Liebe Supervisionskolleginnen und -kollegen, liebe an unserem Newsletter und Supervision Interessierte,

unser Newsletter zum Jahresende ist – so wie das Jahr 2024 auch – prall gefüllt mit vielfältigen Erfahrungen und deren Reflektion, mit Schwerem, Verunsicherndem, Ängstigendem, aber auch mit Tröstlichem, Hoffnungsvollem und Zuversichtlichem.

SupervisorInnen, PsychoanalytikerInnen, SoziologInnen, ein Musikmechaniker und ein früherer Gewerkschaftler und Organisationsleiter setzen sich in ihren Beiträgen mit der Frage auseinander,

„was trägt in diesen schweren Zeiten“?

Begonnen haben wir in der Redaktion beim Nachdenken über diesen Newsletter bei den Herausforderungen durch die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation, mit denen wir uns supervisorisch, aber auch persönlich konfrontiert sehen. Das führte uns zu unseren konzeptionellen Wurzeln, zu unserem Supervisionskonzept und zu der Frage, was davon uns im Umgang mit den vielfältigen aktuellen Krisen, denen wir in Supervisionen begegnen, hilft.

Ganz bald wurde uns bewusst, dass diese konzeptionellen Wurzeln nicht nur unsere supervisorische Haltung prägen, sondern dass sich in ihnen grundlegende Werte verbergen, die weit über Supervision hinaus Bedeutung in unserem Leben haben und unser Denken und Handeln bestimmen.

Wir gestatten uns deshalb, dieses Vorwort – etwas ausführlicher als sonst – zu nutzen, um einige Grundelemente unserer supervisorischen Wurzeln zu benennen, die aus unserer Sicht auch bei der Reflektion und Bewältigung des beunruhigenden Zeitgeschehens nützlich sein können.

Geprägt ist die aktuelle Situation für uns durch Entwicklungen in Politik und Technik, in der Welt, in Deutschland, in Institutionen, im Privaten, die bisher als sicher erlebte Grundlagen unseres Zusammenlebens in Frage stellen, die eigene Überzeugungen verunsichern. Wie ist das mit dem Frieden, mit Waffenlieferungen, mit den unterschiedlichen Positionen dazu, mit KI und Fake News, mit dem Anwachsen der autoritären Systeme und Überzeugungen, der auf einmal auch in Deutschland bedrohlich fragil erscheinenden Demokratie? Freuds Erkenntnis, dass die Decke der Kultur dünn ist, zeigt sich bestürzend an immer wieder sichtbar werdenden Rissen.

Können uns unsere supervisorischen Wurzeln, die geprägt sind von demokratischen Überzeugungen, angesichts solcher Entwicklungen Kraft und Mut geben, etwas dagegen zu setzen, Zuversicht zu bewahren und SupervisandInnen in schwierigen Situationen zu begleiten? Können sie helfen, die Verunsicherungen auszuhalten, Lebenswertes zu bewahren?

Unser supervisorisches Konzept auf der Basis des Dreisäulenmodells (Psychoanalyse, Gruppendynamik und Organisationsanalyse) ist an vielen Stellen veröffentlicht und daher ausreichend bekannt. Uns ging es im Zusammenhang mit diesem Newsletter um eine Art Selbstvergewisserung: Welche konzeptionellen Wurzeln, welche „essentials“ haben für uns besondere Bedeutung, sind Grundlage unseres professionellen und persönlichen Handelns.

  1. Die Akzeptanz der Konflikthaftigkeit des menschlichen Seins – psychisch, sozial, institutionell, gesellschaftlich – ist eine Grundlage von Selbstreflexion und Beziehungsgestaltung. Diese Grundthese macht einen permanenten aktiven Umgang mit Konflikten notwendig: Wahrnehmen, Benennen, Analysieren, eigene Positionen formulieren, im Austausch mit fremden Positionen um Verstehen bemüht sein, tragfähige Kompromisse finden.
  2. Beziehungen sind lebensnotwendig. Sie bedürfen deshalb der Akzeptanz von Unterschiedlichkeit und deren konstruktiver Gestaltung. Aber auch einer Sicherheit durch Vertrauen, Redlichkeit, Verlässlichkeit.
  3. Menschliches Fühlen, Denken und Handeln bewegt sich immer in Spannungsfeldern zwischen Nähe und Distanz, Einfühlung und Abgrenzung, Bewahren und Verändern, Handeln und Reflektieren, Zugehörigkeit und Unabhängigkeit. Dies erfordert die Fähigkeit, Spannungen auszuhalten und auszubalancieren.
  4. Grundlage unseres Bemühens um Verstehen ist die Erkenntnis, dass ein großer Teil unseres individuellen, sozialen, institutionellen Handelns unbewusst motiviert ist und daher die unbewusste Ebene notwendiger Bestandteil jedes Verstehensprozesses ist.

