier, dass das Team eigene Themen verleugnete. Es wurde nicht nach innen, sondern überwiegend nach außen geschaut. Das „Eigene“ musste nicht betrachtet werden, man widmete sich der Sensibilisierung gegenüber dem „diskriminierten Anderen“.

In beiden Teams wurde versucht, Leitung und Hierarchie zu umgehen, was zu großen unterschwelligen Dynamiken führte.
Margrit Brückner analysiert diese Zusammenhänge in Bezug auf das Zulassen/die Übernahme von Leitung. Sie erklärt, dass „Strukturlosigkeit häufig mit Unbehagen einhergeht, da entweder ein verdecktes Machtgerangel entsteht oder eine Lähmung mit ständigem Entscheidungsaufschub eintritt.“ (S.39)
Es gibt zahlreiche weitere Parallelen und Themen, die mich während der Lektüre ihres Beitrages beschäftigt haben und ich frage mich nun, ob das nicht weder besonders bemerkenswert noch in irgendeiner Form überraschend ist.
Auch wenn sich die Gesellschaft weiterentwickelt hat und aktuell Feminismus und Fragen rund um Diversität in neue Zusammenhänge gestellt werden, so geht es doch immer um vergleichbare psychologische, soziologische und gruppendynamische Themen, wie Margrit Brückner sie in ihrer Komplexität sehr differenziert analysiert und spannend schildert.

Auch wenn für mich im Blick auf die Diversity/Queere Community vieles neu, unbekannt und fremd wirkt, auch wenn ich beim Schreiben dieses Beitrages oder in der Arbeit mit den Teams häufig unsicher bin, ob auch ich diskriminiere, ob auch ich ähnlich wie meine Elterngeneration die Inhalte gesellschaftlicher Veränderungen nicht ausreichend sehe und zulasse, so sehe ich nun doch, dass immer noch die großen Themen Macht, Angst, Scham und der Wunsch nach Zugehörigkeit im Mittelpunkt stehen. Diese Themen bestimmen auch maßgeblich die Dynamiken in der neuen Community mit ihren aktuellen gesellschaftlichen Themen.

Margrit Brückner fasst zum Ende ihres Beitrages zusammen, dass es für die damalige Situation der Frauenbewegung entscheidend war eine „… Transformation in professionelle Soziale Arbeit zu bewerkstelligen und dabei die frauenpolitischen Identität zu wahren.“ Dafür braucht es eine an „ – dem Ziel der Arbeit – orientierte, ausreichende Entwicklung der Gruppen, welche die Projekte tragen, denn die Themen der Projekte und der hohe Anspruch an Zusammenarbeit enthalten un- und vorbewusste ‚Angebote‘ zu interaktionellem, psychischem Agieren.“
Diese zentralen Zusammenhänge bestimmen auch die Situationen in den von mir beobachteten Teams in und um die Queere/Diversity Szene. Dynamiken mit hohen individuellen biographischen Anteilen und damit auch besonderen gruppendynamischen Prozessen haben einen großen Einfluss auf die Organisationen und die Ziele der Arbeit. Die Unternehmen arbeiten dabei z.T. nicht wie in den von Margrit Brückner beschriebenen Beratungsprojekten inhaltlich in „eigener Sache“, sondern streifen die Inhalte der Queeren Bewegung lediglich in unterschiedlichen Ausprägungen. Der große Einfluss, den dennoch die Community mit ihren Themen auf die Organisationen hat, zeigt die große Kraft der unbewussten Anteile, die durch die Bewegung ausgelöst werden.

Supervision kann in diesen Zusammenhängen bestimmt viel leisten, ist aber in der Szene wenig bekannt oder nachgefragt. In den von mir beschriebenen Prozessen bin ich auf Gruppen ohne Vorerfahrung im Bereich Supervision gestoßen. Angefragt wurden Beratungsprozesse, die jedoch Dynamiken zeigten, in denen ich versuchte, das Angebot der Supervision in den Raum zu stellen. Es wurde teilweise in kleinen Einheiten angenommen. Es war nicht leicht, meinen Ansatz zu vermitteln und es ist mir nicht oft (aber manchmal) gelungen, die Dimension des „Verstehens“ zu eröffnen. Für mich sind das immer die „Sternstunden“ der Supervision, wenn ich spüre, dass sich nach der Analyse zahlreicher Perspektiven die Blicke und Körperhaltungen der Gruppe entspannen und etwas Verbindendes und Gemeinschaftliches spürbar wird. Häufig entsteht ein gelöstes Schweigen, in dem die unterschiedlichen Sichtweisen nebeneinander stehen dürfen und in dem es nicht mehr darum geht, wer „Recht“ hat oder der „Schuldige“ ist.

Ich frage mich, ob diese Momente – und damit supervisorische Arbeit – nicht auch eine wertvolle Form gelebter Diversität sind.
Und damit endet dieser Beitrag wie er begonnen hat: Mit dem Thema „Wiederholung“, mit einem Blick auf schon lang Bewährtes, – oder wie heißt es noch immer so schön in FIS-Kreisen: „Das Wichtige kommt wieder“.

„Wie sich die Bilder gleichen“

Ulrike Wachsmund

Ulrike Wachsmund studierte Dipl.-Pädagogik, ist seit 1994 Geschäftsführerin des Kultur- und Veranstaltungszentrums Stroetmanns Fabrik/EMS-Halle und des Verkehrsvereins Emsdetten e. V.. Sie leitet ein Team von 16 Mitarbeiter*innen und 30 Minijobber*innen und ist Vorsitzende der Prüfungskommission Veranstaltungskaufleute an der IHK Nordwestfalen. Ihre Supervisionsausbildung beim FIS begann sie 2017 und legt ihren Schwerpunkt seitdem auf Team- und Leitungsprozesse im Bereich Kultur, Bildung, Soziales und Gastronomie. — wachsmund@gmx.dewww.stroetmannsfabrik.dewww.vvemsdetten.dewww.supervision-wachsmund.de

„Wie sich die Bilder gleichen“