„Das Fremde im Vertrauten“ war das Thema meiner ersten FiS-Tage. In den vertrauten Räumen des Franz Hitze Hauses hatte unser 23. Ausbildungsgang vor zwei Jahren genau einen Tag vor dem ersten Lockdown den Ausbildungsabschluss als letzte verbliebene Gruppe im bereits geschlossenen Franz Hitze Haus gefeiert.

Nun also, gut zwei Jahre später, fanden hier zum ersten Mal wieder FiS-Tage statt und erstmals nahmen viele von uns nun als „fertige“ SupervisorInnen teil. – Unsere neue Rolle fühlte sich sehr, sehr gut an, – das aber nur am Rande.

Inhaltlich hat mich absolut fasziniert, wie das Thema von unterschiedlichsten Seiten wissenschaftlich soziologisch, psychoanalytisch, kulturell und immer wieder mit viel persönlichen, emotionalen und praxisrelevanten Bezügen im Blick auf die supervisorische Arbeit umkreist, diskutiert und analysiert wurde.

Die Vielzahl der Teilnehmenden brachte ein großes Spektrum an Perspektiven, Einschätzungen, Gedanken und Affekten ein, die nebeneinander stehen konnten. Verbindungen, Übereinstimmungen und auch Kontroversen und Abgrenzungen wurden möglich. Sehr hilfreich waren dabei die Resonanzgruppen, in denen die Plenumsbeiträge reflektiert wurden und in denen die Teilnehmenden mit ihren unterschiedlichsten Erfahrungshintergründen ins Gespräch kamen.

Im Fokus standen nach dem ersten Vortrag von Prof. Dr. Mechthild Bereswill schnell einige Begriffe, auf die wir uns dank ihrer klaren Definitionen gut einlassen konnten und die im Tagungsverlauf immer wieder auftauchten.

Für mich bleibt vor allem die Möglichkeit von „Näherungsschritten“ in Zusammenhang mit „Verstehen“ eine zentrale Entdeckung. Verstehen kann nicht in absoluter Übereinstimmung vollzogen werden, dagegen steht die Einzigartigkeit aller Individuen. Aber es kann in Näherungsschritten gelingen, wenn es eine Offenheit auf beiden Seiten gibt und wenn es darüber hinaus ein „Sorgen“ darum gibt, dass die jeweils andere Seite gesehen werden soll und darf. In diesem Kontext kann das Fremde im Vertrauten Raum bekommen und kann der Gefahr der Verhärtung zweier Seiten in einem Schwarz/Weiß Denken entgegengewirkt werden. Wie komplex dieser Zusammenhang ist, machten Erfahrungsberichte zu Themen von Digitalisierung und Impfproblematik bis hin zu Aspekten der aktuellen politischen Situation für alle spürbar.

Anders, aber ebenso dicht und tief, entwickelte sich das Thema am Nachmittag mit dem Film „Die Wand“ nach dem gleichnamigen Roman von Marlen Haushofer. Ummantelt und aufgefangen wurde die schwere und von Angst geprägte Atmosphäre durch die Einführung und anschließende einfühlende Analyse von Dr. Georg Baumann, die nichts festschrieb oder erklärte, sondern Ansätze, Hypothesen und Bezüge eröffnete, aus denen das Plenum in einem regen Austausch weitere Gedanken, Empfindungen und Erfahrungen in den Raum stellte.

Für mich stand das Thema „Angst“ und die Bedeutung des Fremden darin im Mittelpunkt. Der Film bringt in unglaublich intensiver Weise und in höchster künstlerischer Qualität die Wucht dieser Thematik in uns zum Schwingen und eröffnet gleichzeitig Ansätze möglicher Verarbeitung in unserem Denken. Dort wo Angst zugelassen und ausgesprochen werden kann, wo eigene Empfindungen angenommen und reflektiert werden, wo sie Raum bekommen, wird es möglich, Angst zu überwinden – oder anders noch, wird es möglich, Näherungsschritte zu machen, um mit Angst umgehen zu können.

Am zweiten Tag rückte der Vortrag von Prof. Dr. Jochen Bonz uns die Arbeit mit Studierenden im Bereich der ethnografischen Feldforschung in einer besonderen Verortung an einer Universität in den Blickwinkel. In der von ihm beschriebenen Gruppe gab es viele Gemeinsamkeiten mit supervisorischer Arbeit. Im Plenum und auch in der Resonanzgruppe wurde der Bezug zur Organisation „Universität“ spannend kontrovers diskutiert. Auch dabei wurde immer wieder der Frage nachgegangen, wo vorgefertigte Sichtweisen den Blick auf das neue, noch Fremde verstellen können.

Mich faszinierte der große Raum, der in den beschriebenen Gruppen offenen Fragen, Diskursen aus nicht themenbezogenen Zusammenhängen und gruppendynamischen Prozessanteilen gegeben wurde. Dadurch rückte noch einmal die Bedeutung dialogischer Prozesse in den Blick. Dort wird nicht aus „Koffern Werkzeug gezückt“, das schnell und zuverlässig Probleme löst, sondern es gibt den Mut zur Lücke, zum Offenen, in dem auch Fremdes seinen Platz findet und in dem „Näherungsschritte“ möglich werden.