Die Autoren und Autorinnen dieses Newsletters haben ganz unterschiedliche Blickrichtungen, bewegen sich aber alle in diesem werteorientierten Spannungsfeld – supervisorisch, politisch, persönlich, theoretisch, erfahrungsbezogen.

Wir wünschen viel Freude beim Lesen und einen – den vielen Hiobsbotschaften aus aller Welt zum Trotz – zuversichtlichen Jahreswechsel!

Ihr Redaktionsteam: Elisabeth Gast-Gittinger, Ulrike Wachsmund, Inge Zimmer-Leinfelder

 

Ermutigung

Du, lass dich nicht verhärten

In dieser harten Zeit

Die allzu hart sind, brechen

Die allzu spitz sind, stechen

Und brechen ab sogleich

 

Du, lass dich nicht erschrecken

In dieser Schreckenszeit

Das woll’n sie doch bezwecken

Dass wir die Waffen strecken

Schon vor dem großen Streit

 

Du, lass dich nicht verbrauchen

Gebrauche deine Zeit

Du kannst nicht untertauchen

Du brauchst uns und wir brauchen

Grad deine Heiterkeit

 

Wir woll’n es nicht verschweigen

In dieser Schweigezeit

Das Grün bricht aus den Zweigen

Wir wolln das allen zeigen

Dann wissen sie Bescheid

 

Wolf Biermann

 

Beiträge

 

Von der Fläche zum Raum. Wie ich die Psychoanalyse fand und was sie mir bedeutet

Annegret Wittenberger

Annegret Wittenberger berührt und überzeugt durch ihre Fähigkeit, Theoretisches mit Persönlichem auf eine Weise zu verknüpfen, die tiefes Verstehen ermöglicht. Ein Aufsatz, der alle angeht, in deren supervisorischem Konzept Psychoanalyse einen Verstehenshintergrund bildet.

Disruption oder Evolution?

Dr. Armin Nassehi

Der Soziologe Armin Nassehi (vielen vielleicht bekannt durch sein Buch „Mit dem Taxi durch die Gesellschaft“) beschreibt Disruption als einen Veränderungsgenerator, der auf die Spannung zwischen Transformation und Trägheit angewiesen ist, wenn Veränderungen langfristig tragen sollen.

Supervision und Coaching in überhitzten Zeiten

Dr. Annette Mulkau

Annette Mulkau setzt sich mit der Frage auseinander, ob in Zeiten der Multikrisen nicht statt Wachstum und Fortschritt die Vermeidung und Abmilderung von Verlusten auf der politischen Agenda stehen müssten. Und sie fragt, was dies für uns als Supervisor*innen konkret bedeuten könnte, z. B. „reflexive Resilienz in Team-, Gruppen- und Einzelsupervisionen fragend befördern“.

„Verfassungsorgane“ in Organisationen – ein Zwischenruf

Dr. Bernadette Grawe

Bezugnehmend auf den 75. Geburtstag unseres Grundgesetzes weist Bernadette Grawe auf den „Bedeutungshof“ des Wortes Verfassung – nicht nur in einem politischen Kontext – hin. Sie benennt Supervision als einen Ort der regelmäßigen „Sozialhygiene“ für die Verfassung von Organisationen.

Über spezifische Aspekte bei der Verwendung der Gegenübertragung in der Einzel-Supervision

Dr. Gerhard Wittenberger

Gerhard Wittenberger beschreibt mit anschaulichen Beispielen aus Supervisionsprozessen Gegenübertragung als Weg zum Verständnis der Beziehung zwischen SupervisorIn und SupervisandIn und zum Verstehen von Behinderungen und Blockaden im Lernprozess.

