Liebe Kollegen und Kolleginnen,
liebe Leserinnen und Leser unseres Newsletters,
agm (Arbeitskreis Gruppendynamik Münster e.V.) wird in diesem Jahr 50 Jahre alt. Ein stolzes Alter!
Seit 1973 setzen sich in diesem Verein Gruppendynamiker*innen, Supervisor*innen und Sozialwissenschaftler*innen mit dem Anliegen auseinander, gruppendynamische Prozesse und Strukturen im Kontext gesellschaftlicher und institutioneller Entwicklungen zu verstehen, demokratische Prozesse zu unterstützen und berufliche Handlungsmuster zu erweitern. agm führt kontinuierlich gruppendynamische Trainings, Workshops und Zusatzausbildungen für Menschen, die mit Gruppen arbeiten, durch. Dabei wird das Lernen im „Hier und Jetzt“ der Gruppe genutzt zum Verstehen der Gruppenprozesse und des eigenen Rollenhandelns im beruflichen Alltag.
1984 wurde das FiS (Fortbildungsinstitut für Supervision) von Gerhard Leuschner gegründet, der gemeinsam mit Angelica Lehmenkühler-Leuschner, Gerhard Wittenberger und Inge Zimmer viele Jahre die Supervisionsausbildung des FiS prägte. 2000 übergab er das FiS an Gerhard Wittenberger und Inge Zimmer-Leinfelder. Sie bildeten mit Barbara Wiese und Franz Leinfelder das damalige FiS-Leitungsteam. (Das aktuelle Leitungsteam besteht aus Elisabeth Gast-Gittinger, Bernadette Grawe, Monika Maaßen und Inge Zimmer-Leinfelder. Als projektbezogene KollegInnen arbeiten Gabi Streitbürger, Lutz Lyding, Ulrike Wachsmund, Anna-Lena Thies und Petra Schimmel mit. Franz Leinfelder und Gerhard Wittenberger unterstützen die Arbeit weiterhin als agm-Mitglieder.)
Mit der Übernahme der Trägerschaft für das FiS erweiterte agm seinen gruppendynamischen Schwerpunkt um das Standbein Supervision und führt seitdem FiS-Weiterbildungen durch.
50 Jahre mit vielen Entwicklungen und Veränderungen – konzeptionell, personell, institutionell. Gleichzeitig ein Verein, der über diesen langen Zeitraum seine grundlegenden Ziele, Werte und konzeptionellen Säulen bewahren konnte. Dies war möglich durch eine hohe konzeptionelle Identifikation der agm-Mitglieder und FiS-Kolleg*innen und ein großes, auch ehrenamtliches Engagement.
Seit einigen Jahren vollzieht sich ein allmählicher Generationswechsel mit allen Facetten, die solche Übergänge beinhalten. Begleitet von Hoffnungen und Unsicherheiten, von Verlusten und Neuentdeckungen, von beglückenden und schmerzlichen Momenten. Getragen von dem gemeinsamen Anliegen, auch weiterhin im Rahmen von Supervision und Gruppendynamik mitzuwirken an der Entwicklung einer professionellen Haltung, die Selbstreflexion, Verstehen, Verhandeln und Konfliktklärung als wesentliche Bestandteile beruflicher Beziehungsgestaltung integriert.
Sicher kein Zufall, dass sich das Thema „Veränderungen – Übergänge“ als Thema für diesen Newsletter herauskristallisiert hat.
Wir freuen uns, dass die Beiträge dieses Newsletters ein breites Spektrum zum Thema „Veränderungen – Umbrüche“ aufweisen: Junge, frisch ausgebildete Supervisorinnen, erfahrene, langjährig tätige und auch allmählich aus der Arbeit aussteigende KollegInnen berichten von ihren persönlichen Erfahrungen, greifen fachliche, gesellschaftliche und institutionelle Themen auf und machen uns bewusst, dass die Auseinandersetzung mit ständigen Veränderungen und besonderen Zeiten der Umbrüche zu den Herausforderungen des menschlichen Lebens und des supervisorischen Alltags gehören.
Die Autorinnen der ersten beiden Beiträge setzen sich trotz langjähriger Beratungserfahrungen mit der noch relativ frisch erworbenen Rolle der Supervisorin auseinander. Corinna Korbs Beitrag „Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug“ weist mit dieser berührenden Zeile aus Hilde Domins Gedicht auf den für Übergänge notwendigen Mut und Optimismus, auf Zuversicht, aber auch auf Unsicherheit und Risiken hin, die Übergangszeiten prägen.
Susann Yassami greift in ihrem Text „Und jetzt bin ich Supervisorin“ die Möglichkeit auf, Rituale zur Bewältigung unsicherer Übergangsphasen zu entwickeln. Rituale, die ein Davor und ein Danach markieren und in allen Kulturen zu finden sind.
An einer ganz anderen Stelle ihres beruflichen Lebens, nämlich dem Übergang in den Ruhestand, beschreibt Rita Paß in ihren Reflexionen „Übergang – eine Phase, die es wert ist, betrachtet zu werden?!“ Übergänge als Prozess zwischen nicht mehr und noch nicht, der Zeit braucht für Reflexion, Loslassen und Anpassen an Neues. In ihrer persönlichen Situation geht es dabei auch um die Frage, wie viel der durch den Ausstieg aus der universitären Rolle gewonnenen Zeit sie in Zukunft für die Erweiterung ihrer supervisorischen Praxis nutzen möchte.