In die abschließende Podiumsdiskussion flossen viele Aspekte noch einmal zusammen. Ein ganz zentraler Aspekt kam hinzu. Teilnehmende und ReferentInnen sprachen über die besondere Qualität der FiS-Tage, die sich durch den freundlichen und respektvollen Umgang miteinander auszeichnen. Die Auswahl der Themen und ReferentInnen, die unterschiedlichen Settings und Formate ermöglichen eine sehr dichte Arbeitsatmosphäre.

Auch für mich war diese Erfahrung neu. In meinen bisherigen beruflichen Zusammenhängen habe ich so manche Tagungen erlebt, in denen die Redebeiträge sich oft weniger auf das Thema oder die Gedanken der Vorredner bezogen, sondern eher darauf abzielten, die eigene Arbeit und eigene Errungenschaften zu präsentieren und in den Vordergrund zu rücken.

Die FiS-Tage waren aus meiner Sicht geprägt von der großen Leidenschaft der VeranstalterInnen, ReferentInnen und uns Teilnehmenden „für die Sache“, für das Suchen nach neuen Blickwinkeln, Zusammenhängen, nach tiefem Verstehen und Teilen. Das war in jedem Moment für mich spürbar. Und auch wenn ich nicht jedem Redebeitrag folgen konnte und ich der Herausforderung konzentrierten Zuhörens nicht durchgängig gewachsen war, so fühlte ich mich doch durchgängig mittendrin, konnte mitschwingen und nun im Nachhinein verarbeiten und in den kommenden Tagen manches wieder an die Oberfläche holen.

Diesen „Mut zur Lücke“ bewiesen auch die ReferentInnen, in ihren offenen einführenden Worten mit Eingeständnissen von Ängsten und Zweifeln im Blick auf ihren Beitrag, in „eventuell“ fehlenden Folien, in ihrem Einbringen von persönlichen Gedanken und nicht zuletzt in ihrer konstanten Präsenz gemeinsam mit den Kooperationspartnern des FiS, der DGSv, vertreten durch Frau Dr. Annette Mulkau und dem Franz Hitze Haus, vertreten durch Maria Kröger.

Im Auto auf dem Nachhauseweg beschäftigt mich die Frage, in welchem Zusammenhang diese besondere Qualität zu sehen ist. – Zunächst spiegelt sich für mich darin das gesamte inhaltliche Konzept des FiS, das so zentral von der authentischen und tiefen Suche nach Fragen um den Menschen und menschliches Zusammensein geprägt ist. Und damit in Verbindung sehe ich noch einen zweiten zentralen Aspekt. Im Umgang mit dem Fremden im Vertrauten spielt Gemeinschaft eine wichtige Rolle. Die habe ich während der FiS-Tage erlebt. Es ist eine Gemeinschaft, die offen ist für das Fremde und es ist eine bewegliche Gemeinschaft mit einer lang gewachsenen und immer wieder von Veränderungen geprägten Geschichte. Einer Geschichte, die im Blick auf die durchgeführten FiS-Tage nun 35 Jahre alt ist und die mit großer Wärme und mit bester Torte (!) vom besten Konditor der Stadt gefeiert wurde. Inge Zimmer-Leinfelder schnitt sie an, nachdem sie von Monika Maassen mit 35 roten Rosen für ihre zentrale Beteiligung an allen bisherigen Veranstaltungen unter großem Applaus gefeiert wurde.

35 Jahre FiS

Es waren meine ersten FiS-Tage, sie waren sehr besonders und ich blicke nun aus unterschiedlichen Zusammenhängen hoffnungsvoll auf die nächsten FiS-Tage in 2024.

Bis dahin gibt es bestimmt auch schon Ergebnisse aus einem spannenden und zukunftsweisenden Projekt, das Anna-Lena Thies vorstellte. Zusammen mit Bernadette Grawe bringt sie ein Forschungsprojekt im FiS auf den Weg. Es startet mit einer Umfrage unter den AbsolventInnen der Supervisionsausbildung und ich bin mehr als neugierig auf Fragen und Ergebnisse.

Bis dahin möchte ich mit einem großen Dank an das Organisations- und Veranstalterteam des FiS, an die ReferentInnen, Mitteilnehmenden und nicht zuletzt auch an die freundlichen und immer aufmerksamen MitarbeiterInnen des Franz Hitze Haus schließen. Herzlichen Dank!

Resonanz FiS-Tage

Ulrike Wachsmund

Ulrike Wachsmund studierte Dipl.-Pädagogik, ist seit 1994 Geschäftsführerin des Kultur- und Veranstaltungszentrums Stroetmanns Fabrik/EMS-Halle und des Verkehrsvereins Emsdetten e. V.. Sie leitet ein Team von 16 Mitarbeiter*innen und 30 Minijobber*innen und ist Vorsitzende der Prüfungskommission Veranstaltungskaufleute an der IHK Nordwestfalen. Ihre Supervisionsausbildung beim FIS begann sie 2017 und legt ihren Schwerpunkt seitdem auf Team- und Leitungsprozesse im Bereich Kultur, Bildung, Soziales und Gastronomie. — wachsmund@gmx.dewww.stroetmannsfabrik.dewww.vvemsdetten.dewww.supervision-wachsmund.de

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