Der supervisorische Beziehungsraum: Balance zwischen Beständigkeit und Wandel

Christine Kaiser

In Zeiten, die durch rasante Veränderungen und Verunsicherungen geprägt sind, gewinnt Supervision als strukturelle Möglichkeit zur kontinuierlichen Reflexion und Ausbalancierung zwischen einem geschützten Beziehungsraum und Veränderungen immer mehr an Bedeutung.

Aufgeben ist keine Option! Ein Generationengespräch

Monika Möller und Anna-Lena Thies

2 Supervisorinnen – 2 Generationen – unterschiedliche Biografien – unterschiedliche  Wahrnehmungen der Welt: In einem anregenden Mailwechsel zeigen Monika Möller und Anna-Lena Thies Respekt für die Erfahrungen und Sichtweisen der jeweils anderen, und es wird sichtbar, welche Potenziale in der Verbindung von „Jung“ und „Alt“ liegen können.

TUN

Gerhard Kern

Gerhard Kern stellt das TUN als Voraussetzung zum Verstehen an drei ganz unterschiedlichen Erfahrungsfeldern dar. Erfahrungsfeld Lernen: Feldforschung im Rahmen einer Supervisionsausbildung. Erfahrungsfeld Kreation: Die handwerkliche Entwicklung von Klangmaschinen. Und Erfahrungsfeld Politik: Versuche der Krisenbewältigung im Hambacher Forst.

Resilienz statt Resignation – Ermutigung in Krisenzeiten

Klaus Lang

Auf dem Hintergrund seiner eigenen Lebenserfahrung macht Klaus Lang Mut zu leidenschaftlichen Visionen und kleinen Schritten der Umsetzung. Dabei ist ihm wichtig, dass jede Generation ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen muss im Bemühen um ein gutes Leben und gute Arbeit.

Was heute gut tut, oder sollten wir besser sagen: Was heute nottut?

Wie der Bohmsche Dialog Zuversicht stärkt.

Ulrike Arens Fischer

Ulrike Arens-Fischer praktiziert den Bohmschen Dialog in Gruppen in Zürich und Winterthur. Sie beschreibt ganz konkret, wie in diesen Gruppen „der freie Sinnfluss“ geübt wird, sich neue Perspektiven eröffnen und Zuversicht entsteht. Aus ihrer Sicht eine fast meditative Möglichkeit, neue Gelassenheit zu gewinnen.

Oszillieren zwischen Fall und Gruppe

Dr. Bernadette Grawe

Im September beendete die aktuelle Ausbildungsgruppe die Weiterbildung zur Balintgruppenleitung. Bernadette Grawe stellt Gruppe und Konzept vor.

Buchempfehlungen

Wanderreise in Albanien und Buchempfehlung von Monika Maaßen und Andreas Wormser zu:

Lea Ypi, Frei. Erwachsenwerden am Ende der Geschichte, Übersetzung Eva Bonné, Suhrkamp (2022)

Religion und Institutionskritik bei Freud – Ein Kommentar von Gerhard Wittenberger zu:

Christfried Tögel: Freud wider Gott – oder Die Stimme des Intellekts ist leise, Turia+Kant (2024)

Eine Buchempfehlung von Bruno Gittinger:

Mario Vargas Llosa, Das böse Mädchen, Übersetzung Elke Wehr, Suhrkamp (2007)

Eine Buchvorstellung von Uwe Kowalzik:

Systemisch-psychodynamische Organisationsberatung – Konzept und Anwendungen, Markus G. Feil, Martin Lüdemann & Celina Rodriguez Drescher (Hg.) Psychosozial Verlag (2024)

Veranstaltungshinweise

Wir möchten Sie auf eine Veranstaltung der DGSv aufmerksam machen

 

Für Kurzentschlossene:

Es gibt immer etwas Drittes – Dreieckskontrakte in Supervision und Coaching, 25.1.25 in Kassel

Selbstfürsorge – Introspektion als Quelle der Erholung in der Supervision. 15.3.25 in Kassel

 

Alle anderen Veranstaltungen im kommenden Jahr finden Sie in unserem Flyer.

Im Februar beginnt der neue Supervisionskurs. Es sind noch einige wenige Plätze frei. Fallen Ihnen noch mögliche InteressentInnen ein?

Und wäre der neue Ausbildungsgang für Balintguppenleitungen, der 2026 beginnt, nicht etwas für Sie?

Unterlagen zu allen Ausbildungen können in der Geschäftsstelle angefordert werden: info@fis-supervision.de

Vorwort