Essays, Satiren und Reflexionen

München (Books on Demand, 2021), 308 Seiten, 9,90 €.

Nach den beiden Romanen „Wieder unterwegs“ und „Blick über den Fluss“ legt Robert Maxeiner, Supervisor und Schriftsteller aus Frankfurt, zum ersten Mal einen Band mit Essays und Satiren vor.

Die Themen der immerhin über vierzig Texte sind vielfältig, von unterschiedlicher Länge und Gewichtung. Von „Reflexionen über den Staat“ und einem „schlanken Staat“ bis hin zu „Kapitalflucht“ und „Steuerfahnder“, von „Poetischen und anderen Wahrheiten“ bis „Überlegungen zur Romantik“, von „Fußball als Religion“ bis „Kopftuchdebatte“ – das Spektrum ist äußerst abwechslungsreich und streift im Grunde alle gegenwärtig diskutierten gesellschaftspolitischen Fragen. So nimmt es nicht Wunder, dass der Band mit zwei längeren Auseinandersetzungen mit dem Corona Virus endet.

Von den jeweiligen Überschriften sollte man sich allerdings nicht zu schnell auf Irrwege locken lassen. Der Verlauf der Argumentation kann auch schon mal ein Eigenleben entwickeln. Abschweifungen sind durchaus beabsichtigt und ein wichtiges Stilmittel, sich nicht vorschnell mit dem Naheliegenden zufrieden zu geben. Die Gedanken sind im Fluss, nehmen die Sprache beim Wort und vermessen und vermischen die Unterschiede persönlicher und gesellschaftlicher Aspekte.

Beim Lesen der Essays kann man sich lebhaft vorstellen, wie der Autor am Frühstückstisch sitzt und aufmerksam durch die Zeitungen blättert. Er liest intensiv und genau, ärgert sich über so manchen politischen Kommentar und vermisst an vielen Stellen eine gründlichere Betrachtung der gesellschaftlichen Zusammenhänge. Er betrachtet die Bedeutungskontexte und Verwendungen der Formulierungen von allen Seiten, klappt schließlich sein Laptop auf und hält seine Einwände und Gedanken fest.

Es ist kein Zufall, dass der Band nach einem kurzen Vorwort mit einem Essay über „Zweifel, Selbstzweifel und die Widersprüche im Subjekt“ beginnt. Der Zweifel an der scheinbaren Plausibilität und Unvermeidbarkeit der gesellschaftlichen Zustände und der Zweifel an den eigenen (Wunsch-)Vorstellungen von sich selbst sind zentral für das Denken von R. Maxeiner. Der Wunsch, sich selbst verstehen zu wollen, das introspektive In-Sich-Hineinfühlen und In-Sich-Hineinhorchen sind für ihn elementare Voraussetzungen für die Auseinandersetzung mit der äußeren Realität: „Wenn ich mich selbst nicht erkenne, besser gesagt, immer wieder um Verständnis ringe, begreife ich auch die Welt nicht, die Zusammenhänge, Ursachen und Wirkungen außer mir.“ (S. 12) Es geht sowohl um Selbsterkenntnis als auch um die Erkenntnisse der gesellschaftlichen Zustände. Beide gehören für ihn untrennbar zusammen, und so pendelt die Perspektive zwischen den Bereichen hin und her. Für beide allerdings ist – wie gesagt – ein tiefer Zweifel angebracht. Sich selbst und das eigene Verhalten in Zweifel zu ziehen, um sich zu verstehen, ist nicht einfach, aber unverzichtbar, will man sich nicht in Affekten verlieren, die einem den Blick auf sich und die Welt vernebeln. In Politik und Wirtschaft scheint der Zweifel an dem, was man tun muss, grundsätzlich zu fehlen – und die Vermeidung des Zweifels führt zu Entscheidungen, die keinen Blick mehr haben für die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen. Genau um diese Denkbewegungen geht es dem Autor: die Auseinandersetzungen mit den aktuellen Entwicklungen z.B. in der Migrationspolitik und dem Klimawandel führen zur Betrachtung der eigenen Einflussmöglichkeiten und Verdrängungsleistungen, die dann zur erneuten und nun vertieften Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen Zuständen ansetzt. In den schonungslosen introspektiven Passagen spürt man den Supervisor im Essayisten am deutlichsten.