Auch Robert Maxeiner ist nach 35 Jahren, in denen er als freiberuflicher Supervisor tätig war, mit seinem Ausstieg aus der Arbeit beschäftigt. Er schlägt einen großen Bogen von seiner persönlichen Situation zu gesellschaftlichen, politischen Entwicklungen und der Bedeutung technischer Errungenschaften, denen er sehr kritisch begegnet.
Annegret Wittenberger setzt sich in ihrem Beitrag „Einige Gedanken zu Geschlechtsdysphorie und Transgender bei Jugendlichen“ mit der Übergangszeit Pubertät und der in dieser Phase wachsenden Anzahl gewünschter Geschlechtsumwandlungen auseinander. Sie plädiert für ein therapeutisches Verstehen der zugrundeliegenden unbewussten Dynamiken, bevor irreversible Tatsachen geschaffen werden.
Nadyne Stritzke, die vor einiger Zeit die Leitung einer Supervisionsweiterbildung übernahm, hält in ihrem Text „Notwendige Veränderungen als liminale Schwellenerfahrung“ ein Plädoyer für bewusst ritualisiertes Gestalten des Generationenwechsels in Ausbildungsinstituten für Supervision. Dabei ist es ihr wichtig, dass es auf einer personellen Ebene sowohl eine Würdigung der besonderen Leistungen der Gründer*innen gibt, als auch einen stabilen und zugleich ergebnisoffenen Gestaltungsraum für die Nachfolgenden.
2005 beschäftigten wir uns schon einmal in der Zeitschrift Forum Supervision mit dem Thema Übergänge und druckten in diesem Kontext einen Aufsatz von Margrit Brückner „Der erfolgreiche bittere Weg vom alternativen Projekt zur sozialen Institution“, in dem sie sich mit damals aktuellen Frauen- und Mädchenprojekten und dem Weg der Frauenbewegung auseinandersetzte.
Ulrike Wachsmund zeigt in ihrem Text „Wie sich die Bilder gleichen“, wie aktuell dieser Beitrag ist, wenn man ihn zu der heute aktuellen Queeren/Diversity Bewegung in Bezug setzt – besonders interessant, da sie ihre Eindrücke in Einzel- und Teamsupervisionen junger Start-ups aus unterschiedlichen Berufsfeldern gewonnen hat.
Eine in Institutionen immer wiederkehrende Form von Übergängen sind die Phasen, in denen neue Mitarbeiter*innen eingearbeitet werden müssen, um integriert zu werden. Michael Faßnacht beschreibt unter der Überschrift „Gekommen, um zu bleiben“ die Bedeutung des Onboardings als Brücke zwischen der Startposition und dem Zustand, einen integrierten Platz zu finden, der Zugehörigkeit ermöglicht.
Bei den letzten Supervisionstagen bereits angekündigt, veröffentlichen Anna-Lena Thies und Bernadette Grawe in diesem Newsletter erste interessante Ergebnisse zu ihrem Forschungsprojekt zur Bedeutung unterschiedlicher Settings in Supervisionsausbildung und anschließender supervisorischer Praxis für die Entwicklung eines professionellen Habitus.
Und natürlich haben wir auch in diesem Newsletter interessante Anregungen für Filme und Bücher. Ulrike Wachsmund führt auf anregende Weise in einen ARD-Mediathek-Beitrag zum Thema „Mein Körper – meine Energie“ ein, und Lutz Lyding weist mit „Wie junge Leute die Arbeitswelt verändern“ auf einen weiteren interessanten ARD-Mediathek-Beitrag hin. Monika Maaßen empfiehlt auf eindrückliche und persönliche Weise die Bücher von Alice Hasters „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen – aber wissen sollten“ und „Das Leben ist ein vorübergehender Zustand“ von Gabriele von Arnim. Michael Faßnacht stellt in seiner ansprechenden Rezension das Buch von Klaus Antons „Supervision mit größeren Gruppen und Teams“ vor.
Dieser Newsletter ist länger geworden als üblich, aber wir denken, dass ein runder Geburtstag ein angemessener Anlass ist, um einen Blick auf 50 Jahre gemeinsamen Engagements zurückzuwerfen.
Bevor wir – wie immer an dieser Stelle – noch auf unsere Veranstaltungen für das laufende und kommende Jahr hinweisen, wünschen wir Ihnen viel Freude beim Lesen der anregenden Beiträge, einen erholsamen Sommer – und vielleicht ein Wiedersehen bei den FiS-Supervisionstagen 2024.
Die Redaktion
(die mit Inge Zimmer-Leinfelder, Monika Maaßen und Ulrike Wachsmund im Rahmen unseres Themas auch die verschiedenen Generationen im FiS repräsentiert und damit auf den ständigen Veränderungsfluss hinweist.)
In diesem Zusammenhang bedanken wir uns herzlich für den engagierten Einstieg Ulrike Wachsmunds in die Redaktionsarbeit