Philippe Jaccottet (1998): Nach so vielen Jahren.

München (Hanser Verlag), 97 Seiten, 12,90 €.

Philippe Jaccottet (2001): Antworten am Wegrand.

München (Hanser Verlag), 76 Seiten, 12,90 €.

Philippe Jaccottet (2020): Die wenigen Geräusche. Späte Prosa und Gedichte.

München (Hanser Verlag) 2020, 160 Seiten, 23,00 €.

Ende Februar diesen Jahres ist der Lyriker, Essayist und Übersetzer Philippe Jaccottet mit 95 Jahren verstorben. Ein angemessener Anlass, sich wieder einmal in die wunderbaren Texte eines der wichtigsten französischsprachigen Lyriker des 20. Jahrhunderts zu vertiefen. Jaccottet, 1925 im westschweizerischen Moudon geboren, lebte von 1953 an mit seiner Frau, der Malerin Anne-Marie Jaccottet, im südfranzösischen Grignan am Nordrand der Provence. Die Landschaft dort wird zum Ausgangspunkt von Begegnungen in der Natur, die er in seinen Texten festhält. Es ist schwer, einzelne Bücher von ihm hervorzuheben. Die hier empfohlene Auswahl ist eher zufällig und ist der Verfügbarkeit als Taschenbuchausgabe und im letzten Fall der Aktualität zu verdanken.

„Nach so vielen Jahren“, erstmals in Paris 1994 erschienen, verknüpft erzählende Texte und Gedichte ohne große Bruchstellen – ein Prinzip, das er auch für andere Veröffentlichungen genutzt hat. Alles, was er schreibt, erzeugt eine erstaunliche lyrische Dichte, und so werden auch Prosa und Essays zu „Gedichten“. Licht und Wasser werden zu zentralen Motiven, wenn er gleich in der ersten Erzählung auf einen See blickt, sich später an den Flüssen der Sauve und des Lez bewegt und am Ende beim Gang auf den Col de Larche – einem flachen Alpenpass zwischen Frankreich und Italien – die fröhlichen und heiteren Sprünge des Alpenwassers bewundert. Diese „hastigen Sprünge der Wasser über schwarze oder violette Schieferbarrieren“, dessen Lauf man „nicht schmücken, nicht stören, nicht bremsen“ darf.

Zwischendurch lassen kurze Gedichte aufhorchen, die sich durch ihre Einfachheit und ihre Unmittelbarkeit zur beschriebenen Landschaft auszeichnen. Überhaupt ist seine Sprache gleichzeitig bestechend schön und reduziert. Sie versucht die Feinheiten der Sinneseindrücke direkt zu fassen und die Skepsis gegenüber dem Sagbaren wach zu halten. Jaccottet misstraut den zu schönen Bildern.

In den „Antworten am Wegrand“ – im französischen Original schon 1990 erschienen – beschreibt Jaccottet Begegnungen mit einem Kirschbaum, einem kleinen Quittenbaumgarten, Blumen und dem Gesang von Lerchen, die in großer Zahl aus dem Gras hervorgeschossen waren. „Manchmal denke ich, wenn ich immer noch schreibe, dann ist es oder sollte es vor allem sein, um die mehr oder weniger leuchtenden und überzeugenden Fragmente einer Freude zusammenzutragen, von der man versucht wäre zu glauben, sie sei eines Tages, vor langer Zeit, explodiert wie ein innerer Stern und habe ihren Staub in uns gestreut.“ (S. 7)

Im Jahre 2009 im „zu Ende gehenden Sommer“ veröffentlicht Jaccottet „Die wenigen Geräusche“ und verkündet seinen Abschied als Dichter. Auch dieser Band liegt nun seit 2020 in deutscher Übersetzung vor und so können wir noch einmal an den berühmten Spaziergängen teilnehmen. Jaccottet ist ein Flaneur, der nicht durch das Gewimmel der Großstadt, sondern durch die Natur streift. Mit wenigen Worten skizziert er seine Beobachtungen und erschafft ein Zwischenreich zwischen sinnlicher Klarheit und dem steten Verschwinden.

Vermutlich bin ich nicht der Einzige, der in diesen pandemischen Zeiten Trost und Kraft auf den Wanderungen durch die Wiesen und Wälder der näheren Umgebung gesucht hat. Mit den Erzählungen und Gedichten von Jaccottet müsste man nicht einmal vor die Tür gehen. Und so, wie wir auch auf den Spaziergängen nicht zu schnell unterwegs sein sollten, um die versteckten Kleinode der Natur nicht zu übersehen, sollte man sich für die Lektüre viel Zeit nehmen. Dann wird man für einen Augenblick mit der Möglichkeit beschenkt, die Welt mit den Augen des Dichters betrachten zu dürfen.

(Grabmal des Dichters)

Laßt euch nicht täuschen:
nicht ich habe all diese Linien gezogen,
sondern einmal der Silberreiher oder der Regen,
dann wieder die Espe,
wenn nur ein geliebter Schatten sie erhellte.
Am schlimmsten hier ist, daß es niemanden gibt,
nah und fern.

Dr. Jürgen Kreft

Philippe Jaccottet: verschiedene Veröffentlichungen
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