Ein situatives Entkommen vor den drängenden politischen und gesellschaftlichen Fragen bietet die Natur. Kleine Fluchten führen den Autor zwischen die Wurzeln einer alten Buche im Kellerwald. Allein mit sich und den Bäumen lässt sich ein wenig Ruhe finden. Oder er wandert durch die Wälder und erlebt, wie sich „die verklebten Poren“ der Wahrnehmung allmählich öffnen. „Heute Nachmittag werde ich durch den Wald wandern. Wenn ich das Denken, das an mein Ich, nicht lassen kann, werde ich versuchen, es klein zu denken, mit den Pilzen, den Algen, den Moosen, den Baumrinden und Insekten.“ (S. 272)

In den Focus der Beiträge schiebt sich immer wieder die Frage, wie eine wirklich demokratische Gesellschaft mit den drängenden gesellschaftlichen Fragen umgehen könnte. Sich zu den Verwerfungen zu äußern, ist ein starker Impuls. Das Schreiben und Veröffentlichen ist ein Ausdruck der Notwendigkeit, sich in den demokratischen Diskurs einzumischen. Dieses „Einmischen“ findet aktuell immer häufiger in den sogenannten „sozialen Netzwerken“ statt – und dort häufiger zugespitzt, verkürzt und voller unverdauter Affekte. Der Kommentar ist schnell getwittert und die Kontroversen laufen sich wund. Im Gegensatz dazu nehmen sich die Essays Zeit, gehen auch einmal Umwege und scheuen auch nicht das unübersichtliche Dickicht jenseits der ausgetretenen Pfade. Dabei bleibt der innere Kompass von R. Maxeiner immer am Geist der Aufklärung ausgerichtet, der dem rational geprägten Verstand die Fantasie und die Reflexion der eigenen Gefühle zur Seite stellt.

Ach so: ein Wort noch zum Titel der Essaysammlung. „Von Menschen, Hunden und Wölfen“ erscheint auf den ersten Blick ein wenig ungewöhnlich – obwohl er mich an John Steinbecks „Von Menschen und Mäusen“ erinnert. Der Titel greift zurück auf einen Text aus der Mitte des Buches, der mit „Hunde, Wölfe und Menschen“ überschrieben ist. Darin widmet sich R. Maxeiner dem interessanten Paradox, dass die meisten Menschen Hunde mögen und sich vor den ungezähmten Wölfen fürchten, obwohl das Verhalten von Menschen und Wölfen in mancherlei Weise sehr ähnlich ist. Ist es das „Wilde“ in der Natur, das wir fürchten? Natürlich kann die Begegnung mit einem Wolf beunruhigen, aber es gibt viele scheinbar domestizierte Hunde, denen ich auch nicht begegnen möchte.

Es geht um den Menschen in dieser neoliberalen, kapitalistischen Gesellschaft. Es geht um seine Natur und seine Sozialität und was er mit dieser Welt gemacht hat. Das sind nicht immer einfache Themen. Eine gewisse Schwere kann man den Überlegungen nicht absprechen. Aber sie sind nicht hoffnungslos, und so endet der Band mit der Zuversicht – allerdings einer begrenzten: „Meine Zuversicht bezieht sich auf das Leben grundsätzlich, das von Gräsern und Bäumen, von Pilzen und Schwämmen, Delfinen, Krähen und Gottesanbeterinnen.“ (S. 308)

Dr. Jürgen Kreft

Robert Maxeiner: Von Menschen, Hunden und Wölfen
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